Interview mit Ditib-Landeschef Akkaya „Der Terror hat keinen Platz im Islam“

Saarbrücken · Der Ditib-Landesvorsitzende sieht die Distanzierung vom Fundamentalismus aber nicht allein als Aufgabe der Muslime.

 Der 40 Jahre alte Rechtsanwalt Rasim Akkaya ist Ditib-Landesvorsitzender im Saarland. Er wurde als Sohn eines türkischen Gastarbeiters in Wadern geboren.

Der 40 Jahre alte Rechtsanwalt Rasim Akkaya ist Ditib-Landesvorsitzender im Saarland. Er wurde als Sohn eines türkischen Gastarbeiters in Wadern geboren.

Foto: BeckerBredel

Die Anfeindungen gegenüber Ausländern im Zuge der Flüchtlingskrise haben der eigentlich gelungenen Integration türkischstämmiger Bürger in Deutschland massiv geschadet, sagt Rasim Akkaya. Der Landesvorsitzende der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“ (kurz: Ditib) mit rund 8000 Mitgliedern im Saarland nimmt Stellung zu Vorverurteilungen – und Vorwürfen gegenüber Ditib.

Ditib, der größte Dachverband für türkisch-islamische Gemeinden in Deutschland, hat kürzlich die Teilnahme an einer Demonstration gegen islamistischen Terror in Köln verweigert. Ist es nicht notwendig, dass Muslime in Deutschland – oder auch in anderen Ländern – aufstehen gegen Fundamentalisten, die den Islam in Verruf bringen?

AKKAYA Auf alle Fälle, ja. Nur man darf das nicht einseitig von den Muslimen fordern. Das ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, also auch von anderen Religionsgemeinschaften, Parteien und Verbänden. Den Protest nur von Muslimen einzufordern, stigmatisiert die Muslime und suggeriert, dass sie eine Nähe zum Fundamentalismus hätten, von dem sie sich distanzieren müssten. Aber Muslime haben grundsätzlich genauso wenig mit dem Terror zu tun wie etwa Christen oder Atheisten. Ditib hat übrigens stets den Terror verurteilt und Stellungnahmen und Verurteilungen nach Terrorangriffen abgegeben. Die Ditib hat an zahlreichen Anti-Terror-Demonstrationen teilgenommen, etwa nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt in Berlin und im Saarland. Daneben hat die Ditib gemeinsam mit anderen Organisationen im Saarland an Demonstrationen gegen fremdenfeindliche Organisationen teilgenommen. Um es ganz klar zu sagen: Terror hat keinen Platz im Islam, ebenso wenig Ex­tremismus und Fundamentalismus. Was angeblich im Namen des Islam von Terrorgruppen wie dem IS gemacht wird, hat mit unseren Glaubensgrundsätzen nichts zu tun. Der Islam verabscheut Gewalt gegenüber Menschen. Man muss sich vergegenwärtigen, das Wort „Islam“ bedeutet „Frieden“. Die Anhänger des sogenannten Islamischen Staates sind Verbrecher.

In die Kritik ist Ditib auch geraten, als bekannt wurde, dass einige Ditib-Imame für Ankara Spionage betrieben haben sollen. Sie sollen übermittelt haben, wer in Deutschland der Gülen-Bewegung angehört, die Erdogan für den versuchten Putsch vor einem Jahr verantwortlich macht. Angesichts dessen stellt sich die Frage, inwieweit Ditib ein verlängerter Arm der Erdogan-Regierung in Deutschland ist?

AKKAYA Ditib ist eine eigenständige deutsche Organisation, die von Menschen, die in Deutschland leben, gegründet wurde. Die Imame, die von der Türkei nach Deutschland geschickt werden, sollen und dürfen hierzulande ausschließlich religiöse Dienste in den Ditib-Moscheen anbieten. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass einige Imame Spitzeldienste geleistet haben, dann verurteilen wir das ausdrücklich, und es muss mit aller Härte des Gesetzes dagegen vorgegangen werden. Das darf nicht sein. Die Imame haben es strikt zu unterlassen, für irgendeinen anderen Staat irgendwelche Ausforschungen zu betreiben.

Dennoch stehen Ditib-Imame aufgrund ihrer staatlichen türkischen Ausbildung und Bezahlung immer im Verdacht der Einflussnahme hierzulande…

AKKAYA Wir sind froh, dass wir die Imame aus der Türkei haben, weil dies eine Garantie dafür ist, dass sie fachlich theologisch gut ausgebildet sind. Natürlich würden wir uns wünschen, dass sie auch in Deutschland gut ausgebildet werden können, gut Deutsch sprechen und die deutsche Gesellschaft kennen. Aber das sehe ich derzeit leider nicht. Zum einen gibt es hier nur wenige islamisch-theologische Fakultäten, die wenige Studenten haben, und – das ist der zweite Punkt – es gibt in der Regel keine Finanzierung für ihre spätere Beschäftigung. Ditib finanziert sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Einen vollzeitbeschäftigten Imam können wir nicht bezahlen. Deshalb haben wir bei der saarländischen Landesregierung die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts angeregt. Mit diesem Status erhoffen wir uns andere finanzielle Möglichkeiten.

Wie beurteilen Sie die politische Situation in der Türkei?

AKKAYA Wir sind eine Religionsgemeinschaft in Deutschland. Deshalb möchte ich mich bewusst nicht zu politischen Fragen äußern.

Sehen Sie Nachholbedarf bei der Gleichberechtigung der Frau in der türkisch-muslimischen Gemeinde?

AKKAYA In der türkisch-muslimischen Gemeinde: nein. Ich sehe aber die Notwendigkeit, zwischen Tradition, Kultur und Religion zu unterscheiden. Denn oft wird eine in manchen muslimischen Ländern existierende Benachteiligung der Frau, die kulturell und traditionell bedingt ist, mit dem Islam vermengt und nach außen als Teil der Religion dargestellt. Das stimmt aber nicht.

Die türkische Religionsbehörde Diyanet hat die kürzlich in Berlin eröffnete liberale Ibn-Rushd-­Goethe-Moschee verurteilt. Die Begründerin der Moschee Seyran Ates erhält Morddrohungen und steht unter Polizeischutz. Hat ein liberales Glaubensverständnis keinen Platz im Islam?

AKKAYA Der Islam ist ohnehin liberal. So gilt zum Beispiel im Islam der Grundsatz, dass es keinen Zwang im Glauben gibt. Jeder Mensch ist frei in seinem Glauben. Aus diesem Grund sind auch Morddrohungen keineswegs hinnehmbar und strikt zu verurteilen. Richtig wäre es meines Erachtens, die Diskussion um diese neu gegründete Stätte auf der theologischen Ebene zu führen und die Frage zu stellen, inwieweit das dort vermittelte Verständnis mit der islamischen Theologie vereinbar ist. Die Frage ist auch, was diejenigen, die ein liberales Glaubensverständnis fordern oder darstellen wollen, darunter selbst verstehen und was nach ihrer Auffassung in dem Islam, den die überwiegende Anzahl der Muslime lebt, nicht liberal sein soll.

Hat die Flüchtlingskrise die Situation der türkischstämmigen Bürger in Deutschland verändert?

AKKAYA Leider ja. Mit der Flüchtlingskrise und den darauffolgenden Debatten in der Öffentlichkeit sind alle Menschen mit Migrationshintergrund in Teilen der Gesellschaft zur Zielscheibe geworden. Es kam zu Verallgemeinerungen, in dem man Flüchtlinge, Ausländer, Menschen mit Migrationshintergrund und auch noch die Glaubenszugehörigkeit vermischt hat. Die Folge war, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund angegriffen und hier nicht mehr akzeptiert gefühlt haben. Dadurch ist der Integration geschadet worden. Leider hat sich in diesem Zusammenhang auch ein Klima entwickelt, in dem Menschen, die ohnehin Vorbehalte gegen Ausländer haben, dies nun viel ungehemmter und offener glauben kundtun zu können. Ressentiments werden inzwischen viel öfter und lauter geäußert, das erklärt meines Erachtens nach auch den Anstieg rechtsextremistisch motivierter Straftaten. Ich verweise auch auf die stark angestiegene Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsheime oder auch auf Moscheen – etwa in Neunkirchen und Dillingen. Und wenn man sich ständig als Zielscheibe auch von Diskussionen in der Öffentlichkeit sieht, besteht die Gefahr, dass sich die Menschen nicht akzeptiert fühlen, womöglich beginnen sich zurückzuziehen und es mit der Angst zu tun bekommen.

Haben ausländerfeindliche Übergriffe gegen türkischstämmige Menschen zugenommen?

AKKAYA 2016 ist laut dem Verfassungsschutzbericht die Zahl der fremdenfeindlichen Delikte im Saarland auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Fremdenfeindliche Beleidigungen und Bedrohungen werden geäußert, insbesondere in sozialen Medien. Was wir auch immer wieder hören, ist, dass insbesondere Frauen und Mädchen mit Kopftüchern angepöbelt und beleidigt werden.

Im Saarland leben nach Angaben des Statistischen Amtes rund 24  000 türkischstämmige Bürger, davon haben rund 10 000 einen türkischen Pass. Würden Sie sie als integriert bezeichnen?

AKKAYA Ja, schon. Die türkischstämmigen Menschen in Deutschland sind bereits gut integriert, sie sind mittlerweile ja auch in der vierten oder fünften Generation hier. Sie sind Teil der Gesellschaft geworden. Durch das Erstarken von fremdenfeindlichen Ressentiments im Zuge der Flüchtlingskrise, wie ich es eben beschrieben habe, sind diese Integrationserfolge aber bundesweit in Mitleidenschaft gezogen worden. Es ist teilweise zu Fall gebracht worden, was in jahrelangen Prozessen aufgebaut wurde. Im Saarland mag das nicht so gravierend sein, weil das Verhältnis zwischen den Menschen hier ein anderes ist. Man kennt sich viel häufiger persönlich, bei der Arbeit, im Verein. Das ist natürlich ein Garant dafür, dass die Menschen sich persönlich kennen, austauschen und es keine so starke Abgrenzung gibt. Auch gibt es hier ja keine regelrechten sozialen Brennpunkte wie in manchen deutschen Großstädten, wo viele Menschen mit Migrationshintergrund keine Perspektiven, keine Ausbildung und keine Arbeit haben.

Ex-Bundespräsident Christian Wulff hat gesagt: Der Islam gehört zu Deutschland. Gehört Deutschland auch immer zum Selbstverständnis der türkischen Muslime, die hier leben?

AKKAYA Ich denke schon. Das ist auch sehr wichtig. Aber man hat womöglich einmal mehr im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise viel dafür getan, dass das mitunter inzwischen in eine andere Richtung gehen kann. Denken Sie etwa an Aussagen der AfD, die den Koran verbieten und Moscheen schließen will. Das führt natürlich dazu, dass Menschen, die dem islamischen Glauben angehören, sich plötzlich attackiert und ausgeschlossen fühlen können. Und das sind ja nicht Einzelstimmen, die da hetzen, vielmehr wurde die AfD ja von zehn, 15 oder in manchen Bundesländern sogar von über 20 Prozent der Bevölkerung gewählt. Kurzum, solche Anfeindungen können natürlich dazu führen, dass diejenigen, die sich längst als Teil dieser Gesellschaft verstanden haben, nun eben daran zweifeln.

Steht zu befürchten, dass die zunehmenden Spannungen zwischen Ankara und Berlin auch das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen hierzulande torpedieren könnte? Der türkische Wahlkampf hat immerhin gezeigt, dass er eine gezielte Sogkraft bis nach Deutschland entwickeln kann…

AKKAYA Ich hoffe nicht. Wir als Ditib-Verband halten uns nicht zuletzt deshalb bewusst aus der Politik heraus und verstehen uns auch ausdrücklich als Teil der deutschen Gesellschaft. Genau das muss man, so glaube ich, auch unseren Mitbürgern immer wieder klar machen. Dass wir auch Deutsche sind und dass uns die Politik in der Türkei nicht groß interessiert. Aber natürlich ist die Befürchtung, dass die Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland auch das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen hierzulande beschädigt, immer da und vorerst leider nicht von der Hand zu weisen.

Bei einem Modellprojekt an vier saarländischen Grundschulen, das Ditib mitorganisiert hat, erhalten Kinder muslimischen Glaubens Islamunterricht. Unterrichtet werden sie von zwei Lehrern im Landesdienst. Wie sind die Erfahrungen mit diesem Angebot, wie wird es angenommen?

AKKAYA Sehr gut. Es wird von den Schülern, von den Eltern und auch von den Lehrern sehr gut angenommen. Bis jetzt haben wir da nur äußerst positives Feedback erhalten. Unser Wunsch wäre es, das Projekt auszuweiten. Denn es bedeutet einen Gewinn für alle Beteiligten. Die muslimischen Kinder erleben dadurch eine Gleichberechtigung und eine Aufwertung ihrer Religion, denn sie wird ja an staatlichen Schulen unterrichtet. Bis jetzt war es immer so, dass während des katholischen oder evangelischen Religionsunterrichts die muslimischen Kinder hinten im Klassenzimmer saßen oder in andere Klassen ausweichen mussten. Zudem ermöglichen die Lehrpläne, die transparent und offen sind, dass Vorurteile gegenüber dem Islam abgebaut werden können. Wir haben in der Vergangenheit unheimlich oft Diskussionen erlebt, die erkennen ließen, dass viele Menschen Sorge vor einer angeblich undurchsichtigen Vermittlung des Islam in Koranschulen oder im Moscheeunterricht haben. Durch das Modellprojekt kann nun jeder Einblick in den Islamunterricht an staatlichen Schulen gewinnen und können Vorbehalte abgebaut werden.

 SZ-Redakteur Johannes Schleuning (links) traf sich mit Rasim Akkaya in der Saarbrücker Moschee in der Hohenzollernstraße.

SZ-Redakteur Johannes Schleuning (links) traf sich mit Rasim Akkaya in der Saarbrücker Moschee in der Hohenzollernstraße.

Foto: BeckerBredel

Was wünschen Sie sich für das Zusammenleben von Muslimen und Christen, von Türken und Deutschen, für die Zukunft?

AKKAYA Das Gefühl aller, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Ich wünsche mir, dass Muslime und Christen, Türken und Deutsche sich hierzulande zuallererst als Saarländer und damit als eine Einheit verstehen. Wir sollten auf das Verbindende, auf das Gemeinsame schauen. Die Religionszugehörigkeit sollte für jeden Privatsache sein.

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