"Der Tanz braucht keine Sprache"

Saarbrücken. Wann Faina Beletskaya (72) mit Ballett begonnen hat, weiß die Russin nicht mehr genau: "Ich war noch ein kleines Mädchen. Vielleicht acht oder neun Jahre alt." Seitdem ist klassisches Ballett ihre "große Liebe". Zwanzig Jahre hat sie an einem kleinen Theater in St. Petersburg getanzt

 Tanzen gibt Faina Beletskaya Kraft und Sicherheit. Foto: Iris Maurer

Tanzen gibt Faina Beletskaya Kraft und Sicherheit. Foto: Iris Maurer

Saarbrücken. Wann Faina Beletskaya (72) mit Ballett begonnen hat, weiß die Russin nicht mehr genau: "Ich war noch ein kleines Mädchen. Vielleicht acht oder neun Jahre alt." Seitdem ist klassisches Ballett ihre "große Liebe". Zwanzig Jahre hat sie an einem kleinen Theater in St. Petersburg getanzt. "Nebenher", erklärt sie, "denn von Beruf war ich Kinderärztin."1998 verließ sie mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin ihr Heimatland. "Meine Tochter sah für ihr Kind und sich keine Perspektive in Russland. Ich bin mit nach Saarbrücken, habe meine Praxis in St. Petersburg aufgegeben." Ihren Beruf wird sie in Deutschland nicht mehr ausüben dürfen, aber der Tanz bleibt ihr. "Vor acht Jahren lud mich der russische Verein Elfe ein: Ich sollte Kindern Tanzen beibringen", erinnert sich die zierliche 72-Jährige. Mittlerweile leitet sie das Kindertanzensemble des "Vereins Russisches Haus e.V.". Der Verein setzt sich seit der Gründung 2005 für interkulturelle Projekte ein.

In ihrer kleinen Wohnung auf der Irgenhöhe in Güdingen liegen auf dem Nachtisch Ballett-Magazine, unterm Fernseher Tanz-DVDs und auf dem Regal stehen Bilder berühmter Primaballerinen, aber auch zwei Fotos ihrer Enkelin im Tanzkostüm. "Sie war das erste Kind, das ich fürs Ballett begeisterte", sagt sie und ist sichtlich stolz auf die 30-Jährige, die als professionelle Tänzerin arbeitet.

Viermal die Woche unterrichtet Beletskaya im Mehrgenerationenhaus in der Ursulinenstraße 22 das Tanzensemble des "Vereins Russisches Haus". "Ich betreue drei Altersgruppen zwischen vier und 16 Jahren", erklärt sie. Insgesamt unterrichtet sie 25 Kinder und Jugendliche, meist mit Migrationshintergrund: "Ich habe russische, deutsche, türkische, spanische und ukrainische Kinder in den Gruppen. Acht davon sind Jungs", schlüsselt sie auf. Tanzen fördert die "Harmonie von Körper und Seele, ist gut für das Herz." Und dann schmunzelt die 72-Jährige: "Ich bin streng zu meinen Kindern. Sie müssen immer gerade stehen. Das ist gut für den Rücken." Disziplin zahlt sich aus: "Wir haben schon einige Preise gewonnen. Mal den zweiten, mal den dritten Platz belegt", sagt sie und zeigt die Urkunden der Düsseldorfer "Kinderkulturtage". Vergangenes Jahr hat Beletskaya den Kulturpreis der Saar-FDP gewonnen. "Ich war sehr überrascht", sagt sie bescheiden, "erwartet habe ich das nicht. Es geht ja eigentlich nicht um mich, sondern um die Kinder." Viel über sich selbst reden mag die Russin nicht. Sie wirkt zurückhaltend, fast schüchtern. "Das liegt daran, dass mein Deutsch nicht gut ist", sagt sie. "Der Tanz aber braucht keine Sprache. Tanzen ist Kommunikation ohne Worte." Tanz setze sich hinweg über soziale, kulturelle oder sprachliche Barrieren. Dann runzelt die Russin die Stirn und beschreibt lachend, dass die Schüler ihr Zugeständnisse abringen: "Ich liebe das klassische Ballett. Meine Kinder wollen aber nicht nur Ballett tanzen. Wir mischen mit Elementen aus HipHop, orientalischem Tanz und Modern Dance." Eine 72-Jährige, die HipHop tanzt? "Ja, HipHop. Was soll ich machen?", fragt sie achselzuckend und lacht. "Ballett ist aber viel schöner!"

Schafft sie mit 72 Jahren noch den Spagat? "Natürlich", sagt sie, "sogar im Stehen." Dann zieht die zierliche Frau ihr Bein hoch, steht minutenlang im Spagat und wirkt zum ersten Mal nicht schüchtern. Der Tanz gibt ihr Kraft und Sicherheit. "Das war schon immer so", sagt sie und lächelt glücklich. ceg

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