Gewerkschaften begehen Maifeiertag Saar-Maikundgebung aus dem Autokino

Saarbrücken · Der scheidende DGB-Landesvorsitzende Eugen Roth fordert in seiner Rede zu mehr Solidarität und Zusammenhalt in der Gesellschaft auf.

 Die Teilnehmer der Mai-Kundgebung des Saar-DGB mussten die Rede des Landesvorsitzenden Eugen Roth wegen Corona-Auflagen aus ihren Autos verfolgen. Foto:BeckerBredel

Die Teilnehmer der Mai-Kundgebung des Saar-DGB mussten die Rede des Landesvorsitzenden Eugen Roth wegen Corona-Auflagen aus ihren Autos verfolgen. Foto:BeckerBredel

Foto: BeckerBredel

Diesmal ist alles anders bei der Maikundgebung der Saar-Gewerkschaften: Autokino auf dem Gelände des Weltkulturerbes Völklinger Hütte statt Aufmarsch am Saarbrücker Schloss. Auto statt Fahrrad, Fußmarsch, Gesängen, Trillerpfeifen. Und so fährt der SPD-Politiker und Bundes-Außenminister Heiko Maas mit dem Luxus-Mercedes zur Solidarkundgebung am Maifeiertag zu Ehren der Anliegen der Arbeiterschaft, der Fraktionschef der Sozialdemokraten im saarländischen Landtag, Ulrich Commerçon, mit einem Siebener-BMW. Solche Bilder sind gewöhnungsbedürftig, genauso wie Hupkonzerte aus dem Auto statt Applaus als einziger Möglichkeit, den Rednern Zustimmung zu signalisieren.

Einem fällt der Auftritt besonders schwer: Eugen Roth. Es ist seine letzte Mai-Rede nach 23 Jahren an der Spitze des Saar-DGB vor einigen hundert Teilnehmern, die sich zuvor anmelden mussten. Viel Aufhebens um seine Person will Roth auch diesmal nicht machen. Ihn zeichnet nach all den Jahren im Amt und im Feuer verschiedenster Interessen aus Politik, Wirtschaft sowie dem Gewerkschaftsleben immer noch eine verbliebene Bodenständigkeit aus. Die Gewerkschaftsbasis im Völklinger Autokino würdigt das mit einem besonders langen Hupkonzert, als Roth die Redner-Tribüne verlässt. Kein Zweifel: er ist wirklich einer von ihnen geblieben.

Nachdenklich, ebenso kämpferisch gibt sich der im  November scheidende Saar-DGB-Chef in seiner letzten Mairede. Ihn treibt besonders um, dass Werte wie Solidarität und Nächstenliebe immer mehr abhanden zu kommen scheinen. „Das darf sich nicht fortsetzen. Man muss füreinander da sein. Besonders, aber eben nicht nur in Zeiten der Not oder einer Corona-Pandemie.“  Zugleich müsse dies ohne Berechnung und quer durch alle Gesellschaftsschichten hinweg gschehen. Vor allem die Nächstenliebe als Zentrum des christlichen Leitbildes müsse  auch in schwierigen Zeiten erhalten bleiben. Das gelte für alle. Selbst häufiger zu vernehmende Feindbilder gegenüber vermögenden und reichen Menschen seien unangebracht. „Es kommt nicht darauf an, ob jemand reich ist und wie viel er hat, sondern darauf, wie er sich benimmt“, betont Roth.

„Wir müssen auf allen Ebenen Gegensätze überwinden, sonst hat das gesamte System der Demokratie keine Überlebenschance. Eine moderne Gesellschaft funktioniert nur, wenn alle zusammenhalten“, mahnt der Gewerkschafter. Vermögende Menschen könnten sich durch eine Geisteshaltung auszeichnen die es als eine Ehre ansieht, Ärmeren in der Gesellschaft durch mehr eigene Beiträge zu helfen. „Es geht hier nicht um Steuerfragen. Das Ganze ist eine intellektuelle Herausforderung. Man kann zum Beispiel auch Bildung finanziell mehr fördern.“ Generell fragt Roth: „Wieso war der Zusammenhalt nach den Kriegen immer so groß, als man die Not erlebt und erlitten hat,  und jetzt muss erst eine Corona-Pandemie kommen, damit man merkt, dass man die alte Solidarität wieder braucht.“

Gerade jetzt sei Solidarität gegenüber allen Gesundheits- und Pflegekräften gefordert. Aber „bei allem gegenwärtigen Applaus: am Ende wird Eure Misere der Personalunterdeckung und der Unterbezahlung nicht beseitigt, wenn Ihr Euch nicht auch gewerkschaftlich organisiert“, mahnt Roth. Das Gleiche gelte für Handel, Gastronomie, Hotellerie, die Sicherheits-Dienstleistungen, die öffentliche Daseinsvorsorge sowie viele andere Bereiche mehr. „Ihre Arbeit muss auch kurzfristig schon durch ein erhöhtes Mindest-Kurzarbeitergeld gewürdigt werden“, fordert Roth.

Alle Saar-Unternehmen seien gut beraten, auf Tarifverträge, attraktive Arbeitszeiten sowie regelmäßige Weiterbildungs-Angebote zu achten. Andernfalls drohe die Abwanderung von immer mehr Menschen, weil sie das Saarland nicht mehr als eine lebenswerte Region empfinden. Mit die größte Herausforderung sei die Bewahrung möglichst vieler Industrie-Arbeitsplätze. Deshalb seien die Gewerkschaften auch für den Ausbau des Industriegebietes „Lisdorfer Berg“, sowie die Ansiedlung von SVolt.

Wolfgang Lemb, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, forderte in seiner Rede „eine Investitionsoffensive in Zukunftstechnologien und neue Produkte, aber auch in die Köpfe der Menschen“. Industriepolitik müsse von regionaler Strukturpolitik  sowie einer vorausschauenden Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik begleitet werden.

Das Erreichen der Klimaziele sei wichtig, aber dazu gehörten auch faire Wettbewerbsbedingungen für die deutschen Unternehmen. Es nutze dem Klima nichts, wenn wegen zu hoher Umweltauflagen deutsche Betriebe, etwa aus der Stahlindustrie, ihre Produktion ins Ausland verlagern zu Lasten zahlreicher Arbeitsplätze. Eine aktive Industriepolitik werde eine zentrale Forderung der Gewerkschaften im anstehenden Bundestagswahlkampf sein. Man werde zugleich sehr darauf achten, wer die Mitbestimmung und Tarifautonomie in Deutschland weiter stärkt, prognostiziert Lemb. 

(ts)
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