Denkmal für die "ernährende Mutter"

Saarbrücken. Als der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement (damals SPD) in den 90er Jahren den Lebach-Falscheider Nordschacht besuchte, soll ihm mitgeteilt worden sein: "Wir haben hier zwei Ausländer in der Belegschaft, einen Österreicher und einen von der Ruhr

 10 000 Menschen zogen 1991 mit Fackeln vor den Saarbrücker Landtag. Sie fürchteten eine Reduzierung der Kohleförderung. Foto: Verlag

10 000 Menschen zogen 1991 mit Fackeln vor den Saarbrücker Landtag. Sie fürchteten eine Reduzierung der Kohleförderung. Foto: Verlag

Saarbrücken. Als der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement (damals SPD) in den 90er Jahren den Lebach-Falscheider Nordschacht besuchte, soll ihm mitgeteilt worden sein: "Wir haben hier zwei Ausländer in der Belegschaft, einen Österreicher und einen von der Ruhr." Die Anekdote sagt viel über die identitätsstiftende Bedeutung des Steinkohlebergbaus an der Saar. Wenn seine rund 250-jährige Geschichte kommende Woche zuende geht, wird für viele im saarländischen Begriff von Heimat eine breite Lücke klaffen, die weh tut.Der von Professor Karl Heinz Pohmer herausgegebene Band, der der Bergbau-Geschichte an der Saar ein "Denkmal zwischen zwei Buchdeckeln setzt" (Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU), ist 606 Seiten stark. Das Werk versteht sich als ausführliche Dokumentation der "historischen Bedeutung" und des "kulturellen Erbes" des Saar-Bergbaus; der dazugehörige Bildband ist bereits im Herbst vergangenen Jahres erschienen. Die zwölf Autoren des neuen Bandes, darunter Ex-Ministerpräsident Reinhard Klimmt (SPD), haben eine Fülle interessant zu lesender Aspekte zusammengetragen, in denen sich die Bedeutung des "schwarzen Goldes" für das Saarland und seine Menschen in allen Facetten widerspiegelt. Über die politischen Entscheidungsprozesse, die dem Abbau zu Höhenflügen ebenso wie zum Aus verhalfen, über betriebliche Sozialpolitik und Arbeiterbewegung, über die Kohle als "Lebensnerv des Saar-Reviers" sowie über die saarländische Gesellschaft, Brauchtum und Lebensart - die ohne die Kohle nicht wäre, was sie ist. Zutage gefördert werden dabei mitunter originelle Details, wie etwa die Bilanz der Bergfeste im Jahr 1910: Gut 53 000 Bergleute, 2000 Grubenbeamte und ihre Familien tranken 233 104 Liter Bier und pafften 380 030 Stück Zigarren.

Die "ernährende Mutter", wie die Kohle noch Anfang des vorigen Jahrhunderts gelegentlich genannt wurde, bleibt ab Ende nächster Woche, wo sie ist: unter Tage. Da das Erlebnisbergwerk Velsen "das Gefühl der Welt unter Tage nur bedingt vermitteln" kann, schlägt Klimmt in seinem Beitrag vor, ein echtes Bergwerk für Besucher offen zu halten. Das zeigt, dass der Band nicht nur auf die Geschichte zurückblickt, sondern sie auch in die Zukunft zu vermitteln trachtet. jos

"Der saarländische Steinkohlebergbau: Dokumentation seiner historischen Bedeutung und seines kulturellen Erbes", Karl Heinz Pohmer (Hrsg.); Krüger Druck+Verlag, 51 Euro.

Hintergrund

Der SR hat eine DVD-CD-Box herausgegeben, die Hörfunk- und Fernsehfeatures zur 250-jährigen Geschichte des Saar-Bergbaus enthält. Die Box mit dem Titel "Kaffeeküch' und Schlagende Wetter" ist für 14,95 Euro über SRshop.de erhältlich. red

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