Das Ziel heißt Überleben "Team Hotel" bleibt in der Heimat - Zentrum berät Angehörige

Zweibrücken. Auch zwei Jahre danach hat Stabsfeldwebel Jan Johmann diese eine Szene noch genau vor Augen: Sein Kollege Mischa Meier betritt den Fitnessraum des Bundeswehrcamps in Kundus. Lebenslustig, gut gelaunt wie immer, das Handtuch lässig über der Schulter liegend. Es ist der 27. August 2008 und dieses ist das Bild, dass Johmann von seinem Kameraden im Gedächtnis behalten will

 Der Arbeitsbereich von Jan Johmann ist in der Zweibrücker Niederauerbachkaserne und in Afghanistan gleich: Er bearbeitet alle Personalsachen, hält die Verbindung zur Familienbetreuungsstelle in der Heimat (l.) und ist für die Betreuung seiner Männer zuständig. Vor allem bei schweren oder tödlichen Angriffen sind Gespräche (r.) mit seinen Untergebenen das A und O. Fotos: Eric Kolling

Der Arbeitsbereich von Jan Johmann ist in der Zweibrücker Niederauerbachkaserne und in Afghanistan gleich: Er bearbeitet alle Personalsachen, hält die Verbindung zur Familienbetreuungsstelle in der Heimat (l.) und ist für die Betreuung seiner Männer zuständig. Vor allem bei schweren oder tödlichen Angriffen sind Gespräche (r.) mit seinen Untergebenen das A und O. Fotos: Eric Kolling

Zweibrücken. Auch zwei Jahre danach hat Stabsfeldwebel Jan Johmann diese eine Szene noch genau vor Augen: Sein Kollege Mischa Meier betritt den Fitnessraum des Bundeswehrcamps in Kundus. Lebenslustig, gut gelaunt wie immer, das Handtuch lässig über der Schulter liegend. Es ist der 27. August 2008 und dieses ist das Bild, dass Johmann von seinem Kameraden im Gedächtnis behalten will. Denn wenige Stunden später wird Meier bei Char Darreh, südwestlich von Kundus, bei einer Patrouillenfahrt durch eine Sprengfalle schwer verletzt. Johmann sieht ihn ein letztes Mal, als er schwer verwundet ins Lazarett eingeliefert wird. "Da war mir gleich klar, dass es nicht gut um ihn steht", erklärt er. Meier stirbt wenig später.

Fast zweieinhalb Jahre nach diesem Zwischenfall sitzt der gebürtige Flensburger Johmann nun beim Gespräch mit der SZ in der Niederauerbach-Kaserne. Er ist 42, zweifach Afghanistan-erfahren, und hat ein Gesicht, das gleichzeitig Vertrauen erweckt und Entschlossenheit ausdrückt. Mit knapp 650 Kameraden der Saarlandbrigade muss er erneut in den Einsatz ins hochgefährliche Afghanistan. Einen Einsatz, den auch Bundeskanzlerin Angela Merkel inzwischen als Krieg bezeichnet.

Ein Krieg, der dem Fallschirmjägerbataillon 263 nach Meier bisher weitere vier Todesopfer abverlangt. Dass Kameraden bei den Einsätzen sterben - das sei für Johmann eine völlig neue Erfahrung gewesen. Eine besonders bittere Erfahrung. Erst wenige Wochen zuvor hatte er, der für Personalangelegenheiten Zuständige nämlich maßgeblich dazu beitragen, dass Meier überhaupt zum Berufssoldaten ernannt wurde. "Zu Kamerad Meier hatte ich eine enge Verbindung", erklärt er, "weil er in den Wochen vor dem Einsatz in Afghanistan auf Weiterbildung in Garmisch-Partenkirchen war, haben wir uns an den Wochenenden getroffen und er hat Beurteilungen unterschrieben." Deswegen sei es für ihn auch selbstverständlich gewesen, den toten Kameraden in die Heimat zu überführen. "Wenn man mit dem Militärairbus landet und den Sarg mehr oder weniger den Angehörigen übergibt, das ist dann schon verdammt hart", sagt Johmann.

Das Risiko, dass ihm solche Flüge bald wieder bevorstehen, ist groß. Nie waren die Zweibrücker Fallschirmjäger mit so viel Mann im Einsatz (siehe Infobox). Nie war die Wahrscheinlichkeit von Zweibrücker Opfern größer.

"Ich bin Realist und weiß, dass man sich dem Tod stellen muss", sagt Johmann. So wie er haben auch seine Kameraden einkalkuliert, nicht lebend zurückzukommen und vorsorglich ihr Testament gemacht. Ob der Gefallenen und Verwundeten hat die Bundeswehr organisatorische Abläufe initiert, die für Außenstehende makaber wirken. Jeder Soldat lässt Fotos von sich für eine mögliche Trauerfeier schießen. "Die sind auf einem Stick und schnell verfügbar", schildert der 42-Jährige und ergänzt "es ist besonders schlimm für die Angehörigen, wenn am Sarg ein altes Bild aus irgendeiner Akte hängt". Neben den Fotos müssen alle Soldaten eine Checkliste abarbeiten: Versicherungen, Patientenverfügung, Versorgungsansprüche - solche Dinge gilt es, zusammen mit Sozialarbeitern zu klären.

Aber wie reagieren die Kameraden, wenn einer, mit dem sie morgens gefrühstückt oder im Kraftraum trainiert haben, plötzlich in einem Sarg liegt? "Bei Todesfällen oder Schwerstverwundeten, da ist die Stimmung in der Truppe schon … ", Johmann hält inne, "verheerend", sagt er dann. Er denkt wieder an Mischa Meier. Für ihn hielten die Kameraden in Kundus Totenwache, standen Ehrenspalier. 2009 stellten sie in der Niederauerbach-Kaserne ein Mahnmal auf. "Im ersten Moment zweifelt jeder an der Mission und stellt sich die Frage 'Warum'", fasst Johmann seine Eindrücke nach dem Schock zusammen. Da sei es wichtig, sich Zeit zu nehmen, Gespräche mit den Kameraden, Militärseelsorgern oder Pfarrern zu führen.

Auch er selbst ist dann einer der ersten Ansprechpartner. Als "Mutter der Kompanie" zählt er Fürsorge und Betreuung der Truppe zu seinen wichtigsten Aufgaben und hält den Kontakt zur Familienbetreuungsstelle in der Heimat. Seine Erfahrung als vierfacher Vater und Einsatz erfahrener Soldat helfe ihm, Tipps zu geben und zu vermitteln, dass es weitergehen muss. Das sei aber "eine verdammt schwere Aufgabe". "Die Soldaten lassen ihren Zweifeln freien Lauf. Da wird auch geweint, was man sich von harten Kämpfern gar nicht vorstellen kann. Aber wir sind keine Maschinen", erklärt Johmann. Und Fluchtgedanken? Habe er nie festgestellt, stattdessen sei die Truppe zusammengerückt. Ob alleine das Reden ausreicht, den Tod von Kameraden zu verarbeiten, bleibt fraglich. Meistens zeigten sich die Folgen erst nach Jahren, wenn man zu Hause zur Ruhe kommt. "Wie das bei mir wird, weiß ich auch nicht", sagt er. Im stillen Kämmerlein - fernab seiner Rolle als Führungsperson - habe auch er sich schon gefragt "wo das Ganze hinführen soll". Dass Umfragen zufolge 75 Prozent der Bevölkerung nicht hinter dem Einsatz stehen, für den er und seine Männer täglich ihr Leben riskieren - das sorge ihn sehr. Genauso wie die Hinterhältigkeit von Aufständischen. Das Kranke an dem Unternehmen sei, dass man gegen die Heimtücke von Sprengfallen oder Selbstmordattentätern trotz bester Ausbildung keine Chance habe. Da sei die Prämisse, "überhaupt lebend zurückzukommen".

Sechs Monate durchhalten, das ist seine Mission, die am 9. Januar auf dem Kölner Flughafen beginnt. Bereits einen Tag zuvor verabschiedet er sich von seinen vier Kindern und seiner Ehefrau. Am Flughafen seien zu viele Leute dabei, als dass ein persönliches Lebewohlsagen möglich wäre. Während er täglich in die Heimat telefoniert, erinnern ihn auch persönliche Gegenstände an seine Familie. "Vom Kuscheltier bis zum Schmuckstück, jeder gibt mir etwas mit", so der 42-Jährige. Eine seiner beiden Töchter dränge auch darauf, dass er sich auf einen ungefährlicheren Posten versetzen lässt. Für ihn aber gehöre die Gefahr zum Beruf. "Das Risiko kenne ich, seit ich mich verpflichtet habe." Doch dann schließt er mit skeptischer Miene an: "Wenn der Einsatz aber diesmal noch gefährlicher wird als 2008, dann herzlichen Glückwunsch!" Zweibrücken. Wenn die rund 450 Soldaten des Fallschirmjägerbataillons 263 nach Afghanistan abrücken, gibt's in der Niederauerbach-Kaserne einige Änderungen, damit der Tagesdienstbetrieb weiterläuft. Diejenigen, die in der Heimat bleiben und zusätzlich zu ihren sonstigen Aufgaben etwa die medizinische Versorgung sichern oder für Nachschub an Ausrüstung sorgen, heißen im Bundeswehr-Jargon "Team H" für Team "Heimat". Weil im Nato-Funk-Alphabet der Buchstabe H "Hotel" heißt , spricht man auch von "Team Hotel". Dessen Anführer wird Major Rene Ochs sein, der Oberstleutnant Andreas Steinhaus als Kommandeur vertritt.

Den Kontakt nach Afghanistan hält das Familienbetreuungszentrum Saarlouis. Während des Einsatzes ist in Zweibrücken eine Zweigstelle eingerichtet. Laut Zentrumsleiter Oberstabsfeldwebel Wolfgang Dreher ist man 365 Tage rund um die Uhr für Angehörigen erreichbar: "Wir unterstützen vertraulich und persönlich, informieren über die Lage im Einsatzgebiet und stellen in Notfällen den Kontakt ins Einsatzland her." Unterstützt werden die Betreuungsstellen vom "Netzwerk der Hilfe", das sich aus Sozialdienst der Bundeswehr, der Militärseelsorge, dem Truppenpsychologischen Dienst, Behörden, Verbänden und ehrenamtlichen Institutionen zusammensetzt. ek "Wir sind nun mal keine Maschinen."

Stabsfeldwebel

Jan Johmann

Hintergrund

Die Saarlandbrigade schickt etwa 650 Soldaten nach Afghanistan. Von den sechs in der Zweibrücker Niederauerbach-Kaserne stationierten Kompanien stellen fünf Personal ab, etwa 450 Soldaten. Dazu kommen rund 200 aus Lebach, Saarlouis und Merzig. Rund 540 Männer sind in Kundus stationiert, der Rest in Masar-i-Sharif. Von Januar bis August werden die Soldaten jeweils sechs Monate im Einsatz sein. Bei den bisherigen Afghanistan-Einsätzen hatte das Bataillon fünf Todesopfer zu beklagen.

 Auch im Angesicht tödlicher Gefahren - die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan müssen den Blick immer nach vorne richten. Foto: dpa

Auch im Angesicht tödlicher Gefahren - die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan müssen den Blick immer nach vorne richten. Foto: dpa

Aufgabe in Afghanistan ist es, gemeinsam mit afghanischen Sicherheitskräften (das sieht das "Partnering-Konzept" erstmals so vor) für Stabilität zu sorgen, etwa Patrouille zu fahren oder in Orte zu gehen, in denen Aufständische vermutet werden. ek

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