Das Trauma des Exils

Burbach. 8000 bosnische Muslime wurden im Juli 1995 ermordet: Die Soldaten des Generals Ratko Mladic erschossen sie oder schnitten ihnen die Kehle durch, schändeten viele der Leichen und warfen sie in Massengräber. Die Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen leisteten den bosnisch-serbischen Angreifern kaum Widerstand

 Um der Opfer des Massakers von Srebrenica zu gedenken, pflanzten bosnische Flüchtlinge einen Ginkgobaum in Burbach. Archivfoto: Drk

Um der Opfer des Massakers von Srebrenica zu gedenken, pflanzten bosnische Flüchtlinge einen Ginkgobaum in Burbach. Archivfoto: Drk

Burbach. 8000 bosnische Muslime wurden im Juli 1995 ermordet: Die Soldaten des Generals Ratko Mladic erschossen sie oder schnitten ihnen die Kehle durch, schändeten viele der Leichen und warfen sie in Massengräber. Die Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen leisteten den bosnisch-serbischen Angreifern kaum Widerstand. Das Massaker von Srebrenica im Bosnienkrieg gehört zu den fürchterlichsten Kriegsverbrechen. Einige Muslime konnten aus Bosnien fliehen - und kamen im Saarland unter. Hier sind sie sicher. Doch die Vergangenheit lässt viele nicht los und erschwert ihnen das Einleben in Deutschland. Wolf Bernhard Emminghaus, Psychologe im Burbacher Beratungszentrum des Roten Kreuzes, hat am zehnten Jahrestag des Massakers mit den Flüchtlingen einen Ginkgobaum gepflanzt und eine Gedenktafel angebracht.Eine Hilfe beim Verarbeiten der Erfahrungen sollte diese Aktion sein, aber auch ein Zeichen der Solidarität. Ein Symbol dafür, dass das Schicksal der Flüchtlinge in der neuen Heimat beachtet wird. Emminghaus, ein erfahrener interkultureller Psychologe, weiß, was Einwanderer bewegt. Neben traumatisierten Flüchtlingen - die gleichzeitig lernen müssen, ihre Erlebnisse zu verarbeiten und sich in Deutschland zurechtzufinden - betreut der 62-Jährige andere Migranten-Gruppen. Er macht Integrationsprobleme nicht nur an Sprachkenntnissen fest: "Die Ursachen liegen tiefer, sind psychologischer Natur: Vielen macht das Trauma des Exils so zu schaffen, dass sie nicht in der Lage sind, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren. Es fehlt ihnen die Kraft dazu."

Das Trauma des Exils, sagt Emminghaus, wurzelt in einem Kulturschock: "Für viele Einwanderer ist Deutschland eine völlig andere Welt - in der alles, was sie gelernt und geleistet haben, nichts zählt. Deshalb fallen sie erst einmal in ein Loch und können eine Anpassungsstörung entwickeln." Die Einwanderer müssten mühsam lernen, ihre Leistungen in Deutschland positiv zu bewerten. Wenn sie hier einen schlechter dotierten Job bekommen, sollten sie trotzdem stolz auf sich sein, "weil sie sich alles neu erarbeiten müssen". Unterschiede, selbst Kleinigkeiten, wirkten sich stark aus, weil sie immer persönlich genommen würden: "Wenn die Nachbarn im Gespräch eine größere Distanz wahren oder gar nicht erst grüßen, sind Migranten gekränkt und fühlen sich nicht akzeptiert. Das gilt umgekehrt auch für Einheimische, etwa wenn für Einwanderer Pünktlichkeit zweitrangig ist, und kann zu Konflikten führen." Erschwerend komme das deutsche Paragraphen-Dickicht hinzu: "Viele Einwanderer haben damit arg zu kämpfen. Sie kommen als Menschen - und sehen sich auf Rechtssubjekte reduziert."

Eine weitere Integrationsblockade - neben den speziellen Problemen der Einwanderer-Gruppen: Bei bestimmten Ereignissen kommen zum Beispiel die Traumata muslimischer Flüchtlinge hoch: "Moslems, die ethnisch verfolgt wurden, fühlen sich nach Ereignissen wie dem 11. September und der Berichterstattung darüber stigmatisiert. Sie denken: 'Jetzt sind wir wieder an allem schuld.'" Deshalb sei es zunächst verständlich, dass Einwanderer oft unter sich blieben: "Die Landsleute geben ihnen Halt in einer fremden Umgebung. Allerdings sollten sie die eigene Gruppe nur als sicheren Hafen nutzen, von dem aus sie ihre neue Heimat erkunden - und sich nicht wie ein ängstliches Kind festklammern." Emminghaus schätzt den Integrationsdruck als "sehr hoch" ein; gleichzeitig würden die Anstrengungen vieler Einwanderer, sich zu integrieren, nicht angemessen gewürdigt: "Integration erfordert eine große Anpassungsleistung. Es ist wichtig, dass wir Einwanderer dabei unterstützen, Verständnis sowie Nachsicht aufbringen - und vor allem neugierig bleiben."

Auch wenn die Angst vor dem Fremden in jedem Menschen stecke: "Es liegt in unserer Natur, zu unterscheiden: Wer gehört zu mir - und wer nicht? Das ist kein Problem, sondern hilfreich, schafft Geborgenheit. Allerdings muss man damit umgehen können, wenn man Fremden begegnet: Ihnen einen Vertrauensvorschuss schenken und die Spannung herausnehmen, zum Beispiel mit Humor."

Man müsse eine Kommunikationssituation schaffen, in der ein entspanntes Miteinandersprechen und Kennenlernen möglich sei. Eine Situation, in der beide Seiten Fragen stellen, ihre Wünsche ausdrücken - und Fehler machen können, sagt Emminghaus. Gleichwohl geht nichts ohne gegenseitige Rücksichtnahme: "Unter Umständen müssen die Beteiligten auf etwas verzichten, damit das Zusammenleben gut funktioniert - etwa auf einen laxen Umgang mit Pünktlichkeit." Foto: drk

Stichwort

Das DRK hilft gegen persönliche Integrationshemmnisse (BPI). Das vom Land geförderte Programm umfasst psychologischen Rat, Motivationsarbeit und interkulturellen Dialog. gha

Weitere Informationen nach einer Mail an Anagnostakouk@lv-saarland.drk.de

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