Das sitzende Kind im Paradies

Völklingen · Pochoirs sind Graffiti, die mit Hilfe von Schablonen entstehen. Ein solches hat jetzt der bekannte Streetart-Künstler Jef Aérosol im Weltkulturerbe Völklinger Hütte hinterlassen – allerdings nur auf Folie.

 Jef Aérosol beklebte im „Paradies“ eine Wand mit einer seiner Arbeiten. Foto: Oliver Dietze

Jef Aérosol beklebte im „Paradies“ eine Wand mit einer seiner Arbeiten. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Nach dem New Yorker Cope2 kam jetzt mit Jef Aérosol ein zweiter Streetart-Veteran persönlich in der Urban-Art-Ausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte vorbei. Der 57-Jährige, der aus Saarbrückens Partnerstadt Nantes stammt und seit 1984 in Lille lebt, hat als einer der ersten in Frankreich Graffiti mit Pochoirs (Schablonen) gesprüht. Sein berühmtestes Motiv ist das "sitting kid", ein kleiner Junge, der mit angezogenen Knien, um die er die Arme schlingt, scheinbar betrübt am Boden sitzt. "Er trägt die Last der Stadt, ihre Probleme und ihre Einsamkeit", hat Aerosol über diesen Knirps einmal gesagt. Den findet man heute an Hauswänden in vielen Großstädten Westeuropas und der USA, sogar an der Chinesischen Mauer und seit Dienstag auch im "Paradies", der früheren Kokerei der Völklinger Hütte. Live und in Farbe konnte man zusehen, wie der Künstler sein prototypisches Schwarz-Weiß-Motiv an die Mauer klebte und dazu das Motiv eines Zeitungsjungen von Anfang des vorigen Jahrhunderts. Aus Respekt vor dem Denkmal wollte er seine Arbeit nicht direkt auf die Wand sprühen, sondern habe sie im Atelier auf selbstklebender Folie vorgefertigt, erklärte Aérosol. Wer genauer wissen will, wie er arbeitet, findet aber im Internet dazu mehrere Filme. Ein Konzert von The Clash in Paris im Jahr 1981, bei dem der Graffiti-Künstler Futura live eine Wand besprühte, hat Aérosol einst dazu gebracht, Sprühdose, Schablonen-Technik und menschliche Motive zu kombinieren. Aérosol, persönlich kein Kind von Traurigkeit, ist tief in der Rock- und Pop-Kultur verwurzelt. Sein "sitting kid" sitzt auf seinen Bildern oft neben Ikonen wie Bob Dylan, John Lennon, Gandhi oder - so etwa in der Völklinger "Urban Art"-Schau - Jean-Michel Basquiat. Die will er nicht unbedingt auf neue, originelle Art darstellen, betont Aérosol, der oft Plattencover als Vorlage nutzt. Sein Ziel sei es, Emotionen zu wecken und mit dem Betrachter zu teilen. Wenn er eine Pop-Ikone mit Pochoir-Technik schaffe, sei es für ihn fast wie früher, wenn man einen Bravo-Starschnitt an die Jugendzimmerwand pinnte.

Besonders Andy Warhol und die Pop Art habe ihn fasziniert, erzählt er in Völklingen, wo er sich nicht nur deshalb gut aufgehoben fühlt, weil Generaldirektor Meinrad Maria Grewenig der Pop Art viele große Ausstellungen widmet. Die Industriekathedrale fasse alles an Symbolik zusammen, worum es der Urban Art gehe, schwärmt Aérosol: Sie wolle ja die Wände zwischen draußen und drinnen, Galerien und Straße, Kunstmilieu und museumsfernen Publikum einreißen.

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