Tourismus „Das Saarland kann locker mithalten“

Saarbrücken · Die Gästezahlen steigen. Die Leiterin der Tourismuszentrale erklärt, warum das Saarland trotzdem nie zum Ballermann werden kann.

 Birgit Grauvogel im Innenhof des Saarbrücker Wirtschaftsministeriums. Dort ist die Tourismus Zentrale Saar (TZS) untergebracht.

Birgit Grauvogel im Innenhof des Saarbrücker Wirtschaftsministeriums. Dort ist die Tourismus Zentrale Saar (TZS) untergebracht.

Foto: Iris Maria Maurer

Sie ist in Saarbrücken geboren, doch zunächst tat Birgit Grauvogel (50) etwas für den Eifel-Tourismus, war Geschäftsführerin der Naheland Touristik in Kirn. 2002 übernahm sie die Geschäftsführung der an das Saar-Wirtschaftsministerium angebundenen Tourismus Zentrale Saarland (TZS). In ihrer Amtszeit vollzog sich bundesweit ein rasanter touristischer Aufschwung. Auch im Saarland erhöhte sich die Zahl der Gäste um 50 Prozent, die der Übernachtungen um 36,6 Prozent. Grauvogel lebt mit ihrem Partner in Saarbrücken, zu ihrem Arbeitsplatz im Wirtschaftsministerium fährt sie mit dem Rad. Auch im Urlaub tritt sie fast immer in die Pedale, am liebsten in Italien, zur Zeit in der Bretagne.

Sie sind eine klassische Radtouristin?

GRAUVOGEL Das hat sich so entwickelt. Ich bin weniger gern mit dem Flieger unterwegs. Ich nehme das Rad mit, das geht per Schiff oder mit dem Zug sehr gut, und wir haben dann das Zelt dabei.

Also ist da nichts mit Luxus-Gastronomie und Wellness-Oasen?

GRAUVOGEL Beruflich, etwa bei Tagungen, ist man ja oft in den guten Häusern. Ich bin tatsächlich eher die aktive Urlauberin, das Naturerlebnis und die Unabhängigkeit stehen im Vordergrund. Es geht dabei weniger ums Campen an sich, wir suchen uns auch Bed-and-Breakfast-Unterkünfte, familiäre Betriebe. Dafür schaue ich schon mal in Reiseführer.

Welchen Kollegen vertrauen Sie denn?

GRAUVOGEL Wer sehr gute Reiseführer macht, wenn man sich seinen Urlaub selbst organisieren will, ist der Michael Müller Verlag.

Italien ist Ihre Lieblings-Zielregion. Herrscht dort die Wohlfühlkultur, die Sie als Touristik-Chefin auch dem Saarland wünschen würden?

GRAUVOGEL Wenn man genauer hin guckt, sieht mach auch in Italien Probleme. Viele Orte haben manchmal sogar gar keinen Tourismus, das ist dann schon eher wie bei uns. Andererseits ist es das, was unsere Gäste auch durchaus schätzen. Massentouristische Phänomene trifft man hier im Saarland nicht an. Das gefällt den Menschen gut. Oft haben sie überhaupt keine Vorstellung vom Saarland und kommen genau deshalb hierher, sie wollen uns entdecken. Damit können wir punkten, insbesondere bei Reiseanbietern. Die wollen ihren Stammkunden unbekannte neue Regionen anbieten. Wir sind eine Region, die einen speziellen Charme hat, das hören wir immer wieder. Viele äußern sich begeistert. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass man keine hoch gesteckten oder konkreten Erwartungen mitbringt, anders, als wenn man nach Venedig oder New York reist, wo man Bilder mit hin nimmt.

So toll ist das mit der Begeisterung dann auch wieder nicht, wenn laut einer Umfrage nur 29 Prozent der Gäste wieder hierher kommen wollen. Was läuft falsch?

GRAUVOGEL Man muss den Gästen den Eindruck vermitteln, sie haben noch nicht alles gesehen, was nicht einfach ist. Denn im Saarland muss keiner große Strecken zurücklegen wie in der Eifel oder in der Lüneburger Heide. An einem Wochenende kann man bei uns sehr viel mehr unternehmen als dort, ohne Hast und Stress.

Und meint dann, das Angebot habe sich erschöpft?

GRAUVOGEL Dagegen wirkt ein Instrument wie die Saarland Card. Viele schauen sich vor ihrer Anreise gar nicht so groß an, was sie hier machen können. Die Saarland Card zeigt ihnen, was alles möglich ist, und sie sagen: Wir müssen wiederkommen.

In Ihrer Amtszeit gab es einen immensen Aufschwung. Ist ein Wachstum ohne Ende Ihr Ziel, sollen wir zum Ballermann werden?

GRAUVOGEL Das wird nie passieren. Das tritt nur ein, wenn Sie Hotelkapazitäten ohne Ende haben, und das werden wir im Saarland nie haben. Es ist wichtig, eine Attraktivität über die Jahre zu entwickeln, es gibt auch Moden im Freizeitverhalten, die muss man aushalten oder nutzen. Das ist die Aufgabe einer Destination, genau das zu managen, mit den Partnern aus der Stadtentwicklung, der Kultur, der Landwirtschaft, mit den Genusspartnern. Dieses Zusammenspiel versuche ich wie eine Art Dirigentin hinzubekommen. Die konstruktive Zusammenarbeit, die ist hier gelungen, das ist der eigentliche Erfolg.

Zur gleichen Zeit hat der Tourismus auch im Bund zugelegt, sogar um 12 Prozent mehr als bei uns. Ist es dann doch nicht so außergewöhnlich, was die TZS geschafft hat?

GRAUVOGEL 50 Prozent – welche andere Wirtschaftsbranche verfügt über solche Zuwächse? Im Vergleich zum Bund werden Äpfel mit Birnen verglichen. Deutschland insgesamt bietet mehr Möglichkeiten für die verschiedenen Nachfragesegmente, etwa für Küsten- oder Skiurlaub. Zum anderen sind zum Beispiel an der Ostseeküste sehr viele neue Kapazitäten entstanden und auch der Metropolentourismus in Hamburg, Berlin, München ist explodiert. In den ländlichen Räumen in anderen Mittelgebirgen geht der Tourismus zum Teil seit Jahren zurück. Doch wir gehören zu den Regionen, die noch in der Wachstumsphase sind, etwa in der Bearbeitung des europäischen Auslandes.

Was sagen Sie zum Vorwurf, der Bostalssee habe alle Fördergelder abgesahnt? Von der Hotellerie im Bliesgau hört man, dass man sich abgehängt fühlt.

GRAUVOGEL Das Bostalsee-Freizeitangebot ist über 40 Jahre gewachsen, die Biosphären-Zertifizierung haben wir seit 2009. Da haben wir beziehungsweise der Kreis für die nächsten Jahre noch einiges zu tun und was vor. Das Wanderwegekonzept wird überarbeitet, und in dieser Gegend wird man sicher besonders intensiv an Beherbergungsangeboten arbeiten müssen. Unter dem Thema „Fahrziel Natur“ bietet uns die Deutsche Bahn einen bundesweiten Vermarktungskanal. Ein kleines Bettenangebot wie am Wintringer Hof, das ganz toll ist, reicht dafür nicht. So was bräuchte man in der Größe von 30 Zimmern und mit Bahnanbindung.

Man hat den Eindruck, dass der Tourismus als neuer Heilsbringer gesehen wird. Wenn Kommunen nichts mehr einfällt, stellt man einen Tourismusbeauftragten ein. Ist es sinnvoll, dass sich das jede Kommune leistet?

GRAUVOGEL So viele sind es ja gar nicht. Ich nenne das Innenmarketingmaßnahmen. Ich versuche, folgende Sicht zu vermitteln: Tourismus ist ein Dienstleistungssektor, er hat endogene Effekte. Es ist ein Wirtschaftszweig, der Arbeitsplätze bringt und hält, sie werden nicht ins Ausland verlegt. Es werden Jobs geschaffen, die durchaus hochwertig sind. Wir brauchen Menschen, die auf Niederländisch, Französisch oder Englisch Gruppen auch mal auf Wandertouren begleiten. Die müssen was erzählen, was Hand und Fuß hat. Als Hotel oder Tourismusorganisation holen Sie sich Service und Produkte in der Region, etwa die Frühstücksbrötchen beim Bäcker um die Ecke. Deshalb haben wir ja auch unter anderem das Label Genussregion geschaffen. Dadurch werden lokale Wirtschaftskreisläufe erhalten, reanimiert oder auch erst aktiviert. Der Tourismus ist ein Wertschöpfung bringender Zweig, und er wird nur dort zu Ergebnissen führen, wo man ihn professionell angeht. In der Bundesliga käme niemand auf die Idee, mit einer Amateurmannschaft irgendeinen Blumentopf gewinnen zu wollen und auch in einem Tiefbauamt würden Sie nie einen Fachfremden einstellen. Tourismus ist ein Geschäft, das Sie kompetent betreiben müssen. Dafür können Kommunen sich auch zu Arbeitsgemeinschaften zusammenschließen.

Wie effektiv sowas läuft, sieht man bei der Verwaltungsreform-Debatte – ein frommer Wunsch.

GRAUVOGEL Aber hier profitieren wir touristisch doch immer im Ganzen. Wenn jemand eine Ferienwohnung im Bliesgau hat, ist die Fahrt an den Bostalsee kein Thema. Für die Saarländer sind die Wege weit, für unsere Gäste nicht. Aber der Gast kommt nicht von allein. Wenn ich als Kommune Potenzial habe und schöpfe es nicht aus, dann ist das  bedauerlich. Der ländliche Raum sollte seine Potenziale besser nutzen. Heute zieht beispielsweise ein Thema wie Stille, Leben ohne Autolärm. Als Kommune, die genau hier Stärken hat, kann man sehr wohl punkten, wenn man das nach vorne schiebt bei den Angeboten. Aus einem angeblichen Nachteil lässt sich ein Vorteil machen.

Das klingt so, als sei der Tourismus der neue Heilsbringer und Problemlöser für alles.

GRAUVOGEL Das kann er nie allein sein. Wenn alles drum herum nicht funktioniert, wird der Tourismus erst recht nicht funktionieren. Das wird bei uns nicht so werden, weil wir relativ dicht besiedelt sind, die Stadt-Land-Beziehung selbst im nördlichen Hochwald noch gut ist. Aber Kollegen aus dem Frankenwald oder dem Erzgebirge, die kämpfen darum, dass ihre Infrastruktur nicht kaputt geht. Wenn der Gast merkt, dass die Bürger selbst in ihrem Umfeld nichts unternehmen, dass nichts los ist, gefällt ihm das nicht. Was unseren Lebenszyklus als Urlaubsland angeht, sind wir im Saarland in einer guten Phase, wir steigen noch auf. Das war an der Nord- und Ostseeküste oder im Schwarzwald schon ganz anders. Die mussten sich ganz neu erfinden.

Wie sieht denn das Label der Zukunft für das Aufsteigerland Saarland aus?

GRAUVOGEL Wir haben bereits jetzt die Begriffe entwickelt: entdecken, erleben, erinnern. Was die Leute heute suchen, sind schöne Erlebnisse, Emotionen. Wir bauen kleine Geschichten auf über das, was das Saarland ausmacht. Charme, gute Küche, schöne Wanderwege, dass man sich hier Zeit nimmt, die Leute ein französisches Lebensgefühl haben, der Aufenthalt eine angenehme Atmosphäre hat. In diese Richtung versuchen wir die Menschen zu inspirieren. Unsere Mentalität kennen zu lernen, schätzen die Gäste, unabhängig davon, ob sie campen oder in einem Fünfsternehaus wohnen. Menschen wollen was Sinnhaftes, wollen Nachhaltigkeit. Das bedeutet, eine schöne Erinnerung mitzunehmen. Das ist für uns die höchste Währung.

Was ist der größte Abschreckungsfaktor für Touristen? Wann sagen die: Da fahre ich nie mehr hin?

GRAUVOGEL Wenn es dreckig ist. Sauberkeit ist das Topthema. Über diesen Punkt beklagen sich die Leute am meisten bei ihren Reiseveranstaltern. Dieses Kriterium betrifft alles, es geht um visuelle Attraktivität.

Je geschniegelter es aussieht, umso wohler fühlt sich der Gast?

GRAUVOGEL Nicht ganz. Es darf keinesfalls überkandidelt sein, es muss passen. Wir haben ein Projekt aufgelegt, den Atmosphäre-Check. Wir sehen uns mit den Augen der Gäste in Orten um. Ob es Dreckecken gibt, und wie man den Blick davon ablenken kann, sind die öffentlichen Plätze zugeparkt oder mit Unkraut zugewuchert. Eingriffe nutzen nicht nur dem Urlaubsgast. Es geht um Lebensqualität für alle, auch für die Bürger.

 Interviewtermin im Büro von Birgit Grauvogel mit SZ-Reporterin Cathrin Elss-Seringhaus.

Interviewtermin im Büro von Birgit Grauvogel mit SZ-Reporterin Cathrin Elss-Seringhaus.

Foto: Iris Maria Maurer

Was hören Sie, wenn Sie Opinionleaders betreuen, Reisejournalisten oder Chefredakteure von Gastro-Magazinen?

GRAUVOGEL Keiner kommt mehr auf die Idee, dass wir das Land der rauchenden Schlote sind, das glauben eher noch die Saarländer selbst. Es ist uns in 20 Jahren gelungen, das Image sehr stark zu verändern. Die meisten Gäste reisen nicht mit negativen Vorstellungen an, sondern mit einem neutralen Blick. Und sie fahren weg und sagen, sie sind sehr positiv überrascht worden. Wir Saarländer können ruhig selbstbewusster sein. Wir können mit anderen Regionen locker mithalten. Wichtig ist nur, dass wir das, was da ist, pflegen, als Wert erkennen und erhalten.

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