„Das Risiko zu verbluten ist viel größer“

Homburg · Terroranschläge stellen Ärzte und Kliniken vor neue Herausforderungen. Der Unfallchirurg Tim Pohlemann erläutert die Schwierigkeiten.

 Die Lage nach Terroranschlägen, wie hier auf dem Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche im Dezember 2016, ist häufig unübersichtlich. Das stellt die Rettungskräfte vor Probleme. Foto: Kappeler/dpa

Die Lage nach Terroranschlägen, wie hier auf dem Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche im Dezember 2016, ist häufig unübersichtlich. Das stellt die Rettungskräfte vor Probleme. Foto: Kappeler/dpa

Foto: Kappeler/dpa

Bei einem Terroranschlag gibt es oft sehr viele Schwerverletzte. Dann zählt jede Minute. Professor Tim Pohlemann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) und Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Widerherstellungschirurgie am Universitätsklinikum in Homburg, hält die medizinische Versorgung in Deutschland für exzellent. Doch er sieht auch noch Nachbesserungsbedarf.

Herr Pohlemann, inwiefern unterscheidet sich die medizinische Versorgung nach einem Terroranschlag von der nach einem Unfall?

Pohlemann Wir haben es dabei mit ganz anderen Verletzungen zu tun, für die wir im zivilen Bereich so gut wie keine Erfahrungen haben. Das sind zum Beispiel Explosionsverletzungen oder Schussverletzungen, und zwar nicht mit zivilen, sondern mit militärischen Waffen. Bei dieser Art von Verletzungen ist das Risiko eines akuten, unmittelbaren Verblutens viel größer. Deshalb sind auch andere chirurgische Techniken gefragt. Wir bieten in Homburg seit vielen Jahren im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) entsprechende chirurgische Trainingskurse an.

Welche Schwierigkeiten haben die Rettungskräfte vor Ort?

Pohlemann Die Lage vor Ort ist in der Regel sehr unübersichtlich. Während bei einem Unfall die Schadensstelle klar in sichere und unsichere Bereiche gegliedert werden kann, ist bei Anschlägen in den ersten ein, zwei Stunden vollkommen unklar, wo man Patienten sicher versorgen kann und wo nicht, weil etwa noch geschossen werden könnte. Außerdem können sehr viele Verletzte anfallen. Man kann aber nicht 20 sofort Operationsbedürftige in eine einzelne Klinik bringen, die dort nicht unmittelbar versorgt werden können. Deshalb brauchen wir, zum Beispiel mit der Zwischenstation Uniklinik, Konzepte, wie Patienten, die schlimm, aber nicht lebensbedrohlich verletzt sind, großräumig zur endgültigen Behandlung verteilt werden können.

Ist Deutschland, und im Besonderen das Saarland, gut auf Terroranschläge vorbereitet?

Pohlemann Unsere Infrastruktur ist exzellent, Deutschland ist weltweit führend in der Notfallversorgung. Aber wir brauchen Konzepte, wir müssen das so koordinieren, dass es auch in unübersichtlichen Lagen sehr gut funktioniert. Wir brauchen Änderungen im Rettungsdienst, eine andere Zusammenarbeit mit der Polizei und eventuell eine militärisch-zivile Zusammenarbeit. Die Bundeswehr hat durch ihre Auslandseinsätze mehr Erfahrung mit solchen Verletzungen. Die Anti-Terrorübung, die im März in Saarbrücken stattgefunden hat, war ein wichtiger Schritt. Das heißt, es besteht im Saarland auch der politische Wille, diese Zusammenarbeit nach vorne zu bringen.

Wo muss im Detail noch nachgebessert werden?

Pohlemann Es gibt bislang zu wenige Übungen. Wir haben zwar im Saarland seit März letzten Jahres eine Dienstanweisung des Gesundheitsministeriums für alle Krankenhäuser, dass solche Übungen gemacht werden müssen. Es ist aber absolut unklar, wer das finanziert. Bei einer großen Übung in einem großen Haus ist mit etwa 100 000 Euro zu rechnen. Die Krankenkassen winken schon ab, was auch verständlich ist, weil es im Grunde eine Daseinsfürsorge-Aufgabe ist. Von daher ist die Politik gefragt. Konsequent wäre es, zu sagen, weil wir eine andere Bedrohungslage haben, müssen wir hier aufrüsten, so wie ja auch bei der Polizei aufgerüstet wurde.

Welche Rolle spielt das Trauma-Netzwerk Saar-Lor-Lux-Westpfalz bei dem Ganzen?

Pohlemann Es ist Teil eines bundesweiten Netzwerks, das die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie gegründet hat. Das Netzwerk ist die Basis für die Interaktion der Krankenhäuser, es dient dem Erfahrungsaustausch und der Fortbildung. Aber es ist die private Initiative einer Fachgesellschaft. Nur in Schleswig-Holstein wird es über die Kassen gefördert, in keinem anderen Bundesland. Wir haben im Saarland mehrfach Versuche unternommen, dass wir zumindest eine Grundfinanzierung bekommen. Das Gesundheitsministerium würde es auch unterstützen, aber die Kassen lehnen noch ab.

Die Fragen stellte Nora Ernst

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 Tim Pohlemann Foto: Rüdiger Koop /Universitätsklinikum

Tim Pohlemann Foto: Rüdiger Koop /Universitätsklinikum

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Gesundheitskongress in Saarbrücken Heute und morgen findet in der Saarbrücker Congresshalle der Gesundheitskongress "Salut! Dasein gestalten" statt. Zu dem Kongress, der sich an ein Fachpublikum wendet, werden rund 150 Referenten aus ganz Deutschland und 700 Teilnehmer erwartet. Professor Tim Pohlemann nimmt morgen im Rahmen des Kongresses an einer Diskussionsrunde über die Herausforderungen in der medizinischen Versorgung bei Terroranschlägen und Großkatastrophen teil.

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