"Das Klima ist nicht käuflich"

Wie beurteilen Sie das Ergebnis des Rio-Nachhaltigkeits-Gipfels: Scheitern die Vernunft und das Gewissen an dem Zwang zur Profitmaximierung?Wiegandt: Sie haben völlig Recht: Rio ist gescheitert daran, dass die Regierungen immer noch befürchten, dass Nachhaltigkeit Wachstum kostet. Und damit die Ergebnisse von Unternehmen schmälert und weniger Staatseinnahmen einbringt

Wie beurteilen Sie das Ergebnis des Rio-Nachhaltigkeits-Gipfels: Scheitern die Vernunft und das Gewissen an dem Zwang zur Profitmaximierung?Wiegandt: Sie haben völlig Recht: Rio ist gescheitert daran, dass die Regierungen immer noch befürchten, dass Nachhaltigkeit Wachstum kostet. Und damit die Ergebnisse von Unternehmen schmälert und weniger Staatseinnahmen einbringt. Dass wir in unseren Gesellschaften inzwischen total abhängig sind vom Wirtschaftswachstum, ist eines der Grundübel, das wir lösen müssen. Die Finanzwelt hat an Nachhaltigkeit überhaupt kein Interesse. Die Finanzwelt kämpft um den Erhalt ihres Spielcasinos, in dem sie weiter Gewinne realisieren und Verluste sozialisieren dürfen. Daran ist der Rio-Gipfel gescheitert. Das Papier, das herausgekommen ist, ist vage in den Zielsetzungen.

Jedermann kann inzwischen wissen, dass die Erde bei einer Fortführung des derzeitigen Wirtschaftens für den Menschen in Kürze zu einem Katastrophenort wird. Doch die Zerstörung der natürlichen Basis geht weiter. Sehen Sie dennoch einen Hoffnungsschimmer?

Wiegandt: Ich habe Hoffnung, weil ich glaube, wir müssen den Entscheidungsträgern, die die Welt steuern, klar machen: Es gibt ein vorrangiges Problem. Das ist der Klimawandel. Darauf müssen wir uns konzentrieren und können andere Probleme ein bisschen in den Hintergrund stellen, weil wir mehr Zeit haben, die zu lösen. Beim Klimawandel, wenn er dramatisch wird, wird es um das Leben vieler, vieler Menschen auf dieser Welt gehen. Wir müssen den Menschen in den Demokratien, die eine Stimme haben, klar machen, das dieser Prozess irreversibel ist und wir noch ein Zeitfenster von etwa zehn Jahren haben, wie Wissenschaftler sagen. Es wird keine Insellösungen geben, weder für Staaten noch für den Einzelnen. Das Klima ist nicht käuflich. Das kann man auch mit Geld nicht kaufen. Wenn dieser Klimawandel eintritt, wird es fürchterlich für alle. Nicht nur für die, die kein Geld haben.

Die Autoindustrie, Deutschlands Industriebasis, setzt seit 125 Jahren auf die Museumstechnologie Verbrennungsmotor, in der Informationstechnologie sind die Entwicklungsschritte wesentlich rasanter: Fehlt es an genialen Ingenieuren oder spielen die Chefetagen der Autobauer falsch?

Wiegandt: Die leben in einer anderen Welt. Die bauen Autos so, als gäbe es kein Klimaproblem, kein Nachhaltigkeitsproblem. Die gehen in die Schwellenländer und verkaufen ihre großen Schlitten und sind ganz stolz auf die Zuwachsraten, die sie haben. Mercedes baut große Lkw-Fabriken in China. Was wir in China brauchen, ist eine andere Form der Mobilität. Aber davon lebt die deutsche Wirtschaft, da sind sich alle einig. Hören Sie von den Gewerkschaften mal einen Ton über Nachhaltigkeit? Gar nichts. Weil die Angst haben, weil sie meinen, es geht gegen Arbeitsplätze. Aber wir wissen: bis 2050 werden wir neun Milliarden Menschen sein, bis dahin wird die Welterwerbsbevölkerung sich verdoppeln. Wir werden nicht mit 40-Stunden-Wochen die Weltbevölkerung beschäftigen können, das geht nicht. Wir müssen zu anderen Arbeitszeitmodellen kommen.

Auch im Saarland gibt es mehrere Nachhaltigkeits-Beamte in der Landesregierung, von deren Arbeit der Bürger wenig hört: Dienen die nur als Zierde?

Wiegandt: Die kenne ich nicht. Aber in den letzten drei Jahren hat sich im Saarland überhaupt nichts mehr getan. Das war alles lahm gelegt durch Parteienstreit untereinander. Da waren die großen Bremser der FDP, aber auch die Grünen waren nicht förderlich. Aber jetzt ist eine handlungsfähige Regierung da, so dass ich der guten Hoffnung bin, dass sich auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit etwas tun wird.

Sie veranstalten diese Woche in Otzenhausen ein Seminar mit Experten aus der "Champions League" der Wissenschaft, um auf die Probleme des Klimawandels oder des Wachstumsglaubens einzugehen. Welchen nachhaltigen Nutzen versprechen Sie sich davon? Wäre Ihr Geld nicht besser angelegt, wenn Sie Parteien unterstützten, die eine Änderung der naturzerstörerischen Wirtschaftsordnung anstreben?

Wiegandt: Wir müssen die Zivilgesellschaft wachrütteln. Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die ein solches Seminar zum Anlass genommen haben, in ihrem persönlichen Umfeld zu diskutieren.Foto: Privat

Hintergrund

Nachhaltige Entwicklung. Die globale Herausforderung dieses Jahrhunderts heißt die Seminarreihe, die morgen um 11 Uhr in der Europäischen Akademie Otzenhausen beginnt. Der Eintritt ist frei. Informationen unter: www.mut-zur-nachhaltigkeit.de

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