"Das kann doch nicht wahr sein!"

Saarbrücken. In jeder Image- und Tourismusbroschüre wirbt die Landeshauptstadt mit ihrer lebendigen freien Kunst- und Kulturszene. Und lässt sie doch jedes Jahr aufs Neue erst mal zittern. Zu Jahresbeginn, auch 2010 wieder, kann niemand sagen, wann und ob überhaupt die Kulturschaffenden die Fördermittel für Spielstätten und geplante Produktionen erhalten

Saarbrücken. In jeder Image- und Tourismusbroschüre wirbt die Landeshauptstadt mit ihrer lebendigen freien Kunst- und Kulturszene. Und lässt sie doch jedes Jahr aufs Neue erst mal zittern. Zu Jahresbeginn, auch 2010 wieder, kann niemand sagen, wann und ob überhaupt die Kulturschaffenden die Fördermittel für Spielstätten und geplante Produktionen erhalten. Weil der städtische Haushalt vom Land genehmigt werden muss, was sich bis zum Herbst hinziehen kann. Nach zähem Ringen griffen die Kommunalpolitiker in denletzten Jahren zu einer Notlösung: So beschlossen sie zuletzt 2009 auf Antrag von FDP und CDU einhellig, die im Haushaltsentwurf veranschlagten Mittel für Kultur im Vorgriff auf die Haushaltsgenehmigung zu 100 Prozent zur Verteilung freizugeben. Das steht jetzt schon wieder auf der Kippe. Ein solcher Antrag steht nämlich auch am kommenden Dienstag wieder auf der (öffentlichen) Tagesordnung der Stadtratssitzung, als Punkt 20.1. Ob er durchkommt, ist allerdings fraglich. Denn als die FDP diesen Antrag jüngst im Kulturausschuss einbrachte, plädierten die übrigen Fraktionen für eine Modifizierung. Aus der 100-Prozent-Zusage wurde die relative "soweit es haushaltsrechtlich möglich ist". Nur so sei es juristisch einwandfrei, begründet es Michael Jung von der CDU-Fraktion, gegenüber der SZ. Eine Meinung, der sich Rot-Rot-Grün im Kulturausschuss anschloss. Die Summe, um die es geht: rund 250 000 Euro. "Das kann doch nicht wahr sein", entfährt es Dieter Desgranges, dem künstlerischen Leiter des Theaters im Viertel. "Vor den Wahlen gab es große Versprechungen, und wenn sie jetzt noch nicht mal das Übliche beibehalten, wo ist dann die Glaubwürdigkeit des Koalitionsvertrags?", so das TIV-Urgestein. "Wenn das nicht beschlossen wird, kann ich mir die Mühe sparen, am Spielplan zu arbeiten, denn dann dürfen wir jetzt gar keine Verträge mit auswärtigen Künstlern abschließen, wofür wir eigentlich gefördert werden." Die frühzeitige Mittelfreigabe ist für das TIV von existenzieller Bedeutung. "Wir dürfen ja nicht gewinnorientiert arbeiten, keine Rücklagen bilden", erklärt Veronika Häfele-Zumbusch, die fürs TIV (ehrenamtlich) die Bücher führt. Ab Januar halte man daher den Betrieb stets nur auf Pump aufrecht, das gehe aber maximal drei Monate lang. "Die Sparkasse gewährte uns kulanterweise immer einen Überziehungskredit, aber nur mit der Aussicht, dass uns die Stadt im März die erste Tranche der Spielstättenförderung überweist". "Die freie Szene braucht die Zusage unbedingt, wir können keine Produktionen machen, wenn wir nicht wissen, dass wir gefördert sind", sagt Stefan Scheib von Liquid Penguin, jüngst mit dem Preis "Hörspiel des Jahres" ausgezeichnet. Nur mit einer sicheren Förderzusage der Stadt könne man außerdem weitere Mittel bei Kulturfonds auf Bundesebene beantragen, ergänzt Schauspieler Martin Huber vom Vorstand des Netzwerks Freie Szene Saar. "Wenn ich dort statt im April erst im August den Antrag einreichen kann, kommt nur noch der Dezember für die Premiere in Frage". Zum Jahresende werden sich dann im TIV die Premieren ballen, prophezeit Dieter Desgranges. "Wir wollen ja alle, dass die Freie Szene das Geld bekommt", betont Michael Jung. Bei nachgewiesener Dringlichkeit könne man im Einzelfall entscheiden. Dringlichkeit sehen die Vertreter der freien Szene jedoch bei allen gegeben - und müssten sich demnach jetzt alle hinsetzen und Bittbriefe schreiben. 2005 hätten alle Fraktionen eine dauerhafte Lösung des Problems versprochen, erinnert Desgranges. "Da muss man sich nicht wundern, wenn die jungen Künstler abwandern, in der Freien Szene sind mittlerweile alle über 45". Und Stefan Scheib meint: "Die Stadt tut wenig dazu, einen zu halten". Meinung

Unnötige Schachzüge

Von SZ-Redakteurin Susanne Brenner Wenn man als Journalistin die Saarbrücker Kulturpolitik über viele Jahre begleitet hat, dann bräuchte man im Prinzip gar keine neuen Artikel zu schreiben. Ein Griff ins Archiv, und man könnte getrost seine alten Texte nochmal verwenden. Denn es ändert sich leider nicht viel in der Kulturpolitik - zumindest nicht zum Besseren. Wie eine Gebetsmühle schreiben wir seit Jahren das Gleiche: Die freie Szene braucht ihr bisschen Geld wenigstens verlässlich. Nachdem es Jahre gab, in denen die Theaterleute sogar Premieren absagen mussten, weil die fest versprochenen Zuschüsse zu spät kamen, gelobten alle Parteien Abhilfe. Und zumindest ihre jeweiligen Kulturausschussmitglieder rangen auch wirklich darum, einen Weg zu finden. Ein paar wenige Jahre schien man endlich einen gemeinsamen Nenner zu haben. Und jetzt wird der schon wieder zerredet. Da kann man als Beobachter nur fassungslos den Kopf schütteln. Teilweise die selben Parteien, die gerade aus Eigennutz und ohne mit der Wimper zu zucken, zwei weitgehend überflüssige Dezernentenstellen besetzt haben, fordern jetzt für die Kulturgelder die Einschränkung "soweit es haushaltsrechtlich möglich ist" und stellen damit alles in Frage. "Wenn bis Herbst keine von allen getragene Lösung gefunden ist, haben alle Parteien versagt". So endete unser Kommentar zum selben Thema vor viereinhalb (!) Jahren. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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