Interview Professor Joachim Schild „Das hat nicht die allergeringste Chance auf Verwirklichung“

Saarbrücken/Trier · Die Forderung, das EU-Parlament in Zukunft nicht mehr in Straßburg tagen zu lassen, ist nach Ansicht des Experten Joachim Schild völlig unrealistisch.

 Professor Joachim Schild, EU-Experte an der Uni Trier und gebürtiger Saarländer

Professor Joachim Schild, EU-Experte an der Uni Trier und gebürtiger Saarländer

Foto: Schild

Der Politikwissenschaftler Joachim Schild ordnet im SZ-Interview die Debatte über die Antwort von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer auf den offenen Brief des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Zukunft der EU ein. Schild, der früher am Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg und bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin forschte, ist seit 2003 Professor an der Uni Trier. Er stammt aus Bliesmengen-Bolchen.

Hat Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihrer Forderung, den Sitz des  EU-Parlaments in Straßburg aufzugeben, Frankreich verärgert, wie Oskar Lafontaine meint?

SCHILD So weit würde ich nicht gehen. Es sind Wahlkampfzeiten. Das Problem bei diesen Texten ist, dass sie auf zwei Registern spielen: Auf der einen Seite sollen sie konstruktive Antworten geben, auf der anderen Seite beim heimischen Publikum punkten. Frau Kramp-Karrenbauer ist klug genug zu wissen, dass ihre Forderung, den Parlamentssitz in Straßburg aufzugeben, nicht die allergeringste Chance auf Verwirklichung hat. Der Sitz in Straßburg ist in europäischen Verträgen verankert. Warum sollte Frankreich sein Vetorecht nicht nutzen? Die Aussage wäre verzichtbar gewesen. Dass das aber zu tiefen Verstimmungen führt, glaube ich nicht. Die Regierungen beider Länder sind professionell genug, um so etwas einordnen zu können.

Können Sie sich vorstellen, dass der Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg irgendwann ein Ende hat?

SCHILD Nein. Man muss sehen, dass Frankreich in den letzten 15 bis 20 Jahren deutlich euroskeptischer geworden ist. Vor diesem Hintergrund käme keiner Regierung, die ein pro-europäisches Credo hat, in den Sinn, eine Kerninstitution in Frankreich aufzugeben.

Und wenn man Straßburg mit einer EU-Behörde entschädigen würde?

SCHILD Das müsste ja eine Institution von vergleichbarem Rang wie das Parlament sein, und da gibt es auf absehbare Zeit nichts zu verteilen.

Zwischen den Vorschlägen Macrons und Kramp-Karrenbauers werden auch an anderer Stelle Unterschiede deutlich. Haben sich beide Staaten im Moment wenig zu sagen?

SCHILD In der Substanz werden unterschiedliche Europa-Vorstellungen vorgetragen. Man muss sehen, dass beide ihre Äußerungen nicht nur an den Partner, sondern im Rahmen des Europawahlkampfes auch an das heimische Publikum gerichtet haben. Wenn das Publikum für Kramp-Karrenbauer in erster Linie die französische Regierung, der Präsident und die Bevölkerung gewesen wären, hätte sie einige Dinge gewiss nicht reingeschrieben.

Was zum Beispiel, außer der Forderung, den EU-Parlamentssitz in Straßburg aufzugeben?

SCHILD Der Verzicht Frankreichs auf den Sicherheitsratssitz zugunsten von Europa ist keine ernstzunehmende Forderung in dem Sinn, dass sie Aussicht auf Verwirklichung hat. Aber so kurzfristig auf die Initiative Macrons zu reagieren und eine Reihe von eigenen Vorschlägen vorzulegen, fand ich angemessener als im September 2017, als aufgrund des Wahlkampfes und der Regierungsbildung keine offizielle Reaktion auf Macrons Rede an der Sorbonne kam.

Eine offizielle Reaktion kann es aber nicht von einer Parteivorsitzenden geben.

SCHILD In Frankreich ist aber schon verstanden worden, dass das ein Schritt war, um Kramp-Karrenbauer als Kanzlerin im Wartestand politisch aufzubauen.

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