Interview mit Alfons Vogtel „Das Geld für mehr Pflegekräfte wäre da“

Saarbrücken · In den Saar-Kliniken fehlen tausende Pflegekräfte. Der Chef der Krankenhausgesellschaft sorgt sich, woher die Bewerber kommen sollen. Eine Lösung: Fachkräfte anwerben. Die derzeitigen Sprachtests nennt er „Blödsinn“.

 Alfons Vogtel fordert, mehr Geld in die Sanierung von Kliniken und nicht nur von Straßen zu stecken. „Andernfalls werden wir in Zukunft über hervorragende Straßen fahren und vor einem Krankenhaus landen, das nur noch von der Farbe zusammengehalten wird.“

Alfons Vogtel fordert, mehr Geld in die Sanierung von Kliniken und nicht nur von Straßen zu stecken. „Andernfalls werden wir in Zukunft über hervorragende Straßen fahren und vor einem Krankenhaus landen, das nur noch von der Farbe zusammengehalten wird.“

Foto: BeckerBredel

Der Ruhestand ist für Alfons Vogtel (66) absehbar. Der Vorsitzende der Saarländischen Krankenhausgesellschaft muss also nicht fürchten, dass es ihm ergehen könnte wie seiner Vorgängerin: Die trat 2017 zurück, weil ihre Aussagen in einem SZ-Interview von anderen Klinikträgern nicht geteilt wurden. Vogtel benennt die Probleme der Saar-Kliniken offen. Er fordert mehr Geld für Investitionen und macht sich Sorgen, ob die Kliniken zusätzliche Pflegekräfte finden – immerhin: Geld dafür wäre aus Vogtels Sicht mittlerweile da. Der ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete ist seit 2007 Geschäftsführer der Saarland-Heilstätten GmbH (SHG), die unter anderem Kliniken in Merzig, Völklingen und auf dem Saarbrücker Sonnenberg betreibt.

Herr Vogtel, alle sind sich einig, dass in den Saar-Krankenhäusern Pflegekräfte fehlen. Die Gesundheitsministerin spricht von über 1000, Verdi von 3500 bis 4000. Wie viele sind’s aus Ihrer Sicht?

VOGTEL Ich gehe davon aus, dass es 3000 Stellen sind, wenn wir eine vernünftige Pflege schaffen wollen. Da kann man über 500 mehr oder weniger reden, aber in dieser Größenordnung bewegt sich das. Früher war es immer ein Finanzierungsproblem. Inzwischen ist das Problem, wo wir die Fachkräfte überhaupt herbekommen.

Das heißt, fehlendes Geld ist nicht mehr das Problem? Das klang vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders.

VOGTEL Es war bis vor nicht allzu langer Zeit auch anders. Zu unserer nachhaltigen Überraschung hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nach seinen sonstigen Exkursionen in der Politik besonnen, wofür er eigentlich zuständig ist. Da gibt es konkrete Anhaltspunkte, dass zusätzliche Stellen geschaffen und finanziert werden. Das Geld wäre also da.

Und wo sollen die Fachkräfte herkommen?

VOGTEL Wir diskutieren im Moment darüber, wie wir bei der Pflege für Entlastung sorgen können, etwa durch Pflege-Assistenten mit einer zweijährigen Ausbildung, das heißt, dass wir den Qualifikations-Level nicht ganz so hochschrauben.

Das kann ja dauerhaft nicht die Lösung sein.

VOGTEL Wir kämpfen mit anderen Berufsgruppen um die wenig verbliebenen Leute. Bei Aldi oder Lidl konnte man schon vor Jahren studieren. Im Pflegebereich war das im Saarland nicht der Fall. Deshalb haben wir als SHG die Berufsakademie eingerichtet. Wir sagen aber auch: Wir sind nicht für eine Voll-Akademisierung. Wir brauchen auch Pflege-Assistenten und ausgebildete Krankenschwestern und -pfleger.

Vielleicht kann man den Beruf attraktiver machen, indem man einfach die Gehälter erhöht?

VOGTEL Das ist nicht das entscheidende Problem, die Bezahlung im Krankenhaus ist gar nicht so schlecht. Das Problem ist: Ich verstehe Verdi, dass sie jede Menge Rabatz macht. Aber wenn Sie lange genug in der Öffentlichkeit vermitteln, dass die Arbeitsbedingungen so schlecht sind und die Leute mit 45 ausgepowert sind, werden Sie für den Berufsstand kein besonders hohes Interesse wecken.

Man kann die Probleme doch nicht einfach unter den Teppich kehren.

VOGTEL Das will ich gar nicht, um Gottes Willen! Trotzdem muss ich konstatieren, dass das Problem auf dem Ausbildungsmarkt dadurch eher verschärft als erleichtert wird. Wenn wir die Wertschätzung steigern und die Entlastung hinbekommen, wird der Beruf auch wieder attraktiver.

Der Bundesgesundheitsminister empfiehlt auch, Pflegekräfte aus dem Ausland anzuwerben.

VOGTEL Daran werden wir nicht vorbeikommen. Mit all den Spinnereien wie Pflege-Robotern lösen wir das Problem nicht. Aber wir müssen es dringend lösen. Wir sind auf ausländische Kräfte angewiesen. Die Ausbildung im Ausland ist weitgehend kompatibel, aber es gibt ein ganz großes Hemmnis: die Sprachbarriere.

Es ist klar geregelt, dass die ausländischen Fachkräfte ein bestimmtes Niveau der deutschen Sprache beherrschen müssen.

VOGTEL Als Krankenschwester muss man das Sprachniveau B2 oder C1 erfüllen. Ich behaupte mal, mindestens 80 Prozent der Saarländer würden die C1-Prüfung aus dem Stand nicht bestehen. Testen Sie mal, wie viele Menschen den Konjunktiv II beherrschen! Das ist dort Voraussetzung, das ist Blödsinn. Wir brauchen vernünftige Sprachprüfungen. Zweitens brauchen wir finanzielle Unterstützung, damit diese Menschen die Sprache lernen können.

Es gibt in den Kliniken schon heute viele Ärzte aus dem Ausland. Man hört regelmäßig Patienten klagen, dass sie diese Ärzte nicht richtig verstehen.

VOGTEL Ich habe das mal sehr drastisch in unserem Aufsichtsrat formuliert: In fünf Jahren sind Sie froh, wenn der Arzt, der Sie operiert, Chirurg ist – Ihnen ist dann egal, ob der nur Englisch oder fließend Deutsch spricht. Wir laufen dort auf eine hochproblematische Situation zu, weil wir die Fachkräfte nicht haben. Ärzte oder Pflegefachkräfte auszubilden, dauert Jahre. Diese Zeit muss man überbrücken. Das erreicht man nur mit Zuwanderern. Natürlich weiß ich, dass Patienten sich beschweren.

Stellt sich bei Pflegekräften aus dem arabischen Raum nicht auch eine kulturelle Frage?

VOGTEL Damit habe ich überhaupt kein Problem, allein schon deshalb, weil sich auch die Patienten verändern. Unter ihnen sind ja auch welche aus dem arabischen Raum oder aus Nordafrika. In der Altenpflege haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, dass frühere Gastarbeiter aus Italien, die inzwischen in die Jahre kommen sind, von italienischem Personal gepflegt werden. Natürlich gibt es auch kulturelle Auswüchse: Ich würde nicht unbedingt einen Salafisten einstellen, das könnte schiefgehen.

Das Saarland fördert die Investitionen der Krankenhäuser aktuell mit 32,5 Millionen Euro im Jahr. Das reicht nicht, da sind sich alle einig. Wie viel müsste es denn sein? 80 Millionen Euro?

VOGTEL Ich will nicht übertreiben. Uns wäre schon sehr geholfen, wenn man in absehbarer Zeit von 32,5 auf 40 Millionen Euro aufstocken würde. Andernfalls werden wir in Zukunft über hervorragende Straßen und Brücken fahren und vor einem Krankenhaus landen, das nur noch von der Farbe zusammengehalten wird. Es ist absurd: Wir diskutieren über Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, aber Krankenhäuser spielen offensichtlich keine Rolle. Gebaut werden vor allem Straßen.

Was ist Ihre Erklärung dafür?

VOGTEL Bei den Straßen ist die Zahl derjenigen, die sich über den schlechten Zustand beschweren, offenbar größer als bei den Krankenhäusern. Unsere Patienten haben den Nachteil, dass sie oft nicht mehr in der Lage sind, sich zu beschweren.

Das Land müsste laut Gesetz eigentlich alle Krankenhaus-Investitionen bezahlen, übernimmt aber nur rund 50 Prozent der Kosten. Mit welchen Folgen?

VOGTEL Der Krankenhausträger muss die andere Hälfte finanzieren, indem er im operativen Geschäft Gewinn macht und dazu weniger Personal einstellt. Stellen Sie sich mal vor, es käme jemand auf die Idee, einer Schule zu sagen: Die Toiletten sind sanierungsbedürftig oder für die Mittagsverpflegung muss noch ein zusätzliches Bistro angebaut werden – baut dafür mal drei Lehrerstellen ab, um das zu bezahlen. Was glauben Sie, wie groß der Aufschrei wäre? Mit dieser Situation leben wir seit Jahren. Da muss dringend etwas geschehen, sonst fliegt uns der Laden um die Ohren.

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