Das Gedächtnis der Borussia

Ein Historiker muss schneller sein als der Tod. Das weiß Bernd Reichelt, das bestätigt Tobias Fuchs und auch Jens Kelm kennt das Wettrennen mit dem Tod nur zu gut. Alle drei sind Sporthistoriker. Fuchs und Kelm in ihrer Freizeit, der Doktorand der Geschichtswissenschaft Reichelt "hauptamtlich". Ihr gemeinsames Spezialgebiet: der Fußballverein Borussia Neunkirchen

Ein Historiker muss schneller sein als der Tod. Das weiß Bernd Reichelt, das bestätigt Tobias Fuchs und auch Jens Kelm kennt das Wettrennen mit dem Tod nur zu gut. Alle drei sind Sporthistoriker. Fuchs und Kelm in ihrer Freizeit, der Doktorand der Geschichtswissenschaft Reichelt "hauptamtlich". Ihr gemeinsames Spezialgebiet: der Fußballverein Borussia Neunkirchen. Denn die "Alte Dame" hat was. Sie hat Geschichte, sie hat Tradition. Einfach ein interessanter Verein für Forscher Reichelt, der seine Doktorarbeit in Kassel über den "Fußball im saarländisch-lothringischen Grenzraum zwischen 1900 und 1950" schreibt. Ein Verein zum Lieben für die Vereinsarchivare Kelm und Fuchs.Aus Liebe zum Verein und zur Vergangenheit hat Kelm das Vereins-Archiv im Jahre 1987 ins Leben gerufen. Er hat jahrelang gesammelt, Speicher durchstöbert, Keller inspiziert, mit Nachfahren über Nachlässe verhandelt, alte Festschriften gefunden, alte Bilder datiert, Fahrtenbücher gesichtet, Sitzungsprotokolle inhaliert. Im Leben neben dem Archiv ist der 51-Jährige Mediziner mit Habilitation. Wer was über die Borussia wissen will, fragt Kelm, der auch Mannschaftsarzt der Borussen ist. Oder Tobias Fuchs. Der 28-Jährige ist in Neunkirchen aufgewachen, war Stadion- und Pressesprecher des Vereins, lebt inzwischen in Berlin, schließt gerade sein Studium ab. Danach will er über Fußball in der Weimarer Republik promovieren. Er liebt das Stöbern in Bibliotheken, in alten Fußballzeitschriften und schreibt in Fach-Büchern über die Historie seines Vereins. "Für einen Traditionsverein ist ein intaktes Gedächtnis lebensnotwendig", sagt Fuchs.Nahezu alle Borussen haben Folgendes im Gedächtnis: Zwischen 1912 und 1962 spielte die Borussia 50 Jahre in Folge erstklassig. In den 1960er Jahren spielte sie drei Saisons in der Bundesliga. Die Mannen mit dem schwarzen Brustring verloren einmal ein DFB-Pokalfinale gegen Schwarz-Weiß Essen mit 2:5 (1959). Die Borussia hat mit dem Ellenfeldstadion eines der schönsten im Südwesten. Doch an diesem Gedächtnis nagt der Tod.Nicht weil die Borussia bereits 105 Jahre alt ist, sondern weil er ab und an schneller ist als Kelm und Fuchs. "Wir hatten vor einiger Zeit den Fall, dass der Sohn eines legendären Borussen den Nachlass seines Vaters nicht aus der Hand geben wollte, was verständlich ist", erklärt Kelm. Als der Sohn verstarb, erfuhren Kelm und Fuchs zu spät davon. Längst war ein Räumkommando da gewesen, hatte die Wohnung geleert und den wertvollen Nachlass auf den Müll geworfen. Ein tragischer Fall für alle Beteiligen. "Der Tod und das Wegwerfen sind Feinde des Historikers", sagt Kelm.Trotz dieser Feinde haben die zwei es geschafft, acht Regalmeter Akten, Festschriften, Plakate, Presseberichte und Zeitschriften um und über die Borussia zu sammeln. "Dazu noch über 1000 Fotos", sagt Fuchs. Ein wertvoller Fundus. Weniger materiell als ideell. "Bei Ebay finden sich öfter Bilder zu Borussia. Damit lässt sich kaum Kasse machen. Für uns aber hätten sie einen unschätzbaren Wert", sagt Fuchs. Er und Kelm sind keine Händler. Sie sind Bewahrer. Deshalb haben sie sich entschlossen, ihre Sammlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als Dauerleihgabe im saarländischen Sportarchiv in Scheidt (siehe Infokasten). "Wir wollten nicht, dass das Gedächtnis der Borussia schlechter wird, weil dem Verein die Mittel zur sachgerechten Aufbewahrung seiner Sammlung fehlen", erklärt Fuchs. Aber vor allem wollen sie ihr Archiv der Wissenschaft besser zugänglich machen. "Immer mehr Wissenschaftler interessieren sich für Sport", weiß Fuchs. David Kraus vom freudig erregten Sportarchiv bestätigt dies und fügt an, dass sich die Borussia als einziger bedeutender saarländischer Fußballclub "die Mühe gemacht und den Verdienst erworben hat, die eigene Geschichte zu bewahren. Diese Sammlung ist einzigartig und ein großes Stück Fußballgeschichte des Landes", sagt er. Und Reichelt, der Wissenschaftler, sagt, dass es die Sammlung "in ihrem Umfang und in ihrer Qualität problemlos mit den Archiven der Bundesliga-Größen aufnehmen kann." Sie ist nun für jeden zugänglich - und kann auch von jedem aufgefüllt werden. Kelm, Fuchs, Reichelt und Kraus freuen sich über nahezu jedes Sitzungsprotokoll oder Bild, das sie vor ihren ärgsten Feinden Müll und Tod retten können. Die zentrale Aufgabe des Saarländischen Sportarchivs ist die Sicherung, Erschließung und dauerhafte Aufbewahrung sportgeschichtlich relevanter Quellen des Saarlandes. Das Archiv sichert zum Beispiel die Überlieferung des Landessportverbandes für das Saarland, seiner Fachverbände und der saarländischen Vereine. Ergänzt wird die Aktenüberlieferung durch Sammlungsbestände, die Literatur, Zeitungen, Zeitschriften und andere Mitteilungsblätter, Festschriften, Fotos und Plakate enthalten. Wenn Sie nun alte Akten, Bilder oder sonstige Erinnerungsstücke über die Borussia haben, freuen sich das Sportarchiv und/oder Jens Kelm und Tobias Fuchs über Ihren Anruf. Hier die Kontaktdaten: David Kraus, Saarländisches Sportarchiv, Tel: (06 81) 501 19 25. Tobias Fuchs, Borussenarchiv, Tel.: (030) 54 77 23 70. Jens Kelm, Borussenarchiv: (0 68 42) 53 71 50. vereinsarchiv.borussia-neunkirchen.de

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