Das Abenteuer der Verwandlung

Saarbrücken. "Material muss einen Charakter haben." Die Bildstickerin Karin Eberhardt weiß, was sie von den Dingen um sie herum erwartet: Diese müssen gebraucht sein und dadurch eine Qualität offenbaren, die sie herausfordert. Vertrocknete Tannennadeln reihen sich wie Buchstaben aneinander

Saarbrücken. "Material muss einen Charakter haben." Die Bildstickerin Karin Eberhardt weiß, was sie von den Dingen um sie herum erwartet: Diese müssen gebraucht sein und dadurch eine Qualität offenbaren, die sie herausfordert. Vertrocknete Tannennadeln reihen sich wie Buchstaben aneinander. Dünne Plastikfäden laufen als gezackte Linien über das Papier oder ballen sich zum feingestrichelten Kreis. So sieht es aus, aber Karin Eberhardt hat weder geschrieben, noch gezeichnet, sondern gestickt. "Ich wollte es so machen, dass aus Tannennadeln ein Text und aus Seilfäden eine Zeichnung wird, aber ich wollte weder schreiben, noch zeichnen", erläutert sie. Ihr Handwerk ist und bleibt das Sticken, nur eben mit anderen Materialien als den in ihrem Metier gewohnten. "Die Bewegung des Stickens war in mir drin, aber mir war klar, dass daraus etwas anderes werden muss", wusste sie nach ihrer Ausbildung bei Dorothea Zech. Alles, was ein Loch zum Fixieren hat, lässt sich aufnähen, mit dieser Erkenntnis machte sie sich auf, fand Teebeutel, Teelichtdochthalter, Haare, Samen und irgendwann am Strand ein vom Meerwasser zerschlissenes Seil: Gebraucht und mit Charakter, also bereit, von ihr mit der Pinzette zu kleinsten Fädchen gespalten, um dann durch ein dem Papier beigebrachtes Lochraster gesteckt zu werden: Unter einer Kerzenflamme schmelzen die Fäden zu Farbpunkten dahin oder bilden ein Knötchen, das die Künstlerin im Papier verankert. Tupfrasterbilder und Strichzeichnungen entstanden, oft in streng geometrischen Formen, dem gelenkten Zufall geschuldet: "Man kann nur machen, was in einem ist: Ordnung", weiß Eberhardt und setzt auf einfache Formen und schlichte Reihung von Dingen. Das wahre Abenteuer liegt ohnehin in der Verwandlung des Materials. Aber bitte: "Ich will damit keinesfalls den Blick auf die Schönheit des Abfalls lenken", verwahrt sich die Künstlerin. Es geht um das Material, das arrangiert auf dem Papier eine unvorhergesehene Qualität zeigt. Karin Eberhardt nutzt ein altes Handwerk, um Materialien des Alltags zur Kunst zu verwandeln. In ihren Worten klingt das das wesentlich pragmatischer: "Ich setze sie so in ein anderes Licht."

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