„Da gibt es ein Aufklärungs-Defizit“

Saarbrücken · Saar-DGB-Chef Eugen Roth hört rechtspopulistische Meinungen auch von Gewerkschaftsmitgliedern.

 Rote Nelken und roter Pfeil: Obwohl die Anstecker von DGB und AfD farblich nicht weit auseinander liegen, trennen beide Organisationen programmatisch Welten. Fotos: Hendrik Schmidt und Marc Tirl /dpa

Rote Nelken und roter Pfeil: Obwohl die Anstecker von DGB und AfD farblich nicht weit auseinander liegen, trennen beide Organisationen programmatisch Welten. Fotos: Hendrik Schmidt und Marc Tirl /dpa

Rechtspopulisten haben in Deutschland Konjunktur, sei es in der Partei Alternative für Deutschland (AfD) oder bei Pegida-Demonstrationen. Wie gehen die Gewerkschaften, die international orientiert sind und keine Angst vor Ausländern haben, mit dem Erstarken solcher rechtspopulistischer Bewegungen um? Der stellvertretende Bezirksvorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz/Saar und Saar-SPD-Vize Eugen Roth beschreibt die Lage.

Bei den Landtagswahlen hat die AfD 6,2 Prozent erhalten, unter Gewerkschaftsmitgliedern aber sieben. Wie kann es sein, dass Gewerkschafter eine Partei wählen, die die Reichen weniger belasten will und ein neoliberales Programm hat?

EUGEN ROTH Da gibt es offensichtlich ein Aufklärungs-Defizit. Die Infrastruktur der gewerkschaftlichen Bildung ist unterschiedlich ausgeprägt. Deswegen wäre es interessant zu erfahren, ob die AfD-Anhängerschaft in bestimmten Gewerkschaftsbereichen besonders stark ist oder besonders schwach. Was mir auffällt: Besonders im ehemaligen Bergbaubereich, unter Leuten, die da besonders gute Positionen hatten und jetzt schon im Ruhestand sind, treffe ich den einen oder anderen, der den Rechtspopulisten anhängt. Ich will nicht sagen, dass sind nur die. Das wäre zu einfach. Aber es fiel mir auf. Unter diesen Leuten gibt es eine Mischung aus Distanz zu Fremden, Verlustangst, Angriff aufs Establishment und die so genannte Funktionärskaste, die nicht mehr macht, was das einfache Mitglied will. Diese Melange stelle ich dort fest.

Wie viele AfD-Leute sind in Saar-Gewerkschaften? Wie äußern sie sich da?

EUGEN ROTH Zahlen gibt es nicht. Das haben wir noch nicht genau untersucht. Man muss auch aufpassen: In Nordrhein-Westfalen gibt es seitens der AfD Bestrebungen, eigene Gewerkschaften aufzumachen. Das heißt: Ich will die auch nicht selbst auf den Plan rufen. Aber so hart das mit der AfD ist: Wir müssen ja fast noch froh sein mit dem saarländischen AfD-Bodenpersonal, das wird uns nicht gefährlich werden. Aber, mit Blick auf die Polis-Studie von 2002, die bei Gewerkschaftsmitgliedern 20 Prozent mit rechtsextremen Ansichten feststellte, muss ich uns anheften: Sind wir damit kritisch genug umgegangen? Ich höre von meinen Gewerkschaftern, dass es in den eigenen Reihen rechtsextreme Äußerungen hie und da gibt. Es reicht nicht, wenn ich am 1. Mai etwas dagegen sage, über die Köpfe hinweg. Sondern das muss im Alltag, über die Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute laufen. Zum Teil haben diese Unzufriedenen ja eine durchaus berechtigte Kritik, die nicht richtig behandelt wird. Dann muss man die Dinge auch so kanalisieren, dass sie auch ankommen.

Es gibt angesichts des Sozialabbaus, der Reallohnverluste und der Rentenverluste in den vergangenen 20 Jahren ein großes Unbehagen unter Arbeitnehmern, dass die etablierten Parteien CDU und SPD an ihnen vorbeiregieren. Dieser Frust, die Angst, abgehängt zu werden, ist auch ein Quell der AfD-Populisten. Haben die Gewerkschaften sich dieser Entwicklung zu wenig entgegengestemmt?

EUGEN ROTH 1998 war Gerhard Schröder erst sozialdemokratisch und dann hat er den Kurs gewechselt. Wobei ich immer noch nicht weiß, warum er das gemacht hat. Am 15. August 2002 wurden im Französischen Dom in Berlin die Hartz-Gesetze übergeben, da war ich dabei. Auch Peter Hartz, der kommt ja von uns, ein mitbestimmungsorientierter Mensch, war dabei. Hartz hat sich im Nachhinein selbst davon distanziert. Das glaube ich ihm auch. Wir haben im DGB-Bundesvorstand den Hartz-Gesetzentwurf gelesen. Der damalige DGB-Chef Dieter Schulte ist Satz für Satz dieses Entwurfs durchgegangen. Der Fehler, der damals gemacht wurde, war, dass wir an Zumutbarkeit, Dauer und Höhe nichts verändert haben. Der Fehler war, dass wir nicht mit 100 000 Leuten beim SPD-Bundesparteitag im Juni 2003 demonstriert haben. Da wurde die Konfrontation mit Schröder gescheut.

Die Rechtspopulisten suchen Sündenböcke bei Flüchtlingen und Ausländern. Wie empfänglich sind Gewerkschafter für diese rassistischen Thesen? Haben Sie im Saarland Gewerkschafter wegen rassistischer Ansichten ausgeschlossen?

EUGEN ROTH Hör- und sichtbar gibt es das bei uns nicht. Wir sind ja schon lange international zusammengesetzt. Das internationale Bewusstsein ist bei uns weiter verbreitet als anderswo. Ich will nicht sagen, dass es keinen Rassismus bei uns gibt. Aber er wird in unseren Reihen nicht so geäußert, weil diese Leute wissen, dass man das bei uns nicht sagen darf.

Ein Hass-Objekt von Populisten in ganz Europa ist die EU. Doch deren neoliberale Politik hat dazu geführt, dass es scheinbar nur noch den Reichen gut geht. Welchen Stellenwert hat die Europa-Idee in den Saar-Gewerkschaften noch?

EUGEN ROTH Bei uns in der Region gibt es den ältesten interregionalen Gewerkschaftsrat Europas. Wir wissen, was Europa heißt, aus den Erbfeinden wurden Freunde. Wir sind auf die Region fürs eigene Überleben angewiesen. Das ist nicht nur eine Frage von Liebe und Gutmenschentum, es ist eine existenzielle Frage. Die Gewerkschaften in Europa geben sich redlich Mühe. Im interregionalen Gewerkschaftsrat grenzen wir uns klar ab vom Front National, zusammen mit den lothringischen Gewerkschaftern. Wir wissen, dass Le Pens Haltung mit den Arbeitnehmerinteressen nichts zu tun hat.

 Eugen Roth, Saar-DGB-Chef Foto: Gundelwein

Eugen Roth, Saar-DGB-Chef Foto: Gundelwein

Foto: Gundelwein

Die Fragen stellte Dietmar Klostermann

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