„Commerçons Pläne machen Lehrern Angst“

Die Vizechefin des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (SLLV), Lisa Brausch, ist enttäuscht über die Planungen von Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) zur UN-Behindertenkonvention. Sie bemängelt im Gespräch mit SZ-Redakteur Norbert Freund, dass der Minister den Grundschulen nicht mehr Sonderpädagogen zuweisen wolle.

Sie haben an einer Grundschulleiterdienstbesprechung teilgenommen, in der das Bildungsressort seine Pläne zur UN-Behindertenkonvention ab dem Schuljahr 2014/15 vorstellte. Wurde den Grundschulen dort mehr Personal für ihre Aufgaben bei der Aufnahme behinderter Kinder in Aussicht gestellt?

Brausch: Nein! Es wurde klargestellt, dass es über die bisherigen 105 Förderschullehrer hinaus, die an den 162 Saar-Grundschulen tätig sind, keine weiteren Förderschullehrer für die Grundschulen geben wird. Geplant ist lediglich eine Umverteilung dieser Lehrer.

Das war hoffentlich nicht alles, was den Leitern der Grundschulen mitgeteilt wurde.

Brausch: Basis des Konzepts ist, dass alle Kinder eingeschult werden mit Ausnahme derer, bei denen eine medizinischen Indikation vorliegt, und jener, deren Eltern eine Einschulung in die Förderschule wünschen. Jeder Grundschule wird ein Förderschullehrer zugewiesen, damit eine gewisse Kontinuität gewährleistet ist. Zudem will man Zeit, die bisher in die Erstellung von Gutachten investiert wurde, künftig für die Inklusion nutzen.

Na, das ist ja schon mal was.

Brausch: Aber wenn für 162 Grundschulen nur 105 Förderschullehrer-Vollzeitstellen zur Verfügung stehen, ist ja absehbar, dass nicht alle Schulen rund um die Uhr eine Förderschullehrkraft vor Ort haben werden. Im Übrigen sollen diese Lehrer großenteils als Berater tätig sein. Sie werden also im Unterricht in vielen Fällen gar nicht präsent sein. Genau das macht uns Angst: Dass die Grundschullehrer am Ende mit den problematischen Kindern allein sind. Am meisten Sorgen machen uns dabei die Kinder mit Einschränkungen in der sozial-emotionalen Entwicklung.

Es ist zu hören, dass Commerçon jeder Grundschule zwei bis vier Deputatsstunden für die Inklusion zuweisen will, über die die Schulen frei verfügen können. Damit zeigt er immerhin Problembewusstsein, oder?

Brausch: Ich unterstelle ja nicht, dass die Problematik nicht erkannt worden ist. Allerdings sind diese knapp bemessenen Stunden nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und vor allem stehen dadurch den Grundschulen nicht mehr Förderschullehrer zur Verfügung. Die Rahmenbedingungen, mit denen der Minister plant, sind nicht tragbar.

Was fordern Sie dann?

Brausch: Der Klassenteiler muss endlich gesenkt werden. Im Koalitionsvertrag wurde die Zahl 22 angestrebt. Aber noch immer haben wir Klassen mit bis zu 29 Schülern. So kann Inklusion nicht gelingen. An jeder Grundschule muss es mindestens einen Förderschullehrer in vollem Beschäftigungsumfang geben, an größeren zwei. Es muss den Lehrern genug Zeit für Beratungs-, Koordinations- und Administrationsaufgaben zur Verfügung stehen. Wir brauchen also eine geringere Unterrichtsverpflichtung vor allem der Grundschullehrer. Alle Lehrer müssen für die veränderten Aufgaben qualifiziert werden. Den Schulen muss geeignetes pädagogisches Personal für die Betreuung von Kindern mit speziellen Beeinträchtigungen zur Verfügung stehen. Die Förderschulen müssen als unverzichtbare Säule neben der Regelschule erhalten bleiben. Ferner brauchen wir attraktivere Arbeitsverhältnisse für Förder- und Grundschullehrer, um den Lehrerbedarf im Land längerfristig zu sichern.

Das ist ja schön und gut, aber wegen der Schuldenbremse voraussichtlich nicht umsetzbar.

Brausch: Aus Sicht des SLLV muss das Kooperationsverbot für Bund und Länder in der Bildungspolitik fallen. Arme Länder wie das Saarland können die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sonst nicht finanzieren. Und das muss endlich mal in aller Deutlichkeit gesagt werden!

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