Recht auf Kostenübernahme Verfassungsgericht gibt Behindertem Recht

Saarbrücken/Karlsruhe/Bad Kreuznach/Hamburg · Die Karlsruher Richter haben einen Beschluss des Landessozialgerichts Mainz zum Anspruch des Tetraspastikers Markus Igel kassiert.

 Markus Igel (vorne im Rollstuhl) bei der Demonstration im Januar vor dem Saar-Sozialamt. 

Markus Igel (vorne im Rollstuhl) bei der Demonstration im Januar vor dem Saar-Sozialamt. 

Foto: dpa/Oliver Dietze

Der schwerstbehinderte Tetraspastiker Markus Igel, 31, aus Bad Kreuznach habe sich gestern Mittag so gefreut, dass sie das Gefühl gehabt habe, dass er vor lauter Lachen ersticke. So schilderte die selbst ebenfalls auf einen Rollstuhl angewiesene schwerstbehinderte Trierer Richterin Nancy Poser, die sich wie viele andere Menschen in Deutschland für Igel einsetzt, die Gefühle Igels, nachdem er die Nachricht vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts über seinen Hamburger Anwalt Oliver Tolmein (Kanzlei Menschen und Rechte) erfahren hatte.

Die drei Richter der Ersten Kammer des Ersten Senats in Karlsruhe kassierten das Urteil des Landessozialgerichts Mainz, das Igel den Anspruch auf den Kostenersatz für seine privat engagierten Assistenzkräfte abgesprochen hatte. Der Beschluss des Landessozialgerichts Mainz verletzte Igel in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus dem Grundgesetz, soweit das Landessozialgericht es abgelehnt habe, Igel über das vorläufig bewilligte Budget in Höhe von 7221 Euro monatlich hinaus weitere 5400 Euro als persönliches Budget vorläufig zu gewähren. Insoweit werde der Beschluss vom Dezember 2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung ans rheinland-pfälzische Gericht zurückverwiesen, schreiben die Bundesverfassungsrichter.

Igel, der im Saarland bei der Geburt einen Hirnschaden davontrug, an Armen und Beinen gelähmt ist und jetzt in Bad Kreuznach lebt, wird vom  Amt für Soziales Saarland und der Neunkircher Kreisverwaltung kostenmäßig betreut. Diese hatten ihm seine monatlichen Bezüge, die er für eine 24-Stunden-Assistenz benötigt, auf 7221 Euro zurückgestutzt, obwohl Igel für seine elf Betreuungkräfte und sonstige Auslagen knapp 12 700 Euro benötigt. Da das Landessozialgericht Mainz dieser Begrenzung zustimmte, konnte Igel seine Assistenz nur noch über Spenden aufrechterhalten. „Wir haben noch 9000 Euro in der Spendenkasse. Das reicht nicht mehr lange“, sagte Poser, die auch im Forum behinderter Juristinnen aktiv ist.

Im Januar hatten etwa 100 behinderte und nicht behinderte Menschen vor dem Saar-Sozialamt in Saarbrücken-Burbach zusammen mit Igel für dessen Recht auf ein selbstbestimmtes Leben demonstriert. Darunter waren auch Prominente wie der aus TV-Talkshows bekannte Behinderten-Aktivist Raul Krauthausen und der schwerstbehinderte Schauspieler Samuel Koch. Zudem waren Politiker aus dem Saarland vor Ort wie Landtagsvizepräsidentin Isolde Ries und Landtagsmitglied Dennis Lander (Linke).

Ries, die am Tag der Demonstration gesagt hatte, sie schäme sich für das Saarland und dafür scharf vom Koalitionspartner CDU angegriffen worden war, sagte gestern: „Die Begründung des Urteils kann man nur als schallende Ohrfeige für das Landessozialgericht Mainz bezeichnen.“ Die Karlsruher Richter sähen in der Kalkulation des Landessozialamtes Saarbrücken eine deutliche Unterversorgung von Markus Igel, betonte Ries. „Damit ist die Argumentationsbasis des Landesamtes krachend in sich zusammengebrochen“, sagte Ries. Das Landessozialamt zählt zum Wirkungskreis des von Monika Bachmann (CDU) geführten Sozialministeriums. Allerdings sei das Verfahren vom Bundesverfassungsgericht an die Sozialrichter in Mainz zurücküberwiesen worden. Bis zu einer endgültigen Entscheidung könne es noch eine geraume Zeit dauern, schließlich sei das Verfahren dort bereits in der ersten Instanz seit 2014 anhängig.

Das Saar-Sozialministerium erklärte dünnlippig über seine Sprecherin Sarah Joseph: „Wir haben die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Fall Igel zur Kenntnis genommen. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz muss nun erneut entscheiden. Wir werden selbstverständlich deren neue Entscheidung umsetzen.“ Das bedeutet, dass Igel möglicherweise noch lange Zeit auf seine Kostenerstattung aus Saarbrücken wird warten müssen. Dazu sagte die SPD-Landtagsvizepräsidentin Ries: „Verletzter Stolz darf einer fairen Regelung nicht im Wege stehen.“ Ries forderte Bachmann auf, „als humane Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in einem Akt der Fairness an Markus Igel den Betrag zu bezahlen, den dieser zur Führung eines selbstbestimmten Lebens benötigt“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort