Wegen Corona Europa stößt an seine Grenzen

Luxemburg · Lange war die Grenze zwischen Deutschland, Frankreich und Luxemburg kaum noch sichtbar. Die Corona-Pandemie hat in der Grenzregion die Uhren um Jahrzehnte zurückgestellt. Aber nicht auf Dauer.

Beamte der Bundespolizei kontrollieren am 20. März ein französisches Fahrzeug, das von Petite-Rosselle (Frankreich) nach Grossrosseln im Saarland fahren will.

Beamte der Bundespolizei kontrollieren am 20. März ein französisches Fahrzeug, das von Petite-Rosselle (Frankreich) nach Grossrosseln im Saarland fahren will.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Plötzlich waren sie wieder da. Gesperrte Grenzübergänge, Warteschlangen und uniformierte Kontrolleure mit Fragen nach Reiseziel und Reisegrund. So hat die Corona-Pandemie Europa im Jahr 2020 an seine Grenzen stoßen lassen. Den 26 Staaten umfassenden Schengen-Raum, vor 35 Jahren für Reisen ohne Grenzkontrollen gegründet, sowieso. Aber ganz besonders die sogenannte „Großregion“, wo Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg aneinanderstoßen.

„Die Grenzschließungen waren ganz klar eine Art von Kurzschlussreaktion“, sagt Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn der Deutschen Presse-Agentur. „Die spezifischen Bedürfnisse der Grenzregionen wurden so zu einer Art Kollateralschaden.“ Dass Deutschland am 16. März die Grenzen zu Österreich, Frankreich, Luxemburg, Dänemark und der Schweiz wochenlang für alle Reisenden „ohne triftigen“ Grund dichtmachte, hat Luxemburg besonders getroffen – und verärgert.

Denn jeden Tag pendeln gut 200 000 Beschäftigte aus Belgien, Deutschland und Frankreich in das gut 600 000 Einwohner zählende Luxemburg morgens hinein und abends wieder hinaus. Zwei Drittel aller in Luxemburg arbeitenden Pflegekräfte beispielsweise kommen aus dem Ausland, davon die Hälfte aus Frankreich. Bei Dienstleistungen und Handwerk sieht es ähnlich aus. Das wohlhabende Luxemburg sorgt mit attraktiven Löhnen weit über seine Grenzen hinaus für Wohlstand – ist aber auch auf die „Frontaliers“, die Grenzgänger, angewiesen: „Das Vertrauen in offene Grenzen wurde tief erschüttert“, sagt Asselborn.

Auch andere Länder schotteten sich ab: Spanien schloss die Grenze zu Frankreich, Norwegen kontrollierte die Grenze zu Schweden und auch die Grenzen Italiens waren zeitweise dicht. Im Dreieck zwischen Frankreich, Deutschland und Luxemburg sorgte vor allem der Umstand, dass Berlin die Grenzkontrollen ohne Absprache mit den Nachbarn einführte, für Verstimmung. Pendler brauchten plötzlich Bescheinigungen der Arbeitgeber für den Weg zur Arbeit. Und die Sperrung kleiner Übergänge zwischen dem Saarland und Lothringen sorgte dafür, dass Pendler riesige Umwege fahren mussten.

„Die Coronavirus-Krise ist ein Crashtest für die deutsch-französische Freundschaft“, hatte der französische Abgeordnete Christophe Arend aus dem bei Saarbrücken gelegenen französischen Ort Forbach gesagt. Grenzpendler hätten auch über „Anfeindungen“ geklagt. Die Kontrollen an der Grenze hätten vereinzelt zu „beschämenden Auswüchsen in der Grenzregion“ geführt, hatte die stellvertretende saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) im April gesagt. Unter Hinweis auf Berichte, wonach Franzosen im Saarland beschimpft und deren Autos mit Eiern beworfen seien, sagte sie: „Ich entschuldige mich für diese Einzelfälle.“

„Die Grenzschließungen in diesem Jahr haben bewirkt, dass die Grenze sich wieder in den Köpfen der Menschen, den Mentalitäten, etabliert hat“, sagt Asselborn. Allerdings stimme es ihn „optimistisch“, dass in der zweiten Covid-19-Phase im Winter niemand mehr Grenzen schließen wollte. „Grenzschließungen sind im Fall einer Pandemie keine Lösung.“ In den Hauptstädten wisse man oft nicht, wie eng die Grenzregionen miteinander verwoben seien: Künftig müsse „in allen europäischen Entscheidungsprozessen den besonderen Realitäten der Grenzregionen spezifisch und systematisch Rechnung getragen werden.“

„Eine Pandemie bekämpft man eben nicht mit nationalen Maßnahmen“, sagte auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Das war Anfang Mai, als bereits einiges politisches Porzellan an der Grenzlinie zerbrochen war. Er hoffe, dass das bei der nächsten Pandemie, die sicherlich komme, besser gehandhabt werde.

Und auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), der am 16. Mai zur Aufhebung der Kontrollen eigens nach Schengen reiste, hatte kurz zuvor in Paris eingeräumt: „Ich glaube, wir haben im Frühjahr alle schlechte Erfahrungen gemacht mit der zu schnellen Schließung von Grenzen.“

Und es gibt Hoffnung, meint Asselborn, dienstältester EU-Außenminister (seit 2004). Mittlerweile habe sich die Kooperation in der Großregion „bedeutend verbessert“, es habe auch viel europäische Solidarität gegeben: „Ich hoffe, dass Europa im Jahr 2021 und darüber hinaus gestärkt aus dieser Krise hervorkommt.“

(dpa)
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