Mehr Zeit und mehr Geld

Ettelbrück/Hosingen. Im Großherzogtum Luxemburg ticken die Uhren anders, auch in der Behindertenhilfe

 Händeschütteln unter den Augen der luxemburgischen Ministerin Marie-Josée Jacobs: Annegret Kramp-Karrenbauer und Werkstattarbeiter Salkovic Kemal und Louis Schlesser (r.). Foto: Schülke

Händeschütteln unter den Augen der luxemburgischen Ministerin Marie-Josée Jacobs: Annegret Kramp-Karrenbauer und Werkstattarbeiter Salkovic Kemal und Louis Schlesser (r.). Foto: Schülke

Ettelbrück/Hosingen. Im Großherzogtum Luxemburg ticken die Uhren anders, auch in der Behindertenhilfe. Nach dem Besuch in einer Behindertenwerkstatt bei Hosingen ist Klaus Posselt, Geschäftsführer der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung Obere Saar, erstaunt über die Unterschiede im Betreuungssystem: Die Behinderten in den Werkstätten erhalten einen Mindestlohn, von Arbeitsamt und sozialen Trägern finanziert. Allerdings müssen sie von diesen 1750 Euro brutto alle Kosten für Unterhalt, Pflege und Abgaben zahlen. "Sie bekommen wohl das Gleiche heraus wie Behinderte in Deutschland, werden aber durch die direkte Lohnzahlung gleichgestellt", sagt Posselt.Es war die luxemburgische Ministerin für Familie und Integration, Marie-Josée Jacobs, die Sozialministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kürzlich auf eine Besuchstour durch eine Behindertenwerkstatt und ein Pflege- und Altenheim nach Luxemburg eingeladen hatte. Dabei waren auch Vertreter der Lebenshilfe Obere Saar, der Lebenshilfe St. Wendel, der Caritas Trägergesellschaft Saarbrücken und der LIGA.

Als Motopädagogin Sylvie Steil die deutschen Besucher durch die Altbauräume des Ettelbrücker Behindertenpflegeheims "Villa Sonneblumm" führt, tun sich Bilder wie aus einer anderen Welt auf: Hinter einem Lichtervorhang, umhüllt von Eukalyptusduft, ist eine große Hüpfburg aufgebaut. Mittendrin liegen unter einer Decke zwei Menschen: ein geistig Behinderter, der tief zu schlafen scheint und eine Krankenpflegerin, die ihm von Zeit zu Zeit über das Haar streichelt. Nebenan bekommt ein anderer die Füße massiert, während über die Zimmerdecke Lichtpunkte tanzen. "Wir haben hier eine eins-zu-zwei, manchmal auch eine Eins-zu-eins-Betreuung", erklärt Steil den Gästen. Klaus Posselt von der Lebenshilfe staunt über die finanzielle Ausstattung, längeren Betreuungszeiten und das Engagement der Pflegekräfte. In deutschen Tagesstätten habe man durchschnittlich nur eine Eins-zu-fünf-Betreuung.

Kramp-Karrenbauer wollte bei diesem Besuch "über den Tellerrand schauen", sich Anregungen holen, wie ältere Behinderte im Nachbarland betreut werden. Denn Behinderte und Schwerstbehinderte könne man nach ihrem altersbedingten Ausscheiden aus der Werkstatt nicht einfach im Altenpflegeheim unterbringen: "Eine Frau mit Down-Syndrom ist in einem Pflegeheim in St. Wendel stark verhaltensauffällig und regelrecht aggressiv geworden", erklärt Kramp-Karrenbauer. Das Umfeld und der große Altersunterschied zu den anderen Bewohnern seien zu problematisch. Für Peter Schön, Geschäftsführer der Lebenshilfe St. Wendel, ist der Ausbau von Palliativmedizin und Hospiz in der Behindertenpflege dringend: "Das Problem hätte gestern gelöst werden müssen. Sterben die Behinderten bei uns, kommt unser Personal an seine Grenzen."

Der nächste Besuch führt in die "Oase" des "Centre Ponalize", wo Panflötenmusik, orangefarbenes Licht und Plüschkordeln über den Betten fünf hochbetagte Bewohner umgeben. Das Altenheim gehört wie die "Villa Sonneblumm" zum Ettelbrücker Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique (CHNP). Direktor Jean Feith ist sichtlich stolz auf die "Oase", ein Vorzeigeprojekt mit wohnlich-familiärer Atmosphäre, Licht- und Aromatherapie: "Wir stellen fest, dass die Angst der dementen und behinderten Menschen hier schwindet." Betreut wird hier 15 Stunden am Tag. "Beeindruckend", staunt Kramp-Karrenbauer. Das Pflegepersonal des CHNP ist mehrheitlich luxemburgisch- und deutschsprachig und wird mit durchschnittlich 5000 Euro brutto nach hauseigenem Tarif bezahlt. Der Pensionspreis für die "Oase" liegt bei 2368 Euro. Die Betreuung in der "Villa Sonneblumm" kostet den vom Ministerium festgelegten Maximal-Pensionspreis von monatlich 2055 Euro, Pflegekosten sind jeweils extra.

Hintergrund

Eine Besichtigung luxemburgischer Sozialeinrichtungen ist eine Reise wert, doch lassen sich die Ideen im Saarland umsetzen? Sozialministerin Kramp-Karrenbauer resümiert: "Vieles ist nicht eins zu eins zu übertragen, in Luxemburg steht ein Vielfaches an finanzielles Mitteln zur Verfügung." Auch verlange die intensive Betreuung den Mitarbeitern viel ab. "So etwas im Saarland umzusetzen, wird eine Frage des Personals." Sicher ist sich die Ministerin aber bei der "Oase" à la luxembourgeoise: "So etwas wird es im saarländischen Regelangebot nie geben." Vielleicht aber eine "Villa Sonneblumm": An diesem Beispiel könne man sehen, dass gute Betreuung auch mit wenig Mitteln umsetzbar sei. sop

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