Serie Vom Luxemburger Luxushotel an den Galgen in Nürnberg Als in Bad Mondorf hochrangige Nazis verhört wurden

Mondorf-les-Bains · Vor genau 75 Jahren endete der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, in dem führende Nazis verurteilt wurden. Die meisten der Beschuldigten und alle zum Tode Verurteilten wurden zuvor in einem Luxushotel im luxemburgischen Bad Mondorf verhört. Unsere Serie zeigt, was in dem geheimen US-Gefängnis unter dem Codenamen „Ashcan“ geschah. Teil 1: Das perfekte Versteck für gefürchtete Kriegsverbrecher.

 Heute abgerissen, früher ein Kurhotel und dann das geheime Versteck, an dem die Alliierten hochrangige Nazis verhörten: das Palace Hotel in Bad Mondorf in Luxemburg.

Heute abgerissen, früher ein Kurhotel und dann das geheime Versteck, an dem die Alliierten hochrangige Nazis verhörten: das Palace Hotel in Bad Mondorf in Luxemburg.

Foto: mauritius images / History and Art Collection / Alamy/All mauritius images Travel

Vor 75 Jahren, am 16. Oktober 1946, wurden in der Turnhalle auf dem Gelände des Nürnberger Gefängnisses die Todesurteile gegen die von den Alliierten als Hauptkriegsverbrecher für schuldig befundenen Angeklagten vollstreckt. Nur Reichsmarschall Hermann Göring entging dem Galgen durch Suizid nur wenige Stunden vor der Exekution.

Kaum bekannt ist, dass über die Hälfte der Angeklagten (13 von 22) – unter ihnen Reichsmarschall Hermann Göring, Großadmiral Karl Dönitz und Wilhelm Keitel, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht – ab Mai 1945 von den Amerikanern im Großherzogtum Luxemburg interniert und verhört wurden. Das geheime Gefängnis im Kurort Bad Mondorf erhielt den Codenamen „Ashcan“ (Ascheeimer). Warum die Wahl auf Bad Mondorf fiel, ist nicht komplett geklärt. Luxemburg war zweimal unter hohen Verlusten von amerikanischen Streitkräften befreit worden – die Alliierten konnten somit auf eine ihr wohlgesinnte Bevölkerung und Regierung vertrauen. Zudem lag Bad Mondorf in Reichweite des vorgeschobenen Hauptquartiers General Eisenhowers im nordfranzösischen Reims, das die Verhöre der Gefangenen koordinieren sollte.

Das perfekte Versteck

Am 30. April übernahmen die Amerikaner die Schlüssel des Palace Hotel in Bad Mondorf und begannen es in Camp Ashcan umzubauen. Dabei mussten sie mit Befreiungsversuchen fanatischer Nazis genauso rechnen wie mit Racheakten durch Kommandos der Résistance oder die lokale Bevölkerung. Das Zentrum von Ashcan bildete das Palace Hotel, ein älteres, unter der deutschen Besatzung heruntergekommenes Hotel. Mithilfe deutscher Kriegsgefangener und lokaler Handwerker wurde es in ein Gefängnis mit hohem Sicherheitszaun und Wachtürmen umgewandelt. Die Fenster wurden vergittert und mit Plexiglas versehen. Das Hotelmobiliar in den Zimmern wurde ersetzt durch eine einfache militärische Grundausstattung mit Feldbett, Stuhl und zwei Bettlaken. Dennoch wirkte das Hotel von außen weiterhin wie eine Luxusherberge. Die Sorge der vom US-Hauptquartier entsandten Inspektoren, dass der Vorwurf erhoben werden könnte, hochrangige deutsche Kriegsgefangene genössen den Luxus eines Kurhotels, war nicht unbegründet, wie sich herausstellen sollte.

Hochrangige Insassen

Mitte Mai 1945 wurde das Lager in Betrieb genommen und die Gefangenen aus dem belgischen Spa nach Bad Mondorf übergeführt. Bis August waren stets etwa fünfzig Gefangene interniert. Am 20. Mai wurde Göring, der sich am 9. Mai mit Frau, Tochter und einigen Mitarbeitern der 36. US-Infanterie-Division in Österreich ergeben hatte, nach Bad Mondorf gebracht. Hatte schon seine Gefangennahme zur Verärgerung Eisenhowers großes Aufsehen erregt, so avancierte er auch in Bad Mondorf sofort zum „Stargefangenen“. Drogenabhängig und stark übergewichtig, brachte Göring in seinen sieben Koffern nicht nur große Mengen Paradozin, ein Morphiumpräparat, mit, sondern auch eine Vielzahl von Wertgegenständen und Uniformen, die sofort konfisziert wurden. Unter Aufsicht zunächst eines inhaftierten deutschen und später eines amerikanischen Militärarztes wurde Göring einer Drogenentziehungskur unterzogen. Dank der Gefängniskost, die den von der Genfer Konvention für Kriegsgefangene vorgeschriebenen 1600 Kalorien entsprach, verlor er bald an Gewicht. Bei seiner Überführung nach Nürnberg im August 1945 war er in der besten körperlichen Verfassung seit Jahren.

Der Gefängnisalltag

Die Gefangenen nahmen ihre Mahlzeiten gemeinsam im Speisesaal des ehemaligen Hotels ein und konnten ihre freie Zeit, in der keine Verhöre stattfanden, im Lesesaal oder mit Spielen verbringen. Viele saßen an sonnigen Tagen auf der Terrasse oder im Garten. Die Unterbringung war deutlich besser als in den normalen Kriegsgefangenenlagern, woran insbesondere die Sowjets Anstoß nahmen. In einem am 30. Juni 1945 an Stalin übergebenen Bericht schreibt der Kommissar der Staatssicherheit Serow: „Es stellte sich heraus, dass die Gefangenen sich in (...), einem der besten Kurorte, aufhielten. Sie lebten in einem hervorragend ausgestatteten vierstöckigen Gebäude. Die Fenster waren nur mit schwachen Gittern versehen. In diesem Gebäude hat jeder Gefangene sein eigenes Zimmer mit einem guten Bett und anderen Annehmlichkeiten des Alltags. Die Isolation des einen vom anderen ist nur bedingt gegeben, denn im Laufe des Tages haben sie mehrmals die Möglichkeit, einander zum Essen zu treffen, aber auch während einer Schachpartie oder anderer Spiele. Keine der verhörten Personen macht den Eindruck eines Gefangenen, der bereit ist, für seine Verbrechen Verantwortung zu tragen. Sie sehen alle gut aus und sind gebräunt wie Kurgäste. Alles in vollständiger Uniform gekleidet, mit Gradabzeichen und dem Hakenkreuz.“

 Gastautor Heinrich Kreft ist Inhaber des Lehrstuhls für Diplomatie und leitet das Zentrum für Diplomatie an der Andrassy-Universität in Budapest. Von 2016 bis 2020 war er Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Luxemburg.

Gastautor Heinrich Kreft ist Inhaber des Lehrstuhls für Diplomatie und leitet das Zentrum für Diplomatie an der Andrassy-Universität in Budapest. Von 2016 bis 2020 war er Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Luxemburg.

Foto: Berzay/Jason Blackman/Jason Blackman

Klagende Briefe an den US-Präsidenten

Dennoch beklagten sich etliche der Gefangenen über die Unterbringung, die Verpflegung oder generell über ihren „Status“ und schrieben Briefe an Eisenhower, an Premierminister Winston Churchill und Präsident Harry S. Truman. Vergeblich, denn amerikanische, britische und französische Medien hatten kritisiert, die Internierten würden ungebührend zuvorkommend behandelt. Das brachte Eisenhower heftige Kritik ein. Die Gefängnisleitung legte großen Wert auf die Gesundheit der Gefangenen und ergriff Maßnahmen, damit diese sich ihrer Verantwortung vor Gericht nicht durch Suizid entziehen konnten. Um Suizide zu verhindern, gab es weder Schuhbänder noch Gürtel, zum Essen weder Messer noch Gabel, und selbst die Brille durfte nur im Leseraum unter Aufsicht getragen werden. > Fortsetzung folgt.

Gastautor Heinrich Kreft ist Inhaber des Lehrstuhls für Diplomatie und leitet das Zentrum für Diplomatie an der Andrassy-Universität in Budapest. Von 2016 bis 2020 war er Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Luxemburg.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort