Museum Herxheim Steinzeitmassaker in der Pfalz gibt Forschern Rätsel auf

Herxheim · Es ist ein Bild des Grauens, das sich Besuchern im Untergeschoss des Museums im südpfälzischen Herxheim bietet. Systematisch zerbrochene und mit scharfen Steinklingen entfleischte Menschenknochen liegen neben den Scherben verzierter Prunkbehälter in Vitrinen, angestrahlt von sanftem Kunstlicht.

  Schädel eines Kindes und zweier Erwachsener im Museum Herxheim.

Schädel eines Kindes und zweier Erwachsener im Museum Herxheim.

Foto: dpa/Uwe Anspach

„Wir sehen die Reste eines vermutlich einzigartigen Rituals mit Menschenopfern“, sagt Museumsleiterin Lhilydd Frank. Vor rund 7000 Jahren kam es hier, rund 15 Kilometer südöstlich von Landau, zu einem Massaker. Experten gehen von rund 1000 Toten aus. Aber warum mussten diese Menschen sterben?

Mehr als 20 Jahre nach dem ersten Fund forscht die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) unter der Leitung der Archäologin Andrea Zeeb-Lanz weiter nach den Hintergründen. Knochen und Scherben waren zwischen 1996 und 2008 entdeckt worden – zuerst bei Arbeiten für ein Gewerbegebiet, dann bei Grabungen. Von einem „europäisch einmaligen Fund“ spricht Frank. „Von den Tätern haben wir die Keramik, die uns entscheidende Einblicke gibt, aber sterbliche Überreste liegen nur von den Opfern vor.“

Für möglich halten Experten, dass das Ritual der blutige Schlusspunkt einer Epoche war. Gewiss scheint eines: Es war ein verstörender Zivilisationsbruch. Denn auch im damaligen Zeitalter der sogenannten Linienbandkeramiker war eine solche Eruption von Gewalt ungewöhnlich. Zwar wurden etwa 50 Jahre später auf dem Gebiet von Talheim (Baden-Württemberg) ebenfalls Menschen getötet. Aber hier kam man 1983 bei Skelettfunden auf „nur“ 34 Opfer. Und es handelt sich nicht um einen rituellen Kontext, sondern um einen Überfall auf ein Dorf. In einem Vergleich sind nun Belege des sogenannten Massakers von Talheim vom 31. Januar 2020 an im Museum von Herxheim zu sehen.

Rund 1000 Tote – wer waren diese Menschen? „Naturwissenschaftlichen Analysen zufolge stammten die Opfer aus dem Mittelgebirge“, sagt Archäologin Bettina Hünerfauth von der GDKE-Außenstelle in Speyer. Mittelgebirge bedeutet etwa Vogesen oder Schwarzwald. Wie gelangten diese Menschen in die Südpfalz? Kamen sie freiwillig, oder wurden sie als Gefangene verschleppt? „Wir werden es wohl nie mit Sicherheit wissen“, sagt Hünerfauth. Klar sei aber, dass die Menschen innerhalb von maximal 50 Jahren getötet wurden. „Vielleicht auch innerhalb nur eines Jahres. Wir reden über ein unglaublich makaberes Ritual.“

Es blieb nicht beim Töten. Die Opfer seien behandelt worden wie Tiere beim Schlachten, schildert Zeeb-Lanz in einem Bericht. Akribisch wurden Fleisch und Sehnen vom Knochen geschnitten, auch die Augäpfel wurden entfernt und die Schädel skalpiert, dann wurden alle Knochen zusätzlich zertrümmert. Und das Fleisch? Kam es zu Kannibalismus, wie der französische Anthropologe Bruno Boulestin nach der Untersuchung des Fundes meint? Trafen sich vor 7000 Jahren Linienbandkeramiker aus mehreren Regionen in Herxheim, um in einem unbarmherzigen Ritual etwa 1000 Fremde aus einem „höheren Grund“ zu opfern und dann zu essen?

„Diese These ist nicht vom Tisch, aber sie lässt sich eben nicht nachweisen“, sagt Hünerfauth. Auch Frank kennt die gruselige Theorie, wonach in der Südpfalz damals Köpfe über dem Feuer geröstet worden seien. „Tatsächlich zeigen untersuchte Vorderzähne Brandspuren, aber die Backenzähne sind ebenfalls verbrannt. Das deutet eher darauf hin, dass der Kopf in diesem Moment kein Fleisch mehr trug“, meint die Museumsleiterin. „Jedenfalls gibt es keine belastbaren Belege dafür, dass in Herxheim Menschen am Spieß gebraten wurden.“

„Was wir anhand der Forschung sagen können, ist, dass verschiedene bandkeramische Kulturen damals zu einem Ritual zusammengekommen sind, das offensichtlich Menschenopfer beinhaltete. Dafür haben sie nicht ihre eigenen Gruppenmitglieder geopfert, sondern Fremde“, sagt Frank. Die Keramik deute darauf hin, dass dazu Menschen aus Gegenden von bis zu 400 Kilometern nach Herxheim kamen. „Das war damals ein enormer logistischer Aufwand. Die Leute mussten ja irgendwie von dem Ritual erfahren. Ohne Netzwerke und Kontakte konnte das nicht passieren.“

Ob die Täter mit dem Opfer etwa Götter milde stimmen wollten, sei völlig offen, sagt Hünerfauth. „Klar ist aber: Wir haben es mit einem Epochenwechsel zu tun. Die Menschen haben auch ihre Keramik zerstört, und diese ist danach in dieser Verzierungsform nie mehr aufgetaucht.“ Ob das Ritual irgendwann irgendwo wiederholt wurde, sei unbekannt, betont Frank. Auch sei nicht klar, wohin die Täter nach dem Massaker gezogen seien.

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