Nach Amokfahrt in der Innenstadt „Wir sind fassungslos“ – Trier unter Schock

Trier · Bei einer Amokfahrt im Herzen der Römerstadt an der Mosel gibt es Tote und Verletzte. Augenzeugen schildern schreckliche Szenen.

 Kräfte der Polizei und des THW sperren den Zugang zur Fußgängerzone.

Kräfte der Polizei und des THW sperren den Zugang zur Fußgängerzone.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Ermittler suchen nach Spuren, und auch Stunden nach der mutmaßlichen Amokfahrt von Trier sind weite Teile der Fußgängerzone mit weiß-rotem Polizei-Band abgesperrt. Wo das Auto entlang gerast sein muss, liegen an diesen grauen Dezember-Tag wahllos Dinge auf der Straße. Die Polizei spricht von vier Toten, darunter ein neun Monate altes Kind. Die Mutter liegt verletzt im Krankenhaus. Festgenommen wird ein 51 Jahre alter Deutscher aus dem Kreis Trier-Saarburg.

Das PS-starke Fahrzeug, so die Erkenntnisse der Polizei, soll in der historischen Stadt an der Mosel von der Basilika über den Hauptmarkt bis zur Porta Nigra gerast sein, dem weltberühmten Stadttor aus der Römerzeit. In der nahen Christophstraße sei der Wagen nach etwa 200 Metern von der Polizei gestoppt und der Fahrer überwältigt worden – „vier Minuten nach Ersthinweis“, wie der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) am Abend in Trier sagt.

Lewentz spricht von einem „sehr langen Tatweg“, der Meter für Meter untersucht werde. „Es geht den Menschen enorm nahe, auch den Einsatzkräften.“ Lewentz ist zusammen mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) gekommen, die in Trier wohnt.

 01.12.2020, Rheinland-Pfalz, Trier: Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz gibt vor der Porta Nigra ein Pressestatement. Am Nachmittag war ein Mann mit einem Auto durch die Fußgängerzone von Trier gefahren und hat dabei Menschen verletzt und getötet. Foto: Harald Tittel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

01.12.2020, Rheinland-Pfalz, Trier: Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz gibt vor der Porta Nigra ein Pressestatement. Am Nachmittag war ein Mann mit einem Auto durch die Fußgängerzone von Trier gefahren und hat dabei Menschen verletzt und getötet. Foto: Harald Tittel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Harald Tittel

Oberstaatsanwalt Peter Fritzen zufolge soll der mutmaßliche Fahrer betrunken gewesen sein – er nennt einen Atemalkoholwert von 1,4 Promille. Es gebe Anhaltspunkte für ein psychiatrisches Krankheitsbild. Und es gebe dringenden Tatverdacht wegen Mordes in vier Fällen. Den Ermittlungen zufolge soll der Wagen Zick-Zack-Linien gefahren sein – möglicherweise, um so Menschen zu treffen.

Zur Tatzeit sind viele Schüler in der Stadt unterwegs, eine Schülerin einer zwölften Klasse berichtet, dass sie Schreie gehört und deshalb schnell in die Schule gelaufen sei. In vielen Klassen-Chats machte das Geschehen schnell die Runde.

Die Schulen in der Innenstadt werden offenbar umgehend über den Vorfall informiert. In der Ausonius-Grundschule beispielsweise müssen am Nachmittag alle Schüler im Gebäude bleiben. Die Eltern erhalten kurz nach 14 Uhr einen Anruf, dass es eine Amokfahrt mit mehreren Verletzten in der Innenstadt gegeben habe und heute kein Kind alleine nach Hause gehen dürfe. Sie sollen ihre Kinder abholen.

Eine Passantin berichtet, dass ihre 13-jährige Enkelin zusehen musste, wie ein Auto vom Hauptmarkt Richtung Porta durch die Fußgängerzone gefahren ist. Das Auto habe mehrere Menschen erfasst.

Ein Mann aus Schwäbisch-Hall möchte gerade seine Pommes essen, „als es einen Mordslärm gab“. Zunächst habe er vermutet, dass ein Lkw oder sogar der Kran in der Grabenstraße umgekippt sei. Dann habe er einen Wagen gesehen, der mit hoher Geschwindigkeit durch die Fußgängerzone gerast sei. „Der hat einfach alles umgefahren, was ihm in den Weg kam.“

Am Hauptmarkt sei ein Kinderwagen durch die Luft geflogen, berichtet eine weitere Augenzeugin. Sie hat die Amokfahrt aus ihrem Laden am Hauptmarkt beobachtet. Menschen hätten geschrien und seien in Panik in ihr Geschäft geströmt.

Später machen die Geschäfte zum großen Teil ihre Türen zu und lassen Kunden nicht mehr hinein – es sind ohnehin nicht mehr viele Menschen in der Stadt unterwegs. Mehrere Passanten weinen.

Mit Einbruch der Dunkelheit stellen Bürger einige Kerzen auf. An der Porta Nigra flackern kleine Teelichter, die eine junge Frau aufgestellt hat. Sie wolle damit ihr Mitgefühl für die Betroffenen ausdrücken, sagt sie. „Es ist alles so schrecklich.“

„Wir sind fassungslos“, sagt eine Bewohnerin eines Hauses, das an die Fußgängerzone grenzt, durch die der Täter gefahren ist. Auf den Kopfsteinpflastern sieht man einen Blutfleck, blutgetränkte Tücher. „Dass so etwas hier in Trier passieren kann, hätte ich nie gedacht“, sagt sie.

Warum bei uns? Diese Frage stellen sich viele Menschen im vorweihnachtlich geschmückten Trier. Die Kommune mit rund 112 000 Einwohnern gilt als älteste Stadt Deutschlands, ist auch bekannt als Geburtsort von Karl Marx. In internationale Schlagzeilen gerät Trier nur selten, schon gar nicht wegen Kapitalverbrechen.

Nach der Todesfahrt kreisen Hubschrauber über der Innenstadt. Die Polizei rät der Bevölkerung zunächst mit Nachdruck, die Innenstadt zu meiden. Dann aber macht die Nachricht die Runde, der Fahrer sei festgenommen worden. Die Erleichterung ist spürbar. In sozialen Netzwerken kursiert ein Video, das die Festnahme zeigen soll. Darauf sind zwei Polizeiautos zu sehen, die einem beschädigten Fahrzeug offenbar den Weg abgeschnitten haben. Ein Mann liegt auf dem Boden, drei Männer – vermutlich Sicherheitskräfte – halten ihn fest. Später wird der mutmaßliche Fahrer weggebracht.

Es ist wieder ein Vorfall mit einem SUV – schnell werden in Trier Erinnerungen wach an einen schweren Verkehrsunfall mit zwei Toten in Frankfurt im November – und andere Amokfahrten in jüngster Zeit.

Stunden nach der Tat hasten noch wenige Menschen durch die Stadt. Durch die nasskalte Luft dröhnen noch einige Polizeisirenen. Und die Mitarbeiterin eines Ladens sagt: „Die Schreie werde ich so schnell nicht wieder los.“

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