Augenzeugen berichten Trierer Amokprozess: „Ich höre die Schreie der Menschen bis heute“

Trier · Der Mordprozess gegen den mutmaßlichen Amokfahrer von Trier ist fortgesetzt worden. Augenzeugen berichteten, unter welchen Spätfolgen sie leiden. Die Geschichten rauben teilweise den Atem.

Prozess um Amokfahrt in Trier: Augenzeugen berichten von Spätfolgen
Foto: TV/Bernd Wientjes

Sechs Tote und viele Verletzte, darunter einige Schwerstverletzte, von denen einige auch 15 Monate nach dem Gewaltverbrechen immer noch an den Folgen leiden, sind die schreckliche Bilanz der Amokfahrt durch die Trierer Innenstadt. Die juristische Aufarbeitung vor dem Landgericht dauert an. Ein 52-jähriger Mann aus dem Trierer Stadtteil Zewen ist wegen mehrfachen Mordes angeklagt.  Der zuletzt arbeits- und wohnsitzlose Elektriker schweigt im Verfahren bislang zu den Vorwürfen, den Verhandlungstagen folgt er, als ginge ihn das ganze Verfahren nichts an.

Dabei gehen die Schilderungen der Verletzten und Augenzeugen unter die Haut. Wie schon an den vorausgegangenen Prozesstagen steht aktuell immer noch die Tragödie auf dem Hauptmarkt im Mittelpunkt der Befragungen. Allein dort wurden am 1. Dezember 2020 durch den Raser drei Menschen getötet, darunter ein neuneinhalb Wochen alter Säugling und der 45-jährige Vater. Die Schreie der verzweifelten Ehefrau und Mutter, die mit ihrem eineinhalbjährige Sohn das Gewaltverbrechen überlebt hat, gehen vielen Zeugen nicht mehr aus der Erinnerung. Eine Frau berichtete am Mittwoch davon, dass sie von dem Geschehen immer noch sehr traumatisiert sei. „Ich höre die Schreie der Menschen bis heute“, berichtete sie im Gerichtssaal und fügte hinzu, dass der Arzt ihr gesagt habe, dass diese womöglich auch nie ganz verstummen würden.

Zeugen hat die Schreie und Bilder noch immer vor Augen, ein Zeuge musste nach der Tat umziehen

Die 62-Jährige hatte damals Glück. Der im Zickzack durch die Trierer Fußgängerzone fahrende Geländewagen verfehlte sie nur knapp. „Mein Eindruck war, dass er gezielt auf die Menschen zu gefahren ist“, erinnerte sich die Zeugin. Die Schreie der Verletzten und um Hilfe rufenden Passanten sind nicht das einizige, was der Frau nicht mehr aus dem Kopf gehen will. „Ich habe Alpträume“, sagt sie, „sehe tote Menschen. Und wenn mir ein gößeres Fahrzeug begegnet, drücke ich mich ängstlich in den nächsten Hauseingang“, berichtet die Zeugin, die in ihrem alten Job als Erzieherin seit dem Gewaltverbrechen auch nicht mehr arbeiten kann.

Ähnlich erging es einem 22 Jahre jungen Lehrling, der seinerzeit gerade während der Mittagspause in der Fußgängerzone unterwegs war und nach eigenen Angaben viele Tote, Schwerverletzte und geschockte Menschen gesehen hat. In den Tagen danach bekam er einen Nervenzusammenbruch nach dem anderen – „bis hin zu einer Art epileptischer Anfälle“, schilderte er am Mittwoch im Prozess. Die Sache sei mit ein Grund gewesen, warum er dann nach Berlin gezogen sei. „Da habe ich den Kopf wieder frei bekommen, und die Anfälle hörten auf.“

Manche psychischen Folgen der Tat zeigten sich erst Monate später

Bei einem 30-jährigen Augenzeugen kam der Zusammenbruch sechseinhalb Monate nach der Amokfahrt. Als der dänische Nationalspieler Christian Eriksen bei der Europameisterschaft im Spiel gegen Finnland einen Kollaps auf dem Platz erlitt und wiederbelebt werden musste, kamen in dem Augenzeugen plötzlich die zuvor verdrängten schrecklichen Erlebnisse aus der Fußgängerzone wieder hoch. „Seit diesem Zeitpunkt bin ich in therapeutischer Behandlung“, berichtete er im Gericht – „bis heute“.

Besonders drastisch war auch die Schilderung einer 45-jährigen Frau, die am 1. Dezember 2020 gemeinsam mit ihrem Mann und der elfjährigen Tochter auf dem Hauptmarkt war, als der Amokfahrer dort vorbeiraste und Menschen „wie Puppen durch die Luft flogen“. Die Drei hatten Glück, blieben unverletzt.

Dass doch etwas hängengeblieben ist, bemerkte die Familie erst einige Monate später. Bei einem Kaufhausbesuch gab es plötzlich lautes Geschrei. „Wir zuckten zusammen und haben uns direkt nach einem geeigneten Fluchtweg umgeschaut“, berichtete die Zeugin am Mittwoch. Dann aber habe es Entwarnung gegeben: Das Geschrei kam von Kindern, die begeistert einer Kasperletheateraufführung gefolgt waren.

Schilderungen, bei denen mancher im großen Sitzungssaal des Landgerichts nicht weiß, ob er lachen oder weinen soll.

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. Er ist zunächst bis Ende April terminiert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort