Öffentliches Archiv des Département Moselle Wo das industrielle Erbe Lothringens aufbewahrt wird

Petite-Rosselle · In einem ehemaligen Lagerhaus des Schachts Sainte-Fontaine bei Saint-Avold wird ein Großteil der industriellen Geschichte Lothringens gelagert: Das „Centre des archives industrielles et techniques de la Moselle (CAITM)“ beherbergt neun Kilometer Archivgut auf Papier aus dem Zeitraum von 1816 bis 2007. Zu entdecken gibt es wahre Schätze – etwa Dokumente zu der bei Saargemünd gelegenen Planerstadt des Schuhherstellers Bata: Bataville.

Die Studentin Lucie Thépaut aus Angers absolviert im Archiv „Centre des archives industrielles et techniques de la Moselle (CAITM)“ bei Staint Avold ein Praktikum.

Foto: Silvia Buss

Ebenso wie das Saarland hat der Steinkohlebergbau auch das Département Moselle in Lothringen historisch stark geprägt. Diesem industriellen Erbe widmet sich bei unseren Nachbarn heute nicht nur ein großes, zweiteiliges staatliches Museum, das Schaubergwerk „La Mine“ und das „Musée les Mineurs“ in Petite-Rosselle, sondern auch ein großes öffentliches Archiv des Departements. Das heißt: Die Archivalien der staatlichen Grubengesellschaft HBL für das Lothringer Bergwerks-Revier mit seinen einst fast 60 Schächten sowie die Akten der Gewerkschaften und Krankenkassen der Bergleute bildeten den Grundstock dieses Archivs. Das „Centre des archives industrielles et techniques de la Moselle (CAITM)“, wie diese 2011 eröffnete Zweigstelle des Département-Archivs richtig heißt, sammelt aber auch Bestände von privaten Unternehmen anderer Industriezweige des-Mosel-Departement. „Das Schwierige dabei für uns ist, dass nur Unternehmen im Besitz der öffentlichen Hand, kommunale oder Staatsunternehmen, verpflichtet sind, uns nach ihrer Schließung Archivgut abzugeben,“ erklärt Archivleiterin Barbara Hesse. „Bei Privatunternehmen ist es eine freiwillige Sache.“ Nicht aus Zufall hat dieses Industrie- und Technik-Archiv sein Domizil in einem ehemaligen Lagerhaus des Schachts Sainte-Fontaine an der Grenze zwischen Freyming-Merlebach und Saint-Avold. Im Jahr 2004 schloss das letzte Lothringer Bergwerk, die Grube La Houve in Creutzwald. Und kurz vor dem Bergbau-Ende, so erzählt Archivleiterin Hesse, habe die staatliche Gesellschaft für die Lothringer Bergwerke, die Houillères du Bassin Lorrain (HBL), hier in diesem Gebäude ein zentrales Werksarchiv eingerichtet, das sie dann nach ihrer eigenen Abwicklung 2007 dem Départements-Archiv überließ.

Für das Département war das eine große Verpflichtung, aber auch ein großes Glück. Denn eigentlich hätten die Bergbaubestände zum Roubaix gehen sollen, wo das zentrale Staatsarchiv für die Arbeitswelt seinen Sitz hat. So sind die Dokumente nun dort geblieben, wo sie entstanden sind – und für Regional-Historikerinnen, Heimatforscher und Ahnenforscherinnen viel besser erreichbar. Das Archiv verfügte im archivgerecht renovierten Gebäude schon zur Eröffnung über neun (laufende) Kilometer Archivgut auf Papier aus dem Zeitraum von 1816 bis 2007. Darunter sind allein 152 500 Personalakten von Bergleuten des Kohlebeckens, die vor 1926 geboren sind. Da bei persönlichen Daten Schutzfristen zu beachten sind, werden die jüngeren Personalakten aus dem Bergbau fortlaufend nachgereicht. Im nächsten Jahr erwartet Archivleiterin Hesse etwas 600 Meter aus dem Puits Saint-Charles. Gerade diese Personalakten könnten auch für saarländische Regionalhistoriker und Ahnenforscherinnen interessant sein, sagt saarländische Landesarchivar i.R., Michael Sander, der das Saint-Avolder Archiv schon oft aufsuchte. Denn nicht nur gebe es generell ja viele verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Lothringen und dem Saarland. In früheren Zeiten, gerade zwischen 1871 und 1918, als die Moselle deutsch war und es keine Wirtschaftsgrenzen gab, hätten die Lothringer Gruben ihr Personal auch aus dem Saartal und dem Warndt rekrutiert. Und auch später habe es viele saarländische Grenzgänger gegeben, die in der Zwischenkriegszeit nach 1935 sogar durch Aufstände für Schlagzeilen gesorgt hatten. Neben den Personalakten hat das Archiv aus dem Bergbau-Werksarchiv auch 4300 Videokassetten und Filmrollen, 20 000 Fotografien und Dias erhalten. Hinzukommen 100 000 Karten und Pläne, die sowohl geologische Gegebenheiten zum Thema haben wie auch die Bergarbeitersiedlungen, den Wohnungsbau der Grubengesellschaft. Speziell diese Pläne historischen Wohnsiedlungen der Bergleute werden nicht nur von Historikern konsultiert, die wissen wollen, wie die Häuser einst im Originalzustand aussahen, wie die Archivare bereits bald nach der Eröffnung des CAITM feststellten. Auch bei Ingenieur- und Architekturbüros sind sie gefragt und bei Leuten, die die alten Bergarbeiterhäuser später erworben haben, um sie umzubauen und aus ihren Unterlagen daheim nicht erkennen können, wo sich tragende Wände befinden.

Über den Bergbau hinaus gelang es dem Archiv, auch etliche historische Bestände von privaten Unternehmen anderer Branchen zu bekommen. Dazu gehören etwa kleinere Glas- und Kristallglashersteller, die irgendwann schließen mussten, die bedeutenden Metzer Tabakmanufaktur, die mit meist kriegsbedingten Unterbrechungen von 1868 bis 2010 aktiv war und Bata, der Schuhhersteller, der in Nähe von Sarrebourg rund um seine Produktionsstätte eine ganze Planerstadt, Bataville, hatte errichten lassen. „Auch da hatten wir richtig Glück“, sagt Hesse. Denn als die Produktion nach 70 Jahren 2001 eingestellt wurde, habe ein Gewerkschafter die im Werk vergessenen Akten an sich genommen und dem Archiv übergeben, das sich dann mit dem Bata-Stammsitz in der Schweiz über den Verbleib des Archivguts einigte. „Wir haben jetzt die Filme, die Personalakten von allen, die jemals in Bataville gearbeitet haben, und 30 große Fotoalben“, freut sich Hesse, die mit ihrem Team der Bata-Geschichte bereits eine der regelmäßigen Sonderausstellungen im Archiv widmete. Eine Branche, die im Saint-Avolder Archiv noch wenig repräsentiert ist, ist die Stahlindustrie. Der Grund: Auch das ist privat, das wichtigste Unternehmen noch existent. „Der Großteil der Archivalien dazu ist Florange, wo Arcelor-Mittal ein eigenes professionell betreutes Archiv mit 25 Kilometern Archivgut unterhält“, erklärt Barbara Hesse. Aber wer weiß, irgendwann landet vielleicht auch dieses wichtige Erbe in Saint-Avold. Platz ist in dem Gebäude noch genug. Besuch aus dem Saarland ist im geräumigen CAITM, das auch eine Bibliothek mit 4300 Büchern und Zeitschriften hat, immer willkommen. „Sagen Sie doch ihren Forschern und Studenten, hier finden sie zu einem Thema alles Material an einem Ort“, ruft uns Hesse zum Abschied noch hinterher.

Centre des archives industrielles et techniques de la MoselleRue du Merle, 57500 Saint-Avold, Frankreich , Telefon: +33 3 87 78 06 78, Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8.30 bis 16.30 Uhr