Taufe auf dem Schlachtfeld

Verdun · Der Saarbrücker Patrick Schmidt und seine französische Frau Cindy haben ihren Sohn Fernand Otto in Fleury-devant-Douaumont taufen lassen. Dort, wo im Ersten Weltkrieg ein Vorfahr der Familie starb.

 Patrick Schmidt und seine Frau pflanzen mit Bürgermeister Laparra die Eiche für Fernand Otto (auf dem Arm von Karin Resch, der Frau des Taufpaten). Foto: L'Est Républicain, Grégoire Hallinger

Patrick Schmidt und seine Frau pflanzen mit Bürgermeister Laparra die Eiche für Fernand Otto (auf dem Arm von Karin Resch, der Frau des Taufpaten). Foto: L'Est Républicain, Grégoire Hallinger

Foto: L'Est Républicain, Grégoire Hallinger

Das Eichenbäumchen - es soll für den wenige Monate alten Fernand Otto zu einem prächtigen Baum gedeihen - dort, wo vor fast 100 Jahren Fernand Ottos Ur-Ur-Ur-Großonkel starb. Auf der Erde steht heute ein junger Mann. Es ist Fernand Ottos Vater. Patrick Schmidt gräbt vor der Taufe seines Sohnes ein Loch für das Bäumchen. Zentimeter für Zentimeter bohrt sich der Spaten in das Gras von Fleury-devant-Douaumont. Plötzlich kratzt Metall an Metall. Patrick Schmidt hält inne. Das Eisen seines Spatens ist auf Granatsplitter gestoßen.

Es sind die Spuren der Schlacht um Verdun im Ersten Weltkrieg. Einer Schlacht mit 40 Millionen verschossenen Geschützgranaten. Mit 700 000 getöteten, verwundeten oder vermissten Soldaten aus Deutschland und Frankreich. Die Geschichte von Fernand Otto, seiner Taufe und seiner Familie ist eine deutsch-französische Geschichte. Eine Geschichte von Krieg und Frieden. Von Vergangenheit und Zukunft. Von Liebe und jeder Menge Symbolik.

Doch von Anfang an: Als Patrick Schmidt 20 Jahre alt ist, verlässt er Saarbrücken, um in Frankreich zu studieren. Dort lernt er im Doktorstudiengang am Pariser Nationalmuseum für Naturgeschichte seine künftige Frau Cindy, eine Französin, kennen. Cindy und Patrick werden zum einzigen deutsch-französischen Paar an ihrer Universität und in ihrem Freundeskreis. Cindy liebt von Kindesbeinen an Deutsch, und sie liebt Deutschland - obwohl sie den Nachnamen "Adolphe" trägt. "Dieser Name erinnert jeden an Adolf Hitler. Damit in Frankreich aufzuwachsen, war als Jugendliche kein Spaß", sagt die 33-Jährige heute. Doch ihre Deutschlehrerin vermag es, das Negative wettzumachen: "Sie hat es geschafft, mich für Deutschland zu begeistern."

Die Begeisterung mündet 2013 in einer deutsch-französischen Eheschließung - in Verdun . Für Arsène Lux, den damaligen Bürgermeister von Verdun , eine Premiere. Cindy und Patrick hatten ihn angeschrieben und ihn darum gebeten, dass er selbst die Zeremonie gestaltet. In seiner Rede, so der Wunsch des Paares, sollte er mehr über den Frieden als über den Krieg zwischen Deutschland und Frankreich sprechen. Seit seinem Amtsantritt 1995 sei dies mit Sicherheit die erste deutsch-französische Ehe, die im Standesamt von Verdun geschlossen wird, lässt Lux damals Patrick und Cindy wissen. Ja, Lux vermutet sogar, dass es die erste deutsch-französische Eheschließung überhaupt seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Verdun sein könnte.

Doch Verdun ist nicht Fleury-devant-Douaumont. Cindy Schmidt-Adolphe hängt an diesem Ort, obwohl sie weiß, dass er viele Menschen ängstigt. Fleury zählt zu den zerstörten Dörfern Frankreichs, die nach dem Ersten Weltkrieg nicht wiederaufgebaut wurden. Ganze 16 Mal wechselte es während der Schlacht von Verdun im Jahre 1916 den Besitzer. Noch immer wäscht der Regen dort an manchen Tagen menschliche Knochen aus der Erde. Und der Boden ist bis heute verseucht von Sprengstoffen, Blindgängern und Munitionsresten.

Dieser Ort - er ist Symbol für Tod und Leid, aber auch für die deutsch-französische Aussöhnung und den deutsch-französischen Frieden. Haben doch dort der französische Staatspräsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl 1984 Hand in Hand der Toten des Ersten Weltkrieges gedacht. Und hat doch der frühere Oberst der französischen Armee und Bürgermeister von Fleury, Léon Rodier, versucht, das ehemalige Kampfgebiet nach außen mit Frieden und nicht mehr nur mit Krieg in Verbindung zu bringen. "Ich liebe die Stille in Fleury. Als ich für mein Abitur lernen musste, habe ich mich oft in diesen Wald zurückgezogen. Ich hatte dort nie Angst, ich habe mich ihm immer verbunden gefühlt und wollte darum unseren Sohn dort taufen lassen", sagt Cindy Schmidt-Adolphe.

Die Verbundenheit: Sie erklärt sich auch durch den 31. Mai. Ein Datum, das über Generationen hinweg in Cindys Familie eine Brücke schlägt. Der Ur-Großonkel ihres Vaters, Jean Peyrelongue, ein Landwirt aus dem Baskenland, fällt am 31. Mai 1916 in Verdun . Im Jahr 2013, ganze 97 Jahre später, aber auch an einem 31. Mai, finden deutsche Touristen auf dem Gelände des ehemaligen Schlachtfeldes von Fleury-devant-Douaumont die Gebeine und Erkennungsmarken von 26 gefallenen Soldaten. Unter ihnen: eben jener Jean Peyrelongue. Auch an einem 31. Mai - nur ein Jahr später - kommt Cindys und Patricks kleiner Sohn Fernand Otto zur Welt. Um seine Taufe in dem ehemaligen Kriegsgebiet möglich zu machen, waren viele Schreiben aus Deutschland nach Frankreich nötig und letzen Endes musste der Unter-Präfekt von Verdun dem Bürgermeister von Fleury, Jean-Pierre Laparra, sein Einverständnis geben, damit Laparra die Zeremonie vollziehen durfte. "Wir hatten uns schon fast von dem Gedanken verabschiedet und wollten stattdessen eine Gartenparty machen, da kam das Okay", erinnert sich Patrick Schmidt.

Er und seine Frau dürfen Zelte vor der Friedens-Kappelle in Fleury aufbauen, über 80 Gäste aus Deutschland und Frankreich dort empfangen und am Fuße des Grabes von Oberst Léon Rodier ihren Familienbaum pflanzen. Ein Symbol, das Fernand Otto in einer komplizierten Welt daran erinnern soll, dass Frieden nicht selbstverständlich ist.

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HintergrundFernand Otto wurde nicht kirchlich getauft. In Frankreich gibt es die Möglichkeit einer weltlichen Taufe durch den Bürgermeister. Die Zeremonie findet normalerweise im Rathaus statt, um das Kind in der Gesellschaft willkommen zu heißen. Paten nehmen sich seiner an. ko

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