Mitten in der europäischen Wirklichkeit

„Das Reich der Mitte“: Vor einiger Zeit schon hat die Kunsthistorikerin und Autorin Eva Mendgen diese schöne Bezeichnung für die so genannte Großregion gefunden. SZ-Redakteurin Ilka Desgranges sprach mit ihr über den Reiz der Region und der Stadt mittendrin.

 Auf einem Regionalglobus von Claude Wall wird Saarbrücken zum Mittelpunkt der Welt. Foto: arge lola/Kai Loges+Andreas Langen

Auf einem Regionalglobus von Claude Wall wird Saarbrücken zum Mittelpunkt der Welt. Foto: arge lola/Kai Loges+Andreas Langen

Foto: arge lola/Kai Loges+Andreas Langen

Offiziell heißt es Großregion. Sie sprechen vom "Im Reich der Mitte". Wie kam es dazu?

Mendgen: Die Idee entstand im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres 2007, in dessen Mittelpunkt die Großregion Saarland-Lothringen-Luxemburg-Rheinland-Pfalz-Wallonien stand, für mich ein "Reich der Mitte" der besonderen Art. Der Name bezieht sich auf das historische Reich der Mitte Karls des Großen, dessen Mitte in etwa die Ausdehnungen der heutigen Großregion abdeckt. Für die Idee, die Großregion als eine einzigartige Kulturlandschaft zu begreifen, ließen sich viele Menschen begeistern, darunter viele Grenzgänger zwischen den Kulturen. Und es gibt viele Grenzgänger der Arbeit wegen, etwa nach Luxemburg . Aber es kommen auch viele Luxemburger gerne nach Saarbrücken , weil sie die Stadt als solche schätzen, nicht wenige würden gerne hier wohnen.

Das hört man immer wieder.

Mendgen: Wenn man die Großregion als große Metropole ansieht, dann macht das durchaus Sinn. In Saarbrücken wohnen und in Luxemburg , Metz oder Nancy arbeiten, Leute, die in Berlin, London oder Paris leben, sind oft jeden Tag eine Stunde oder mehr unterwegs zur Arbeit.

Sie glauben also, dass man die Region anders denken könnte: als Einheit, als Metropole mit all ihren Facetten?

Mendgen: Ganz genau. Es gibt Ideen vom Verflechtungsraum, von der polyzentrischen Metropolregion. Das sind Begriffe, die erklärungsbedürftig sind. Man muss die Lebenswirklichkeit dahinter sehen und vermitteln. Der Alltag vieler Menschen war hier immer schon ein "großregionaler", regional verwurzelt, international vernetzt.

Und dieser Gedanke war der Auslöser für Ihr Buch?

Mendgen: Ich dachte, ich lebe in Saarbrücken und bin Teil einer internationalen Kulturhauptstadt, Teil einer internationalen Region. Versuche ich doch einmal, die Region als wirkliche Europa-Region aufzufassen. Mein Aufhänger war eine Forschungsarbeit über die Glasmacher im Saarland und in Lothringen . Dabei habe ich gemerkt, dass das Saarland eigentlich Teil eines größeren Kulturraumes ist. Investitionen, Fähigkeiten, das "savoir faire", sind darin eins, sie machen nicht an den nationalen Grenzen Halt, deren Verlauf sich ja auch viele Male geändert hat.

Warum kommt die Großregion bei den Menschen dennoch nicht so gut an?

Mendgen: Die Menschen sind schon lange hier angekommen, sie kennen nur die Begrifflichkeiten nicht. Vielleicht wird einfach zu wenig in die Kommunikation der deutsch-französischen, europäischen Großregion investiert. Es gibt Förderperioden, Fördertöpfe, die dafür gedacht sind. Es ist aber sehr aufwendig, die Mittel daraus in Anspruch zu nehmen. Deshalb werden sie nicht genug angezapft, vielleicht auch aus mangelnder politischer Erkenntnis, aus mangelndem Austausch zwischen den Akteuren und der Politik. Heute muss alles schnell gehen, Politiker müssen kurzfristig Resultate erbringen, Akteure ebenso. Doch "Großregion", wenn man sie auch als "Grande Région" versteht, ist ein langwieriger Prozess, der dazu führen sollte, dass Menschen ein wirkliches Interesse haben zusammenzukommen. Dann ist auch die sprachliche Hürde nicht mehr so hoch.

Sprechen wir über Saarbrücken als Teil der Großregion.

Mendgen: Es ist oft schwer, Außenstehende für Saarbrücken zu begeistern, die Stadt hat immer noch ein schreckliches Image. Sie ist jedoch auf ihre Art schön. Ich habe immer wieder Gruppen von Studenten, Architekten und Städteplanern nach Saarbrücken geholt, vor allem aus Nancy, und die Reaktionen sind wirklich nett. Wenn sie hierher kommen, sagen sie: Es ist lebendig, es ist eine kosmopolitische Stadt, man kann ganz viel machen. Das macht für mich die Stadt aus: Ich lebe in einer europäischen Realität, nicht nur in einer deutsch-französischen. Dieses "Großdingensda" mit seinen administrativen Grenzen ist eine Anregung. Es ist ja alles nicht weit weg von hier. Saarbrücken ist doch durch den TGV längst so was wie ein Vorort von Paris. Es liegt mittendrin in Europa, man ist ganz kurz unterwegs und schon einen Tick woanders. Mittendrin in der europäischen Wirklichkeit, und im Grunde genommen kann man an einem einzigen Tag fünfmal im Ausland sein, man kann sich zum Beispiel mehrere Welterbe-Stätten anschauen und am Abend wieder auf dem St. Johanner Markt sitzen. Bei meinen Büchern war Saarbrücken immer der geografische Ausgangspunkt, aber immer auch so etwas wie der Nabel der Welt. Typisch saarländisch. Und von hier aus wurde alles andere erobert, die Schatzsuche ging los. Dafür braucht es übrigens nicht unbedingt die Zweisprachigkeit, man kann auch zwischen den Zeilen lesen.

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