Endlager für die Ewigkeit?

Bure · Während in Deutschland völlig offen ist, wie der Atommüll entsorgt wird, wird die Sache in Frankreich rasch vorangetrieben. Im Dörfchen Bure in Lothringen wird an den Bedingungen für ein Endlager geforscht. Doch es gibt Widerstand, und noch sind nicht alle Fragen der Sicherheit beantwortet.

 Das unterirdische Labor ist eine Art Miniatur-Ausgabe des geplanten Endlagers. In einem ähnlichen Tunnel, wie er hier in das Tongestein gebaggert wird, könnte ab 2025 Atommüll gelagert werden. Fotos: Iris Maurer

Das unterirdische Labor ist eine Art Miniatur-Ausgabe des geplanten Endlagers. In einem ähnlichen Tunnel, wie er hier in das Tongestein gebaggert wird, könnte ab 2025 Atommüll gelagert werden. Fotos: Iris Maurer

Goldgelbe Felder, verschlafene Bauerndörfer - die Gegend um Bure ist ein Idyll in der tiefsten französischen Provinz. Wäre da nicht, 500 Meter unter der Erde, dieses Labor, in dem an der Endlagerung von Atommüll geforscht wird. Hier soll einmal der langlebige mittel- und hochradioaktive Abfall ganz Frankreichs entsorgt werden: 80 000 Kubikmeter insgesamt. Nur drei Prozent des gesamten Atommüll-Aufkommens macht er aus, enthält aber 99 Prozent der Radioaktivität und gibt bis zu 100 000 Jahre lang gefährliche Strahlung ab.

Es wäre das erste Endlager im Herzen Europas, und Frankreich treibt die Sache rasch voran - zu rasch nach Auffassung des französischen Verfassungsgerichts. Das strich vor kurzem einen Artikel zum geplanten Endlager aus einem Wirtschaftsförderungsgesetz. An den Plänen der staatlichen Betreibergesellschaft des Lagers, Andra, ändert das wenig. Wie geplant, werde die Andra 2017 die Baugenehmigung beantragen, sagt deren Sprecher Marc-Antoine Martin. Der Gesetzesartikel sollte lediglich die Vorgaben für eine Pilotphase des Lagers festlegen.

Auf saarländischer Seite hofft man auf mehr Mitspracherecht bei der Entscheidung, hofft, dass Bure in Lothringen als Standort noch nicht feststeht, wo es doch gerade einmal 120 Kilometer von der Grenze entfernt liegt. Fakt ist aber, dass es in Frankreich kein einziges vergleichbares Labor gibt, dass seit Jahrzehnten hier geforscht wird und dass bereits knapp fünf Milliarden Euro nach Bure geflossen sind. "Wenn wir die Genehmigung bekommen, wird das Endlager hier gebaut", stellt denn auch Martin klar. Der Bau wird weitere Milliarden kosten, die letzten offiziellen Schätzungen von 2009 gingen von 36 Milliarden Euro aus.

Ursprünglich sollte an drei Standorten geforscht werden. Doch an den beiden anderen war der Widerstand der Bevölkerung so groß, dass das Vorhaben aufgegeben wurde. Anders in der Gegend um Bure , einem dünn besiedelten, strukturschwachen Landstrich, gerade einmal 90 Menschen wohnen im Ort. Hier hält sich der Protest in Grenzen. Weil die Menschen geschmiert wurden, sagen Endlager-Gegner. Weil sie wissen, dass der Müll irgendwo hin muss, sagen die Befürworter. Tatsächlich zahlen die Atomkonzerne EDF und Areva den Départements Meuse und Haute-Marne jedes Jahr jeweils 30 Millionen Euro - offiziell Strukturfördergelder. "Das Labor ist nicht wie ein Unternehmen, das einer Gegend einen Mehrwert bringt, es dient allein der Forschung ", sagt Martin. Gleichzeitig hätten die Gemeinden aber Ausgaben, etwa für Straßen, die neu gebaut werden müssen.

Unter Tage wird in Bure derweil gebohrt und gemessen, gebaggert und geforscht. Der Abfall soll später in Glas- und Stahlbehältern, von Beton umschlossen, in Stahltunneln gelagert werden. Die Ventilatoren dröhnen, Staub hängt in der Luft - Staub aus der 130 Meter dicken Tonschicht, die Wissenschaftler für die Lagerung für optimal halten: sehr dicht sei sie, ohne Verwerfungen und kaum durchlässig. Experimente hätten gezeigt, dass im Falle einer Freisetzung die radioaktiven Teilchen 100 000 Jahre bräuchten, um in die umliegende Erdschicht zu wandern. Dann wäre die Radioaktivität so abgeschwächt, dass sie keine Gefahr mehr darstelle, sagt Martin. Der Ton soll den Hauptschutz bieten, denn kein Container der Welt überlebt 100 000 Jahre.

Grundsätzlich, so Martin, sei die Endlagerung unter Tage möglich: "Es sind nur einzelne Fragen, die noch geklärt werden müssen." Fragen, die es in sich haben: Etwa wie Brände unter Tage verhindert werden können, wenn aus den Containern Gase austreten. Oder in welchem Abstand die 90 Grad heißen Behälter gelagert werden müssen, damit das Gestein die ausstrahlende Hitze noch verkraftet. Diese und andere Bedenken kamen im Zuge der öffentlichen Debatte auf, die die Andra 2013 durchführte. Das Credo damals: Der Zeitplan sei zu eng gefasst, zu viele Fragen offen. Nun soll die Baugenehmigung erst 2017 statt 2015 beantragt werden. Und die, so Martin, solle dann auch nicht für 100 Jahre gültig sein: "In regelmäßigen Abständen soll beurteilt werden, ob die Anlage weiter betrieben wird."

Zunächst wird eine Pilotphase gestartet. Ab 2025 werden fünf Prozent des Abfalls eingelagert und 50 Jahre lang überwacht, bevor der Rest folgt. 100 Jahre lang soll der Müll rückholbar sein, falls die Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen kommt. Danach wird das Lager endgültig verschlossen. "Eine rein politische Forderung", sagt Martin. Aus wissenschaftlicher Sicht sei es sicherer, die Tunnel sofort zu schließen, wenn der Müll erst einmal unten ist. Den größten Schwachpunkt sieht Martin im Transport: "Ich bin Geologe. Ich traue dem Gestein mehr als den Menschen. Menschen machen Fehler."

Im Örtchen Bure haben Gegner 2004 ein Widerstandshaus eröffnet und führen seitdem einen erbitterten Kampf gegen das Endlager. "Man setzt uns einer immensen Gefahr aus", sagt Frank Linke, der sich im Netzwerk "Bure Zone libre" engagiert. Vertrauen in die Forschung der Andra hat er nicht: "Es ist wissenschaftlich nicht seriös, ein Endlager für Millionen Jahre als sicher zu bezeichnen. Die Forschung beruht auf keinerlei Erfahrungswerten." Schon die Annahme, dass das Tongestein sicher sei, überzeugt Linke nicht: "Jede Gesteinsart arbeitet, das weiß jeder Bergmann." Er glaubt auch nicht, dass es möglich ist, die Behälter zurückzuholen: "Wenn sich eine Röhre nur einen Millimeter verschiebt, geht gar nichts mehr."

Kürzlich hat sich auch die deutsche Bundesregierung eingeschaltet: Man werde das Genehmigungsverfahren intensiv begleiten und "größtmögliche Transparenz" einfordern. Inwieweit die Deutschen tatsächlich eingebunden werden, sei eine politische Frage, die die Regierung beantworten müsse, nicht die Andra, sagt Martin, fügt dann aber noch hinzu: "Wenn in Deutschland etwas gebaut wird, werden die Franzosen auch nicht gefragt."

Gefahr drohe den Nachbarländern Saarland, Luxemburg und Rheinland-Pfalz allein aufgrund der Entfernung nicht, betont er. Zu diesem Ergebnis kam auch das Öko-Institut Darmstadt, das die Länder 2013 mit einem Gutachten beauftragt hatten. Den großen Schwachpunkt sieht das Institut aber darin, dass sich alle Erkenntnisse auf das Labor beziehen, der Standort des eigentlichen Lagers, wenige Kilometer entfernt, wurde noch nicht untersucht.

 Mit einem Lift gelangen die Arbeiter und Wissenschaftler in das 500 Meter unter Tage gelegene Labor, das in eine 130 Meter dicke Tonschicht gebaut wurde.

Mit einem Lift gelangen die Arbeiter und Wissenschaftler in das 500 Meter unter Tage gelegene Labor, das in eine 130 Meter dicke Tonschicht gebaut wurde.

 In Stahlbehältern, von Beton umschlossen (hinten), soll der Müll entsorgt werden.

In Stahlbehältern, von Beton umschlossen (hinten), soll der Müll entsorgt werden.

 Farbenfroher Protest: Miryam Clandon und einige Mitstreiter demonstrieren vor den Toren des Labors. Seit zwei Wochen zeltet sie dort und sagt: „Ich gehe erst, wenn das Labor geschlossen wird.“

Farbenfroher Protest: Miryam Clandon und einige Mitstreiter demonstrieren vor den Toren des Labors. Seit zwei Wochen zeltet sie dort und sagt: „Ich gehe erst, wenn das Labor geschlossen wird.“

Zum Thema:

AUF EINEN BLICK1991 Die französische Nationalversammlung beauftragt die Andra mit der Endlager-Suche.2000 In Bure wird das Labor gebaut.2006 Das Parlament beschließt, dass die Tiefenlagerung die beste Lösung sei, und schreibt die Rückholbarkeit vor. 2013 Öffentliche Debatte über das Projekt.2017 Genehmigung für den Bau des Lagers soll beantragt werden.2020 Geplanter Baubeginn.2025 Erste radioaktive Abfälle sollen entsorgt werden. noe

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