Deutsch soll Standbein bleiben

Saargemünd · Die Eltern, die Lehrer und Erzieherinnen im französischen Grenzgebiet wollen sich von Paris den Deutschunterricht nicht verbauen lassen. Gilles Pécout, oberster Bildungsexperte Lothringens, warb mit einer Lösung.

 Die zweisprachige Kindertagesstätte Gregersberg in Saargemünd gehört zum deutsch-französischen Netzwerk Elysee 2020. Links Akademie-Rektor Gilles Pécout, in der Mitte der Bürgermeister von Saargemünd, Celeste Lett, rechts die Erzieherin Cindy Pizmoth. Foto: Maack

Die zweisprachige Kindertagesstätte Gregersberg in Saargemünd gehört zum deutsch-französischen Netzwerk Elysee 2020. Links Akademie-Rektor Gilles Pécout, in der Mitte der Bürgermeister von Saargemünd, Celeste Lett, rechts die Erzieherin Cindy Pizmoth. Foto: Maack

Foto: Maack

Die Kinder der Tagesstätte Gregersberg in Saargemünd haben den Erwachsenen lange zuhören müssen. Nun dürfen sie endlich singen: "Luftballon, Luftballon, flieg in ein fernes Land, flieg über die Blies". Sie singen auf Deutsch, denn sie besuchen eine Einrichtung mit sprachlicher Frühförderung .

Dass das Nachbarland auf der anderen Seite der Blies bald wirklich zu einem "fernen Land" werden könnte, das befürchten die französischen Mütter und Väter, die am Dienstag zahlreich am Gregersberg erschienen sind. Denn sie sorgen sich um den Spracherwerb ihrer Kinder, nachdem die französische Bildungsministerin Najat Belkacem eine Reform des Sprachenunterrichts an den Collèges (Mittelstufen) angekündigt hat. Bei dieser Reform könnte das bei vielen französischen Schülern ohnehin nicht sehr begehrte Fach Deutsch vollends unter die Räder kommen (wir berichteten).

Die Eltern in der Grenzregion um Saargemünd , Bitche und Forbach befürchten wirtschaftliche Nachteile, zumal viele Lothringer bei deutschen Arbeitgebern wie ZF, Michelin , Ford oder Smart beschäftigt sind - eben, weil sie Deutsch können. Die Eltern wollen nicht, dass den Kindern die Chance, später bei einem deutschen Unternehmen eine Arbeit zu finden, genommen wird, "nur, weil eine Ministerin in Paris keine Ahnung von unserer Situation an der Grenze hat", wie es eine Mutter formulierte.

Auch der Bürgermeister von Saargemünd , Celeste Lett, ist nicht begeistert über die möglichen Auswirkungen der "Sprachreform" der Ministerin. Auf Letts Einladung hin hatte sich Gilles Pécout, der Rektor der Académie Nancy und Metz und damit der wichtigste Mann für die Bildung in Lothringen, auf den Weg nach Saargemünd gemacht. Vor der versammelten Lehrer- und Elternschaft am Gregersberg lieferte der eloquente Geschichtsprofessor eine Lektion bester französischer Diplomatie ab: An der "éducation nationale", also an der zentralistischen französischen Bildungspolitik führe zwar kein Weg vorbei, aber es gebe für die Grenzregionen eine Lösung, die mit Pariser Vorgaben vereinbar sei. Das Zauberwort heiße "Kontinuität". Das bedeute, dass alle Kinder, die bereits deutsch-französische Kitas besucht haben, auch weiterhin Deutsch in der Grundschule und am Collège weitermachen können. "Es wird da keinen Bruch geben", versicherte Pécout. Der Ministerin sei die "Demokratisierung" der Bildung wichtig, also, dass alle Kinder die gleichen Chancen bekämen. Das bedeute auch, dass alle Kinder weiterhin Deutsch lernen sollen, die schon früh damit angefangen haben. Die grenzüberschreitende Frühförderung sei, so Pécout, ein "großartiger Standortvorteil Lothringens", den andere Regionen nicht hätten. "Wir wollen die Deutsch-Kompetenzen eurer Kinder erhalten, die auch unsere Kinder sind", rief Pécout den Eltern zu. Die klatschten zwar, aber Zweifel blieben dennoch bestehen.

Meinung:
Paris bestimmt die Richtung

Von SZ-RedakteurinChristine Maack

Wir schimpfen oft und gerne über unser föderalistisches Bildungssystem. Aber auch der Bildungszentralismus hat seine Schwächen. Eine davon trat in Saargemünd offen zu Tage: Was schert eine Pariser Ministerin, die Frankreich mit einer gleichmacherischen Bildungspolitik beglücken möchte, die Befindlichkeit von ein paar Tausend Lothringern? Der deutsch-französische Austausch im Grenzgebiet ist rege, er wird von vielen engagierten Eltern und Lehrern, also von den Bürgern selbst, getragen. Und die wollen sich ihr über Jahre aufgebautes Netzwerk nicht zerstören lassen. Der oberste Bildungsexperte aus Metz ließ keinen Zweifel daran: Sonderwege an Paris vorbei gibt es für Lothringen nicht, nur kleine Nischen. Das läuft im Saarland anders.

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