Von „Humba Täterä“ bis „Ruckizucki“ Was den Erfolg der Fastnachtslieder ausmacht

Mainz · Bald wird wieder geschunkelt, getanzt und gesungen zu Fastnachts-Evergreens wie „Humba Täterä“ oder „Rucki Zucki“. Beim Schaffen neuer närrischer Lieder könnte nach Ansicht eines Mainzer Musikwissenschaftlers etwas mehr Mut gut tun. Dann könnte sich die Sternstunde von 1964 wiederholen.

Fastnacht: Musikwissenschaftler Frank Wittmer analysiert das närrische Liedgut
Foto: dpa/Franziska Kraufmann

Der Mainzer Musikwissenschaftler Frank Wittmer wünscht sich von Fastnachtsliedermachern mehr Mut zu Neuem und Eigenem. Es habe zugenommen, bereits bekannte Schlager mit neuen fastnachtlichen Texten zu unterlegen, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. „Man könnte eine Aufgabe darin sehen, mehr Eigenes zu wagen.“ Natürlich werde nicht alles so erfolgreich wie der von Toni Hämmerle in den 1960ern komponierte und getextete, von Ernst Neger gesungene Klassiker „Humba Täterä“. Aber nur so könnten am Ende Stücke entstehen, die irgendwann das Potenzial zu Klassikern hätten.

Grundsätzlich kann er bei Fastnachtsliedern einige Besonderheiten ausmachen. Während es bei sonstiger Unterhaltungsmusik eine Art „kommunikative Einbahnstraße“ gebe, die Lieder also vor allem über das Radio, von CD, gestreamt oder über ein anderes Medium zum Hörer kämen und bloß konsumiert würden, lebe Fastnachtsmusik von der Live-Situation im Saal, sei explizit für das Mitsingen konzipiert, eben keine „Einbahnstraße“. „Das Animieren zum Mitmachen ist ein zentraler Punkt“, erläuterte Wittmer. Strukturell seien die meisten Lieder recht einfach und schnell erfassbar, es gebe kaum Kühnheiten in der Melodik, „keine ungewöhnlichen Sprünge“.

Ein Paradebeispiel dafür sei der Stimmungsmarsch „Humba Täterä“. Der beschränke sich textlich nicht explizit auf Mainz und habe sich auch deshalb zu einem regelrechten „Stimmungs-Welthit“ entwickeln können, der fernab des Rheins und abseits der närrischen Tage auf Volksfesten ebenfalls bestens funktioniere. Dass das Lied noch immer wirke, zeige sich etwa daran, dass es Lukas Podolski nach dem Viertelfinalsieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der EM 2008 im Stadion gesungen und dazu getanzt habe. Die deutschen Fußball-Weltmeister von 2014 hätten es nach ihrer Rückkehr aus Brasilien auf der Fanmeile in Berlin auch angestimmt. Ähnlich erfolgreich sei „Rucki Zucki“, mit dem Ernst Neger 1973 einen weiteren Hit gelandet habe. „Hier kommt dann noch ein tänzerisches Bewegungsspiel dazu“, sagte Wittmer.

 Musikwissenschaftler Frank Wittmer

Musikwissenschaftler Frank Wittmer

Foto: dpa/Max Lindemann

Ein weiterer Typus des Fastnachtsliedes kommt dem Experten zufolge „coupletartig“ daher - also im Stil etwa des bekannten deutschen Komikers und Kabarettsängers Otto Reutter aus den 1920er Jahren. Ein Beispiel sei das Lied „Amanda“ mit seinem eingängigen Refrain. Die Strophen mündeten mit zunehmender Zweideutigkeit stets in einer sexuell aufgeladenen Pointe, die der gleichbleibende Refrain liefere.

Engelbert Wiedmann etwa, ein heutiger Interpret von „Amanda“, in Mainz als „Schambes vun de Altstadt“ bekannt, habe abseits der närrischen Zeit ebenfalls Reutter-Couplets in seinem Repertoire. „Auch bei solchen Couplet-Liedern ist die Aktivierung des Publikums ganz zentral“, betonte Wittmer. „Die Sänger müssen den Refrain eigentlich gar nicht mehr singen, das übernimmt das Publikum sehr schnell ganz von selbst.“

Wieder ein anderer Typ des Mainzer Fastnachtsliedes sei das 2003 auf großer Bühne bekannt gewordene „Im Schatten des Doms“, gesungen von Thomas Neger. Das folge den gleichen Schablonen wie eine Popballade, sei auch mit E-Piano, E-Gitarre, E-Bass und Drums instrumentiert, umfasse neben Strophen und Refrain eine sogenannte Bridge, eine pop-typische überleitende Zwischenpassage. Mittlerweile sei es eine Art Stadthymne geworden, die Menschen könnten mit dem Lied ihre Verbundenheit zu ihrer Heimat ausdrücken.

Auch wenn Fastnachtslieder nicht zum musikalisch Komplexesten gehörten, sei es längst kein Selbstläufer, einen Hit zu produzieren, sagte Wittmer. „Es funktioniert nicht, in dem man einfach Schablonen abarbeitet.“ Erfolg lasse sich kaum planen, der Funke müsse auf das Publikum überspringen – so wie beim ersten „Humba Täterä“ 1964 in der Fernsehsitzung, die damals noch „Mainz wie es singt und lacht“ hieß. Das Publikum habe begeistert mit- und weitergesungen, sich nicht mehr beruhigen wollen, die Sendezeit sei um eine Stunde überzogen worden. „Das witzig lautmalerische Sprachspiel des Kokolores-Liedes hat in jenem Moment exakt einen Nerv getroffen beim Publikum – eine Sternstunde.“

(dpa)
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