Zoologisches Museum in Straßburg Aus den Kolonien in die Vitrinen

Straßburg · Ein Besuch im Zoologischen Museum in Straßburg ist auch eine Reise in die Vergangenheit. Diese führt bis nach China.

 Das Zoologische Museum in Straßburg zeigt neben ausgestopften heimischen Tierarten auch vieles aus der Meereswelt wie auf der Muschelwand (hier im Hintergrund).

Das Zoologische Museum in Straßburg zeigt neben ausgestopften heimischen Tierarten auch vieles aus der Meereswelt wie auf der Muschelwand (hier im Hintergrund).

Foto: Musées de la Ville de Strasbourg/Mathieu Bertola

Bei jedem Schritt knirscht der alte Parkettboden. Bei gedämpften Licht grüßen im ersten Stockwerk ein ausgestopfter Polarbär und gleich neben ihm ein Löwe mit aufgerissenem Maul und drohendem Blick. Dass sich die zwei im echten Leben je begegnen werden, ist – trotz Klimawandel – höchst unwahrscheinlich. Im Straßburger Zoologischen Museum ist das möglich. Das erste Stockwerk ist das Reich der Exoten. Säugetiere aus aller Welt, aber auch Fische, Insekten, seltene oder gar ausgestorbene Arten finden ihren Platz. Mehr als eine Million Ausstellungstücke hat die Einrichtung im Bestand.  Damit ist das Museum eines der vollständigsten seiner Art in Frankreich. Auch wenn natürlich nicht alle Exponate gleichzeitig gezeigt werden: Der Besuch fühlt sich an wie ein Ausflug in die Schatzkammer eines verrückten Biologen des vergangenen Jahrhunderts. Dieses Retro-Flair zieht sich durch das Gebäude und ist auch ein Stockwerk höher zu spüren, wo die Wechselausstellungen gezeigt werden. Seit dem Wochenende ist hier ein Teil der interdisziplinären Schau „Labor Europas, Straßburg 1880 - 1930“ untergebracht. Denn die deutschen und französischen Einflüsse, die Straßburg so besonders machen, hatten nicht nur auf Kunst und Architektur Auswirkungen, sondern wohl auch auf die wissenschaftliche Praxis dieser Zeit.

Für diese letzte Ausstellung vor der Renovierung (voraussichtlich Mitte 2018 bis 2021) blickt das Museum auf seine Entstehungsgeschichte zurück. Prägende Figur war der deutsche Ludwig Döderlein, der 1882 die Leitung des Museums übernahm. Damals gehörte Straßburg zum nach dem deutsch-franzöischen Krieg 1870/71 vom Deutschen Reich annektierten „Reichsland Elsass-Lothringen“. Mit dem neuen Leiter kam auch eine ganz andere Methodik ins Museum. Während bei seinen Vorgängern eine klare Systematik beim Aufbau der Sammlungen fehlte, setzte Döderlein auf massiven Ankauf und akribische Genauigkeit bei der Dokumentation. Sein Ziel: den Besuchern ein enzyklopädisches Wissen zu vermitteln über die damaligen Tierarten. Durch Döderleins persönliche Faszination für die Unterwasserwelt zogen zu dieser Zeit viele Fische, aber auch Weichtiere und Muschelschalen ins Museum ein. Doch auch für die Vielfalt heimischer Tierarten wollte der Mann seine Besucher sensibilisieren. So finden sich auf der „Kuh-Wand“ Miniaturdarstellungen der meisten in Europa lebenden Kühe. Zu einer Zeit, in der vor allem exotische Tiere in den meisten zoologischen Museen Frankreichs gezeigt waren, war die Entscheidung für Haus- und Nutztiere nicht selbstverständlich. Davon können heute noch junge Besucher profitieren. Beim Blick auf die „Kuh-Wand“ wird deutlich: Mit der lila Kuh aus der Fernsehwerbung haben die meisten Vertreterinnen dieser Art nichts zu tun.

Der nächste Raum zeigt Stücke aus verschiedenen wissenschaftlichen und kommerziellen Tiefsee-Expeditionen. Manche Exemplare wie die Königskrabben und verschiedene Glasschwämme kommen direkt aus Döderleins japanischer Sammlung. Dieser durfte nämlich als erster westlicher Zoologe im Land der aufgehenden Sonne forschen. Die weiteren Stücke kaufte er damals in deutschen Kolonien in der ganzen Welt – von Afrika, über die Pazifik-Inseln bis nach China. Beliebtes Einkaufsziel in China war die Hafenstadt Qingdao (früher Tsingtau), die Hauptstadt der deutschen Kolonie Kiautschou. Diese wurde von deutschen Architekten umgebaut. Eine Ahnung wie die Stadt damals aussah, bekommt man durch die Diashow mit Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Bundesarchiv, die im Ausstellungsraum gezeigt wird. Wäre da nicht die Bildunterschrift mit Hinweis auf China, würde man bei der Architektur auf Bayern tippen.

 Diese Quallenmodelle von den Glasbläsern Blaschka (erschaffen um 1890) gehören zur aktuellen Ausstellung „Labor Europa“.

Diese Quallenmodelle von den Glasbläsern Blaschka (erschaffen um 1890) gehören zur aktuellen Ausstellung „Labor Europa“.

Foto: Musées de la Ville de Strasbourg/Mathieu Bertola

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Rückkehr des Elsass nach Frankreich musste auch der Deutsche Döderlein gehen. Sein französische´r Nachfolger, Emile Topsent, grenzte sich von seiner vollständigen Herangehensweise ab. Depotbestände wurden gebildet, der Anspruch auf Vollständigkeit verschwand zugunsten einer schlichteren, übersichtlicheren Ausstellungsfläche. Topsent baute die Sammlung zudem mit Alltagsgegenständen tierischen Ursprungs – zum Beispiel Dekoblumen aus Vogelfedern und Knöpfen aus Perlmutt, die zum letzten Teil der jetzigen Ausstellung gehören. Da das Museum immer noch mit der Universität eng verknüpft ist, werden auch zahlreiche Lehrmodelle gezeigt. Manche stammen von den  Glasbläsern Leopold und Rudolf Blaschka. Als Modelle für die Wissenschaft fertigten sie Blumen und Quallen aus Glas – genauso detailgetreu wie ästhetisch. Spätestens vor dieser Vitrine wird dem Besucher klar, was Wissenschaft mit Kunst zu tun hat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort