Bethlehem ist überall

Zusammen mit einem Freund hatte ich im vergangenen Oktober die Gelegenheit, das Heilige Land zu besuchen. Von Jerusalem aus fuhren wir mit dem Bus nach Bethlehem. Aufregung und Anspannung machten sich in uns breit

Zusammen mit einem Freund hatte ich im vergangenen Oktober die Gelegenheit, das Heilige Land zu besuchen. Von Jerusalem aus fuhren wir mit dem Bus nach Bethlehem. Aufregung und Anspannung machten sich in uns breit. Ob wir den Grenzposten wohl passieren dürfen? Immer wieder ist in den Medien davon zu hören, dass Willkür und Beliebigkeit den Besuch der nur etwa zehn Kilometer von Jerusalem entfernt gelegenen Stadt verhindern. Eine acht Meter hohe Mauer aus massivem Beton, bereits 200 Kilometer lang, kündet die unüberwindbare Trennlinie an: Ohne gültige Papiere gibt es kein Vorbeikommen an Soldaten und Checkpoints. Da fallen mir die vertrauten Verse der Hirten aus der Weihnachtsbotschaft ein: "Kommt, wir gehen nach Bethlehem". Heute ist das nicht mehr so leicht möglich wie vor 2000 Jahren, und das trotz der Flugzeuge und moderner Verkehrsmittel. Wir hatten das Glück, nach einer kurzen Kontrolle passieren zu dürfen. Dankbar stehen wir mit anderen Menschen wenig später am silbernen Stern in der Geburtsgrotte, der den Ort der Menschwerdung Gottes markiert. Viele knien nieder vor diesem Stern, berühren ihn mit ihren Händen, küssen ihn sogar. Generationen von Menschen haben sich nach Maria und Josef auf den langen und beschwerlichen Weg gemacht, um einmal in ihrem Leben an dem Ort zu stehen, der seit fast zwei Jahrtausenden an die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem erinnert. Dort, wohin einst Hirten geeilt waren und das Erstaunliche für sich erst einmal auf die Reihe bringen mussten. Nicht weit entfernt davon liegt das Caritas-Baby-Hospital (Infos: www.kinderhilfe-bethlehem.ch). Für viele Menschen in den besetzten Gebieten Palästinas stellt es die einzig medizinische Versorgung dar. Frühgeburten, behinderte und kranke Kinder - egal welcher Nation oder Religion - finden hier unbürokratisch Hilfe, medizinische Erstversorgung und Unterstützung. Hier erfahren die Marias und Josefs unserer Tage Aufnahme, vorausgesetzt, es gelingt ihnen, irgendwie einen der vielen Checkpoints zu umgehen. Abenteuerliche Geschichten können die Menschen dort erzählen. "Kommt, wir gehen nach Bethlehem." Diese Stadt, der Ausgangspunkt der Frohen Botschaft, ist heute eine Enklave, ein großes Gefängnis. Die Menschen sind eingeschlossen und ummauert. Dort, wo die Menschenliebe Gottes in Jesus Christus Hand und Fuß bekommen hat, wo in der Krippe der Herzschlag unseres Gottes zu spüren und sein Herzblut zu finden ist, leben Menschen eingesperrt und leiden zum Teil große Not. Darüber dürfen wir nicht schweigen. "Kommt, wir gehen nach Bethlehem." Dieser Satz aus dem Evangelium meint aber weit mehr als den Besuch im Ort südlich von Jerusalem. Dieser Satz fordert uns auch auf, die Realität zu sehen. Gerade auch Armut und Ausgrenzung sollen wir ins Auge schauen. Der Satz lädt uns dazu ein, Trost zu spenden, je nach unseren Möglichkeiten zu helfen und Hoffnungsworte zu erzählen. "Kommt, wir gehen…" Das ist kein einsamer Weg. Nicht ich allein, sondern wie die Hirten sollen wir uns auf den Weg machen: in Gemeinschaft und geschwisterlicher Verbundenheit. Vielleicht ist unser Weg nach Bethlehem gar nicht so weit. Er führt gleich nebenan in unsere Nachbarschaft. Da, wo wir dem menschgewordenen Gott begegnen in den Armen, Kleinen und Ausgegrenzten dieser Welt.

So wie es auch ein Text von Rudolf Otto Wiemer sagt:

Sage, wo ist Bethlehem? Wo die Krippe? Wo der Stall?

Musst nur gehen, musst nur sehen - Bethlehem ist überall.

Sage, wo ist Bethlehem? Komm doch mit, ich zeig es dir!

Musst nur gehen, musst nur sehen - Bethlehem ist jetzt und hier.

Sage, wo ist Bethlehem? Liegt es tausend Jahre weit?

Musst nur gehen, musst nur sehen - Bethlehem ist jederzeit.

Sage, wo ist Bethlehem? Wo die Krippe? Wo der Stall?

Musst nur gehen, musst nur sehen - Bethlehem ist überall.

Unser Autor Michael Becker ist Pfarrer in Saarbrücken St. Johann und Dechant des Dekanates Saarbrücken.