Patenschiff des Saarlandes Ein Bettlaken, das Seeleute zu Tränen rührte

Saarbrücken · Das ehemalige Patenschiff des Saarlandes, der Zerstörer Lütjens, wurde vor 50 Jahren in Dienst gestellt. Kurz nach dem 11. September 2001 schrieb die Besatzung Geschichte. Was wurde aus dem Schiff?

 Der Zerstörer Lütjens legte von 1969 bis 2003 insgesamt 800 000 Seemeilen zurück und bereiste dabei vier Kontinente.

Der Zerstörer Lütjens legte von 1969 bis 2003 insgesamt 800 000 Seemeilen zurück und bereiste dabei vier Kontinente.

Foto: Archiv Wolfgang Seidel, ehemaliges Besatzungsmitglied des Zerstörers Lütjens

Das Saarland-Wappen am Brückenaufbau hatten die 334 Mann der Besatzung immer vor Augen. 800 000 Seemeilen legte der Zerstörer Lütjens, das Patenschiff des Saarlandes, von Kiel aus auf den Weltmeeren zurück. Vor genau 50 Jahren wurde die Lütjens Teil der Bundesmarine. Bekannt wurde sie kurz nach dem 11. September 2001 wegen eines Bettlakens. Der Hauptgefreite Christian Schu, ein junger Mann aus Schiffweiler, hatte es auf hoher See beschriftet. Dem Kommandanten Michael Meding brachte das später sogar ein Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten ein.

Was war passiert? Drei Tage nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 begegneten sich die Lütjens und der US-Zerstörer Winston S. Churchill im Ärmelkanal. Mitten auf hoher See bat Fregattenkapitän Michael Meding den US-Zerstörer per Funk um Erlaubnis, dicht an der Backbordseite des Schiffes vorbeifahren zu dürfen. Dazu ließ Meding seine Besatzung am Oberdeck antreten und eine US-Flagge an Deck auf Halbmast wehen. Das kurz zuvor von Christian Schu angefertigte Bettlaken mit der Aufschrift „We Stand by You“ wurde ausgebreitet.

 Saar-Ministerpräsident Franz Josef Röder (CDU) bei der Übernahme der Patenschaft am 9. September 1971.

Saar-Ministerpräsident Franz Josef Röder (CDU) bei der Übernahme der Patenschaft am 9. September 1971.

Foto: Archiv Wolfgang Seidel, ehemaliges Besatzungsmitglied des Zerstörers Lütjens/Magnussen, Friedrich (1914-1987)

„Jeder meiner Seeleute konnte schon während der Annäherung erahnen, dass da zentnerschwere Momente voller Trauer, Tränen und Beileid auf uns zukommen würden“, erinnerte sich Meding später. Mit einem Abstand von etwa 20 Metern fuhr die Lütjens parallel zur Churchill. „Viele meiner Männer fingen an zu weinen – auch ich“, erinnerte sich Meding später. „Es war totenstill an Oberdeck, denn die schrecklichen Bilder vom Anschlag auf das World Trade Center und auf das Pentagon waren auch bei uns noch lange nicht verarbeitet.“

Ein Offizier an Bord der Churchill schrieb kurz darauf in einer E-Mail: „Es war die kraftvollste Geste, die ich je in meinem Leben gesehen habe.“ Als die Besatzung der Lütjens salutiert habe, „gab es auf unserer Brücke kein trockenes Auge mehr“.

Vier Monate später war eine Abordnung der Lütjens in Washington eingeladen, um das Original-Bettlaken zu präsentieren. Fregattenkapitän Meding nahm dazu seinen Ersten Offizier mit, der die Idee mit dem Bettlaken hatte – und den Saarländer Schu. Meding durfte im US-Kongress die Rede von Präsident George W. Bush zur Lage der Nation verfolgen, anschließend kurz mit ihm sprechen. Die Delegation wurde von US-Ministern und dem deutschen Botschafter empfangen. Es ist eine Geschichte aus einer anderen Ära der transatlantischen Beziehungen.

 Begonnen hatte die Geschichte der Lütjens, als sie am 11. August 1967 in den USA vom Stapel gelassen wurde. Namensgeber war der Wehrmachts-Admiral Günther Lütjens, der 1941 an Bord des von den Engländern versenkten Schlachtschiffs Bismarck ums Leben kam. Wäre das Schiff heute noch im Dienst, wäre es wohl längst umgetauft worden, wie das bei vielen Kasernen mit Namen aus der NS-Zeit bereits der Fall war.

Am 9. September 1971 übernahm das Saarland, vertreten durch Ministerpräsident Franz Josef Röder (CDU), die Patenschaft über den Zerstörer. Ab 1977 bezogen Matrosen regelmäßig Quartier bei Gasteltern der Marinekameradschaft in Dudweiler. Drei Seeleute heirateten später Saarländerinnen. „Noch heute bestehen viele persönliche Bindungen zwischen ehemaligen Besatzungsmitgliedern und Bürgerinnen und Bürgern des Saarlands“, sagt Meding. Dazu zählt er auch die jahrelange Verbindung zum Theresienheim in Burbach, dessen Jugendliche regelmäßig Besuch aus Kiel bekamen.

Am 18. Dezember 2003 hatte das Schiff ausgedient, die Waffen- und Radarsysteme waren in die Jahre gekommen. 13 000 bis 15 000 Soldaten, so schätzt Meding, dienten bis dahin auf dem Schiff, das bei Manövern, Ausbildungsreisen und Einsätzen vier Kontinente bereist hatte. Der Bug-Anker des Schiffes wurde 2007 nach einem Antrag der Staatskanzlei in Berlin an der Sulzbachtalstraße in Dudweiler aufgestellt. Die Lütjens wurde schließlich 2012 in der Türkei verschrottet.

Heute hat das Saarland, anders als die meisten anderen Bundesländer, kein Patenschiff mehr. Christian Schu, der das Bettlaken beschriftete, arbeitet heute bei der Feuerwehr des Marinestützpunkts Wilhelmshaven. Meding, der 17. und letzte Kommandant der Lütjens, wechselte 2003 ins Verteidigungsministerium nach Bonn. Von dort aus engagiert sich der gebürtige Unterfranke in der Marinekameradschaft Dudweiler, seit 2008 ist er Schriftführer. Wenn am 30. September nach 40 Jahren seine Dienstzeit endet, will er öfter das Saarland besuchen.

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