Aus dem Merziger Rathaus in den Kreml

Moskau. Wäre der 9. November 1989 anders verlaufen, würde Wolfgang Jung heute vielleicht woanders leben. Aber der Berliner Mauerfall veränderte nicht nur die Welt, sondern auch das Leben des damals 25-jährigen Beamten der Merziger Stadtverwaltung

 Im Zentrum der russischen Seele: Wolfgang Jung vor dem Kreml in Moskau. Fotos: Wolfgang Jung

Im Zentrum der russischen Seele: Wolfgang Jung vor dem Kreml in Moskau. Fotos: Wolfgang Jung

Moskau. Wäre der 9. November 1989 anders verlaufen, würde Wolfgang Jung heute vielleicht woanders leben. Aber der Berliner Mauerfall veränderte nicht nur die Welt, sondern auch das Leben des damals 25-jährigen Beamten der Merziger Stadtverwaltung. In seiner Dachwohnung in der Merziger Wilhelmstraße, staunend und gerührt am Fernsehschirm, wünschte er sich, dabei zu sein: "Ich wollte als Reporter dort arbeiten, wo die Folgen dieses europäischen Völkerfrühlings spürbar sind." Das gelang. Heute ist der 47-Jährige als Korrespondent der Deutschen Presseagentur (dpa) in Moskau tätig.Im größten Land der Erde fühlt sich der Journalist, den der Fall des Eisernen Vorhangs so faszinierte, wohl. Obwohl, oder gerade weil es viel zu tun gibt: "Russland ist nur einer von zwölf Staaten, die wir drei dpa-Korrespondenten von Moskau aus betreuen", sagt Jung, für den auch Dienstreisen in die Ukraine, nach Georgien oder Kasachstan auf der Tagesordnung stehen. Auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs von einst zu arbeiten, reizt ihn immer noch. Der zweite Jobwechsel seines Lebens hat sich gelohnt für den Merziger, der 1980 eine Lehre bei der Merziger Druckerei (MDV) begann und ab 1985 im Merziger Rathaus arbeitete. Der Sprung in den Journalismus folgte 1991, zwei Jahre nach dem weltpolitisch-persönlichen Erweckungserlebnis. Bis 1993 absolvierte Jung die Deutsche Journalistenschule, dann peilte er Berlin als erste Reporter-Station an. "Aber dann siegte die Abenteuerlust", erinnert sich der Reporter. "Ich ging 1994 nach Prag, das ich als Tourist ein wenig kannte. Niemand wartete dort auf mich, und ich konnte auch kein Tschechisch. Trotzdem waren die ersten vier Jahre als Freier Journalist und Redakteur der 'Prager Zeitung' zauberhaft", sagt Jung. Ab 1998 berichtete er als Prag-Korrespondent der dpa. Und 2007 zog es ihn weiter ostwärts, in die russische Hauptstadt.

Der Gegensatz zur saarländischen Heimat, vier Flugstunden entfernt, könnte nicht größer sein, bilanziert Jung: "Kaum einer fährt Fahrrad, niemand schwenkt. Stattdessen fährst du im Vielvölkerstaat Russland mit einem Zentralasiaten in der Metro, wartest mit einem Kollegen aus dem Kaukasus auf Regierungschef Wladimir Putin und diskutierst später bei Wodka und Kaviar mit einem Tschechen." Russische Uhren tickten zudem "in jeder Hinsicht" anders als in Merzig, sagt der freiwillige Exilant. Sein Rezept: "Offen bleiben, authentisch sein: Dann geht's fast überall." An Moskaus raue Seiten musste er sich gleichwohl gewöhnen. "Die Stadt mit rund zwölf Millionen Einwohnern ist kompromisslos, und das Wetter kann grimmig sein." Aber: "Ich wäre nicht dort, wenn es nicht auch schöne Seiten gäbe, zum Beispiel Menschen, die Freunde geworden sind. Und Journalisten bietet Russland sowieso viel: Raumfahrt, Atomraketen und ja, den Kreml." Dort, wo Jung zuweilen auf Putin wartet, gibt es übrigens "ein recht bekanntes Foto von Gustav Regler, der 1934 im Kreml war".

Obwohl sich für Wolfgang Jung in Moskau ein Lebenstraum erfüllt hat, bleibt er bodenständiger Saarländer mit Augenzwinkern: "Ich sinn bloß off Montaasch." Kontakt zur Heimat hält er per Mail und Telefon, außerdem reist er etwa alle drei Monate "via Berlin nach Ensheim". Und dann weiter nach Hause, wo sich das Heimatgefühl schon auf der Autobahn einstellt: "Wenn ich die Kreuzbergkapelle über Merzig sehen kann." > Wird fortgesetzt.

Auf einen Blick

"Exilanten" gesucht: Die Serie über die "Merzig-Waderner im Exil" lebt von der saarländischen Methode "Ich kenne einen, der einen kennt". Die SZ bittet ihre Leser um Mithilfe: Haben Sie Freunde, Bekannte oder Familienangehörige, die aus dem Landkreis Merzig-Wadern in die Welt gezogen sind? Dann melden Sie sich in der Lokalredaktion der SZ in Merzig und geben Sie uns einen Tipp! kes

 Zu Gast bei Putin: Reporter Wolfgang Jung hat den russischen Regierungschef schon oft getroffen, hier bei einer Pressekonferenz.

Zu Gast bei Putin: Reporter Wolfgang Jung hat den russischen Regierungschef schon oft getroffen, hier bei einer Pressekonferenz.

 "Exilant" Jung vor einer Juri Gagarin-Statue bei Moskau.

"Exilant" Jung vor einer Juri Gagarin-Statue bei Moskau.

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