Auch Karmanns kettelten ihre eigenen vier Wände

St. Ingbert. Wenn Ludwig Karmann von der Zeit spricht, da sein Elternhaus Stein für Stein wuchs und Form annahm, dann leuchten seine Augen. 15 Jahre jung war er damals und hatte nach dem beschwerlichen Arbeitstag - er stand in der Ausbildung zum Maurer - noch gut zu tun. Es wurde "gekettelt"

 Ursula und Ludwig Karmann im Wintergarten ihres Hauses in der Pastor-Theis-Straße in St. Ingbert. Foto: Cornelia Jung

Ursula und Ludwig Karmann im Wintergarten ihres Hauses in der Pastor-Theis-Straße in St. Ingbert. Foto: Cornelia Jung

St. Ingbert. Wenn Ludwig Karmann von der Zeit spricht, da sein Elternhaus Stein für Stein wuchs und Form annahm, dann leuchten seine Augen. 15 Jahre jung war er damals und hatte nach dem beschwerlichen Arbeitstag - er stand in der Ausbildung zum Maurer - noch gut zu tun. Es wurde "gekettelt". Karmanns Mutter hatte sich als Kriegswitwe mit ihren vier Kindern - einer Tochter und drei Söhnen - entschlossen, über den Kettelerverein ein Haus zu erwerben. Der "gemeinnützige Ketteler Verein der Katholischen Pfarrgemeinden St. Ingbert" war ein wesentlicher Motor, dass St. Ingbert in den Zeiten der Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg beachtlich wuchs. Die Organisation verpflichtete ihre Mitglieder, für die Dauer von fünf bis sechs Jahren rund 4000 Arbeitsstunden für den Verein zu leisten. So konnten die Familien rund 50 Prozent der Baukosten in Eigenleistung aufbringen.Ludwig Karmann und seine Frau Ursula wohnen in der St. Ingberter Pastor-Theis-Straße. Im Wintergarten - 1988 angebaut - erzählen sie von den beschwerlichen Zeiten nach dem Krieg. Inmitten der vielen prächtigen Pflanzen und dem Gezwitscher von Kanarienvogel Trutti aber auch vom Gemeinschaftsgefühl, das unter dem "Ketteln" wuchs, vom Stolz auf das Eigenheim, das damals entstand und in dem die Karmanns heute noch leben. "Der Ketteler-Verein errichtete in zwei Bauabschnitten hunderte Häuser in St. Ingbert", erzählt Ludwig Karmann. "Es gab vier vom Verein festangestellte Poliere, die Aufsicht führten." Im Bauhof an der Spieser Landstraße wurden Steine gefertigt und Gebälk zugeschnitten. Das Mauerwerk, berichtet der 73-Jährige, sei zum größten Teil Abfallprodukt: "Die Kellersteine wurden aus Split und Sand und die Hohlblocksteine der anderen Geschosse aus Schlacken und natürlich Zement hergestellt. Die Schlacken stammten vom Schlackenberg des St. Ingberter Eisenwerks, der Schmelz." Die Schlacken waren dabei das Abfallprodukt, das bei der Roheisengewinnung anfiel. Beschwerlich sei die Arbeit gewesen, erinnert sich der Rentner. Bagger oder Baukräne habe es nicht gegeben. Wenn er samstagsmorgens den Kopf vor die Tür gestreckt habe, sei er gleich gerufen worden. Die meiste Arbeit am Haus leistete sein mittlerweile verstorbener, älterer Bruder Albert. Karmann: "Wir drei Brüder haben später gemeinsam sein Haus in Rohrbach errichtet." An seinem Ketteler-Haus habe es in den Folgejahren viele Um- und Erneuerungsarbeiten gegeben. Und das Ehepaar mit dem grünen Daumen lebt noch immer gerne in der Pastor-Theis-Straße. Ursula Karmann: "Das ist hier eine schöne Wohnlage. Die Stadt ist nicht weit."

"Die Erbauer der Ketteler-Häuser gehören zu einer Generation, die jetzt wegstirbt", sagt ihr Mann. Junge Familien mit ihren Kindern erfüllten die Häuser nach und nach mit neuem Leben. Das Ehepaar, auch jenseits der 70 sportlich auf der Höhe, würde sein Kettelerhaus gerne noch eine gute Weile genießen. < wird fortgesetztmbe

Hintergrund

In der Festschrift "150 Jahre Stadt St. Ingbert" ist über die Ketteler-Initiative nachzulesen, dass sie am 31. Mai 1949 ins Leben gerufen worden war. Ziel des Vereins war demnach die "Entproletarisierung des Menschen und die Lösung der sozialen Frage nach den Grundsätzen der katholischen Kirche". Hunderte Häuser entstanden im Mühlwaldviertel, "In der Lauerswiese", auf dem Roten Flur und südwestlich der oberen Josefstaler Straße. mbe

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