Armut hinter der Fassade des Reichtums

Luxemburg

Luxemburg. Ausgerechnet in Luxemburg? Ausgerechnet dort eine Ausstellung zur Armut zeigen, in einem Land, das sich, blickt man aufs Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, regelmäßig mit diversen Öl-Staaten und Steuerschlupfwinkeln wie Liechtenstein und Bermuda um die Topplätze unter den reichsten Ländern der Welt balgt, wo entlang der Grande Rue der kleinen Kapitale das Luxus-ABC von Dior bis Rolex so selbstbewusst buchstabiert wird wie in New York oder Tokio. Genau hier, haben sich die Ausstellungsmacher im Historischen Museum der Stadt Luxemburg gesagt, sollte man, muss man so eine Schau zeigen.Und bedeuten einem gleich beim Eingang: Armut zeigt sich in jeder Gesellschaft anders. Legt man denn den heutigen Weltmaßstab an, darf sich selbst ein armer Luxemburger steinreich fühlen. Wer als Single unter 1588 Euro netto monatlich hat, gilt in Luxemburg bereits als armutsgefährdet (in Deutschland liegt die Grenze bei 1354 Euro), bei einer Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern sind es 3335 Euro netto monatlich.

Immerhin 14,9 Prozent der Luxemburger leben demnach mit einem Armutsrisiko. Und es sind gerade Familien mit Kindern, denen es am Geld fehlt. Nein, nicht um das nackte Überleben zu sichern. Armut entdeckt man in reichen Ländern wie Luxemburg aber auch Deutschland oft erst auf den zweiten Blick, lehrt einen die Schau das genauere Hinsehen. Ordentliche Kleidung, Schuhe - daran fehlt es meist nicht. Kleiderbörsen, Sozialkaufhäuser helfen da aus. Aber in einem Land, wo es selbstverständlich ist, dass Kinder Hobbys wie Ballett und Reiten haben, gerät man mit einem kleinen Gehalt schnell ins Abseits. Armut heißt da nicht aktiver Teil der Gesellschaft sein zu können, obwohl man 40, 50, 60 Stunden in der Woche ackert.

Die Schau versteht es, dies nicht nüchtern, Fakten häufend, sondern auch sinnlich erfahrbar zu machen. Zwischen schlichten Holzregalen eines Sozialkaufhauses, die erzählten Lebensgeschichten von Obdachlosen, Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, die ihre Schulden erdrücken, im Ohr, sieht man sich direkt mit der Kehrseite des Konsums konfrontiert.

Die Ausstellung macht freilich auch deutlich, dass Armut hier zu Lande noch bis ins 20. Jahrhundert oft nackte Not meinte. Kinder und Tagelöhner sammelten etwa für die Gerbereien in den Luxemburger Gassen Hundekot zum Beizen des Leders. Ihre Kübel nahmen sie nachts mit in die kleinen Zimmer, in denen zusammengepfercht Kinder und Erwachsene hausten. Der Gestank war bestialisch, schwere Krankheiten und früher Tod Alltag. Lange ließ solche Armut die besseren Kreise kalt. Was scherte es die feinen Damen unter welchen Umständen ihre Glacéhandschuhe fabriziert wurden? Das änderte sich erst, als Arbeiter sich ihre Rechte erkämpften, und Zeitungen wie das junge Kino die Armut als Thema entdeckten. Statt die unhaltbaren Verhältnissen anzuklagen, wurde da aber auch oft nur rührseliger Sozialkitsch vorgeführt - wie man sich in einem im Museum hübsch nachgebauten Lichtspieltheaterchen (begleitet von wunderbarer Kinoorgelmusik) anschauen kann. Mit all dem im Kopf wird man manches anders sehen - nicht nur das reiche arme Luxemburg.

Bis 29. April im Historischen Museum Luxemburg: Di bis So 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr.

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