Anwälte auf der schiefen Bahn

Saarbrücken. Die Meldungen häufen sich: "Anwalt wegen Untreue angeklagt" oder "Rechtsanwalt wegen Untreue und Betrugs rechtskräftig verurteilt". Nächste Woche beginnt vor dem Saarbrücker Landgericht ein groß angelegter Prozess gegen einen 62 Jahre alten Rechtsvertreter, dem die Staatsanwaltschaft "gewerbsmäßige Untreue in 20 Fällen" vorwirft

Saarbrücken. Die Meldungen häufen sich: "Anwalt wegen Untreue angeklagt" oder "Rechtsanwalt wegen Untreue und Betrugs rechtskräftig verurteilt". Nächste Woche beginnt vor dem Saarbrücker Landgericht ein groß angelegter Prozess gegen einen 62 Jahre alten Rechtsvertreter, dem die Staatsanwaltschaft "gewerbsmäßige Untreue in 20 Fällen" vorwirft. Ist die Häufung der Nachrichten über angeklagte oder verurteilte Anwälte, die Organe der Rechtspflege sind, zufällig? Oder geraten immer mehr Vertreter dieses Berufsstandes auf die schiefe Bahn? Justizrat Raimund Hübinger, Präsident der Saar-Anwaltskammer, und deren Geschäftsführer Rainer Wierz sagen, es sei keine "signifikante Zunahme von Verfehlungen zu erkennen". Gleichzeitig betonen beide: "Wir müssen die Allgemeinheit und unseren Berufsstand vor solchen Kollegen schützen."Wird ein zugelassener Rechtsanwalt von einem Strafgericht verurteilt, folgt zwangsläufig ein Verfahren vor dem Anwaltsgericht oder dem Anwaltsgerichtshof (zweite Instanz). Der Generalstaatsanwalt legt dort eine Anschuldigungsschrift vor. Eine überdurchschnittliche Steigerung der berufsrechtlichen Verfahren, in denen es um Geldstrafen, Verweise, Vertretungsverbot oder Verlust der Zulassung geht, weist die Kammer-Statistik nicht aus. 2008 wurden 14 Prozesse registriert, 2009 schließlich 25, 2010 dann 18 Verfahren. 2011 wurden 22 Prozesse gezählt und 2012 bislang etwa 20. Wobei es durchaus Wiederholungstäter gab. Keineswegs unüblich ist, dass ein Anwalt, dem vor dem Berufsgericht der Entzug der Zulassung droht, diese mehr oder weniger freiwillig zurückgibt. Das Anwaltsgerichtsverfahren ist dann automatisch erledigt und nach einer "Schamfrist" von etwa fünf Jahren kann der Jurist versuchen, die Wiederzulassung zu beantragen. Wie viele Rechtsanwälte pro Jahr auf ihre Zulassungen - aus welchen Gründen auch immer - freiwillig verzichten, können die Kammer-Verantwortlichen nicht sagen.

Durchschnittlich mindestens ein Anwalt verliert nach Kammerangaben pro Jahr seine Zulassung "wegen Vermögensverfall", was im Klartext bedeutet: er ist Pleite. Auch in solchen Fällen besteht die Chance, kurz vor der Entziehung von Amts wegen, freiwillig zu verzichten.

"Der Kuchen wird nicht größer und es werden nicht mehr Rechtsdienstleistungen nachgefragt", sagen Hübinger und Wierz übereinstimmend und verweisen darauf, dass die Einkommen ihrer Berufskollegen in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen sind. Angestellte Rechtsanwälte arbeiten mitunter für 1500 Euro monatlich. Bei den Selbstständigen geht die Schere zwischen Gut- und Schlechtverdienern immer weiter auseinander.

Gab es vor 50 Jahren noch 124 zugelassene Rechtsanwälte im Saarland, so zählte die Kammer Ende November 2012 exakt 1456. Vor zehn Jahren waren es 1146 Anwälte.

Oberstaatsanwalt Raimund Weyand ist bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken für strafrechtliche Ermittlungen gegen Rechtsanwälte zuständig. Er berichtet von einer "erheblichen Zunahme" der Strafanzeigen aus Mandantenkreisen. Immer mehr Leute fühlten sich von ihren Juristen schlecht oder falsch beraten. Monatlich etwa zehn Anzeigen landen auf seinem Tisch. Nur in zehn Prozent kommt es zur Anklage oder zu einem Strafbefehl. Ein Anstieg bei diesen Fällen sei nicht zu erkennen. Zwei Ex-Anwälte sitzen übrigens derzeit im Gefängnis.

Finanzieller Engpass als Motiv

Weyand spricht von einem "anwaltstypischen" Delikt, der Untreue. Auffällig sei, dass öfter selbstständige, meist ältere Anwälte mit eingeführten Kanzleien in finanzielle Schieflage gerieten. Wenn die Einnahmen nicht mehr die Ausgaben decken, sei die Versuchung groß, mit Geld, das eigentlich an Mandanten ausgezahlt werden soll, den Engpass zu überbrücken - bis der Schwindel auffliegt. So gerät mitunter auch ein bislang hoch angesehener Jurist auf die schiefe Bahn. Vor dem Strafgericht kommt er, wenn er geständig ist, meist mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe davon. Rechtsanwalt Guido Britz, ehrenamtlicher Richter am Anwaltsgericht, stellt in diesem Zusammenhang fest: "Es gibt Tatbestände, wie Untreue, die werden berufsrechtlich härter geahndet als strafrechtlich." Im Regelfall bedeute nachgewiesene Untreue, dass die Anwaltszulassung entzogen werde, sofern im Einzelfall nicht besondere Umstände zu berücksichtigen seien.

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