Andreas Gergen Ein Leben wie aus einer Märchenoper

Merzig · Anfang der 2000er spielte Andreas Gergen den Stefan in „Familie Heinz Becker“. Heute ist er ein international gefragter Regisseur.

 Andreas Gergen im Bühnenbild der „Entführung aus dem Serail“ in Merzig. Der Regisseur hat bereits 80 Opern, Operetten und Musicals inszeniert.

Andreas Gergen im Bühnenbild der „Entführung aus dem Serail“ in Merzig. Der Regisseur hat bereits 80 Opern, Operetten und Musicals inszeniert.

Foto: Kerstin Krämer

Vor lauter Konzentration guckt er geradezu grimmig. Um sich im nächsten Moment mitfiebernd auf die Oberschenkel zu trommeln und vergnügt die kellertiefe Basspartie mitzusingen. Schließlich springt er von seinem mit Kunstfell überzogenen Hocker auf, umkreist die halbrunde Bühne und signalisiert seinem jungen Team mit motivierenden Blicken: „Ich vertraue Euch!“ Andreas Gergen, Schauspieler, Sänger und Regisseur, der im gesamten deutschsprachigen Raum für seine Musiktheater-Inszenierungen gefeiert wird, ist hochkonzentriert. Obwohl bei dieser Probe von Mozarts Singspiel „Entführung aus dem Serail“ im Merziger Zeltpalast (siehe auch Bericht auf Seite B 4) eigentlich der musikalische Leiter das Sagen hat.

Gergens eigenes Leben taugt zur Märchenoper: Sie erzählt vom Bäckerssohn, der auszog, international Karriere zu machen. 1973 in Saarlouis geboren, ging Gergen Mitte der 90er-Jahre nach Berlin an die Hochschule der Künste. Vorausgegangen waren Klavier, Ballett, Jazztanz, Kinderchor, Gesang bei Otto Daubner und Schauspiel bei Andrea Wolf, beide am Saarländischen Staatstheater (SST). Die Summe aus alldem? Musical! „Als jüngstes von vier Kindern hatte ich Narrenfreiheit“, sagt Gergen und staunt rückblickend, wie vorbehaltlos seine Eltern seinen Berufswunsch unterstützten. Beim Musicalfach blieb es nicht: Noch vor seinem Studium sang Gergen 1994 im Chor der „Zauberflöte“ im Zeltpalast. Kurioserweise sollte ausgerechnet die „Zauberflöte“ Jahre später auch seine allererste Opern-Inszenierung werden, fürs SST. Nach seinem Studium sammelte Gergen zunächst Erfahrungen in diversen Musicals und begann para­llel, selbst welche zu inszenieren. Ab 2004 prägte er als vermutlich jüngster Intendant der Republik das künstlerische Profil des Berliner Schlossparktheaters, bis der Senat 2006 den Geldhahn zudrehte. Darauf wechselte Gergen zum Hamburger Konzern Stage Entertainment, wo er neue Musicalformate entwickelte.

Seit 2008 ist Gergen freischaffender Regisseur, von 2011 bis 2017 war er obendrein Operndirektor am Salzburger Landestheater. Heute, mit 44 Jahren, hat Gergen mehr als 80 Opern, Operetten und Musicals inszeniert und ist einer der international gefragtesten deutschen Regisseure, Autoren und Projektentwickler. Ein Grenzgänger, der die Vorbehalte von Schubladendenkern der E- und U-Musik einfach wegbügelt – und der „mindestens ein Mal im Monat in einem Berliner Technoclub richtig Party machen“ muss. Ein Opernregisseur, der zu Elektrobeats abtanzt? „Ich mache, was mir Spaß macht“, sagt Gergen lachend. Sein Credo: „Oper ist nix Elitäres!“ Gergen sieht sich als Geschichtenerzähler, der Stoffe ins Heute überträgt, indem er die Entstehungsgeschichte eines Werkes berücksichtigt. „Es muss relevant bleiben!“

Im Bemühen, Hemmschwellen abzubauen und der möglichen Intention des Komponisten nachzuspüren, interpretiert er gern. Da kann‘s schon mal passieren, dass er „La Bohème“ in einem Technoclub ansiedelt oder bei der Zauberflöte den Aspekt des Volkstheaters durch Mundart betont. „Ich will nicht zu viel Realität auf die Bühne bringen, sondern etwas behaupten“, sagt er.

Seit 18 Jahren ist Gergen privat – und teils auch beruflich – mit Christian Struppeck liiert, dem Intendanten der Vereinigten Bühnen Wien. Gemeinsamer Wohnsitz ist Berlin-Schöneberg, aber Gergen ist 80 Prozent des Jahres unterwegs. Die Fernbeziehung sieht er nicht als Problem, im Gegenteil: „Das ist das Rezept überhaupt für Liebe! Man lernt sich vermissen und freut sich aufeinander.“ Trotz seines Erfolgs ist Gergen ein extrem umgänglicher Mensch geblieben. Einer, der auf Augenhöhe kommuniziert. Fremde begrüßt er mit herzlichem Handschlag und stellt sich schlicht als „Andreas“ vor.

Dass er selbst Schauspieler und Sänger ist, begreift er eher als Segen denn als Fluch. „Den Fehler, etwas vorzuspielen, habe ich vielleicht früher gemacht“, sagt Gergen. „Es ist mir wichtig, die Persönlichkeit der Sänger zu respektieren. Meine Ausbildung befähigt mich vielmehr, mich in sie hinein zu versetzen und ihnen ihre Unsicherheiten und Ängste zu nehmen.“ Seinen Führungsstil hat ein Psychologe mal als „von unten nach oben“ analysiert. Dass Gergen sich klein macht, kann man während der Proben schön beobachten: etwa wenn er sich flach auf die Treppe kauert, um seinen Sängern zuzusehen. Andererseits legt Gergen Wert darauf, das „Kraftzentrum“ zu sein: „Wie ein Entertainer, der versucht, die Aufmerksamkeit zu bündeln und sämtliche Bälle hoch zu halten.“ Vor allem bei großen Produktionen bedient er sich deswegen des so genannten „God-Mikes“ und kommuniziert über Mikrofon, damit seine Ansagen omnipräsent sind. Wie die Stimme Gottes. Wenn‘s allerdings einer drauf anlege, könne er auch richtig grantig werden, betont Gergen.

Dabei sieht er – drahtig, schmale Statur, schwarze Klamotten, weiße Turnschuhe und Kaugummi – eigentlich immer noch aus wie Stefan: der Fernseh-Sohn von Gerd Dudenhöffer, den er Anfang der 2000er Jahre in der Serie „Familie Heinz Becker“ verkörpert hat. Nur ein paar Fältchen sind dazu gekommen. Gergen steht zu dieser Comedy-Rolle: „Alles, was ich gemacht habe, ist ein Baustein, bei dem ich was dazu gelernt habe“ – in dem Fall das Timing für Komik. Selbst auf der Bühne gestanden hat Gergen zuletzt 2007. „Aber das kommt noch mal“, ist er sicher. Allerdings steht dann ein Wechsel ins Charakterfach an. Gergen: „Als ewiger Jugendlicher gehe ich nicht mehr durch. Dann gebe ich wohl den komischen Alten.“

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