Modellprojekt „Amtsgericht 4.0“ Justitia bricht in die digitale Zukunft auf

Ottweiler · Am Amtsgericht Ottweiler startet das bundesweite Modellprojekt „Amtsgericht 4.0“. Es soll die Justiz fit machen für die Digitalisierung.

 Die Wiege der digitalen Justiz? Am Amtsgericht Ottweiler werden bei einem Modellprojekt Vorschläge entwickelt, wie die Abläufe an den rund 600 Amtsgerichten in Deutschland digitalisiert werden können.

Die Wiege der digitalen Justiz? Am Amtsgericht Ottweiler werden bei einem Modellprojekt Vorschläge entwickelt, wie die Abläufe an den rund 600 Amtsgerichten in Deutschland digitalisiert werden können.

Foto: Nora Ernst

Das Amtsgericht Ottweiler liegt inmitten ländlichen Idylls: hinter dem über 100 Jahre alten Gebäude eine Blumenwiese und ein paar Apfelbäume. Im kühlen Eingangsbereich erwartet Besucher ein Relikt vergangener Zeiten: eine Richterbank, wie sie vor vielen Jahrzehnten ausgesehen haben mag, mit Schreibmaschine und Stempelhalter. Und hier soll die Justiz in die digitale Zukunft aufbrechen? Das ist zumindest der Plan. In Ottweiler soll in den nächsten Jahren das Projekt „Amtsgericht 4.0“ laufen. Es soll Erkenntnisse liefern, von denen auch die mehr als 600 Amtsgerichte im Rest Deutschlands profitieren sollen.

Praktiker aus der Justiz werden mit Rechtswissenschaftlern der Universität des Saarlandes, Informatikern und Technikern zusammenarbeiten. Auch der Deutsche EDV-Gerichtstag, ein Verein, der sich dem Zusammenspiel von Justiz und IT verschrieben hat, ist mit im Boot.

Bei dem Projekt geht es einerseits darum, die Abläufe in der Justiz ins digitale Zeitalter zu überführen, was etliche Fragen aufwirft: Wie lässt sich etwa eine Klageschrift oder eine eidesstattliche Versicherung elektronisch bei Gericht einreichen? „Per E-Mail ist das schlecht möglich. Das wäre ja, als ob man eine Postkarte schicken würde“, sagt Professor Stephan Weth, Rechtswissenschaftler an der Universität des Saarlandes. Also ist eine elektronische Signatur nötig, die Rechtsanwälte in der Regel haben, der normale Bürger aber eher nicht. Und wie kann man sicherstellen, dass sämtliche elektronische Daten bei Gericht geschützt sind? All das sind Probleme, die die Experten in den nächsten Jahren lösen wollen.

Andererseits zielt das Projekt darauf ab, die Mitarbeiter – vom Richter bis zum Rechtspfleger – weiterzubilden und ihnen das nötige Wissen zu neuen rechtlichen Fragen zu vermitteln, die im Zuge der Digitalisierung aufkommen. Bernhard Klasen, Direktor des Amtsgerichts, wurde vor kurzem selbst damit konfrontiert: Ein Heim für Menschen mit geistiger Behinderung fragte ihn um Rat wegen eines Bewohners, der gerne spazieren geht, aber nicht jedes Mal den Weg allein zurückfindet. Die Heimleitung wollte ihn nicht in einer geschlossenen Abteilung unterbringen, hatte stattdessen die Idee, ihn mit einem GPS-Tracker auszustatten, und fragte Klasen, ob es dafür einer richterlichen Erlaubnis bedarf.

Bei dem gesamten Projekt ist es Klasen wichtig, die Mitarbeiter „mitzunehmen“. Denn bei dem ein oder anderen überwiege die Angst vor den Herausforderungen, die die Technik mit sich bringt. „Das müssen wir ernst nehmen. Was haben wir davon, wenn sich Mitarbeiter permanent krank melden, weil sie sich überfordert fühlen?“, fragt Klasen.

Die Digitalisierung hat längst alle Lebensbereiche erfasst, in der Justiz geht die Umsetzung noch schwerfällig voran. „Es gibt bundesweit viele einzelne Projekte, aber keines mit einem übergreifenden Ansatz“, sagt der Bundestagsabgeordnete Markus Uhl (CDU), der das nötige Fördergeld für das Forschungsprojekt in den Bundeshaushalt hineinverhandelt hat. 900 000 Euro stellt der Bund bereit – eine stattliche Summe. Doch um das „Megathema“ Digitalisierung, wie Uhl es nennt, umfassend zu bearbeiten, fast schon zu wenig. „Es geht darum, gute Ideen zu entwickeln und bundesweit in die Diskussion einzubringen“, sagt Justizstaatssekretär Roland Theis (CDU). Möglichkeit dazu gibt es auf dem nächsten Deutschen EDV-Gerichtstag, der vom 19. bis 21. September an der Universität des Saarlandes stattfindet.

 Bernhard Klasen, Direktor des Amtsgerichts Ottweiler

Bernhard Klasen, Direktor des Amtsgerichts Ottweiler

Foto: Nora Ernst

Mit dem Geld soll nicht nur die Forschungsarbeit der Wissenschaftler finanziert werden, sondern auch die Ausstattung: Spracherkennungsprogramme zum Beispiel, mobile Endgeräte, Server oder – ganz profan – neue Bildschirme.

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