Altes Industriegemäuer sorgt für Aha-Effekt

St. Ingbert. Der wahre Aha-Effekt stellt sich spät ein: Auf dem Dach der Alten Baumwollspinnerei setzt die Begeisterung zum Höhenflug an. Hier oben ein kleines gläsernes Bistro - diese Idee macht wohl alle Besucher des alten Gemäuers schwach. Eigentümer Werner Deller hat spätestens jetzt gewonnen

 Wollspinnerei-Eigentümer Werner Deller (Fünfter von links, mit SPD-Fraktionschef Thomas Berrang rechts neben sich), erläutert, wie aus dem Maschinenraum das zukünftige Foyer wird. Foto: C. Lang

Wollspinnerei-Eigentümer Werner Deller (Fünfter von links, mit SPD-Fraktionschef Thomas Berrang rechts neben sich), erläutert, wie aus dem Maschinenraum das zukünftige Foyer wird. Foto: C. Lang

St. Ingbert. Der wahre Aha-Effekt stellt sich spät ein: Auf dem Dach der Alten Baumwollspinnerei setzt die Begeisterung zum Höhenflug an. Hier oben ein kleines gläsernes Bistro - diese Idee macht wohl alle Besucher des alten Gemäuers schwach. Eigentümer Werner Deller hat spätestens jetzt gewonnen. Die rund 30 Besucher der Wollspinnerei-Führung am vergangenen Samstag haben keine kritischen Nachfragen zu dem St. Ingberter Großprojekt, um das seit Jahren in der politischen wie kulturellen Szene zuweilen mit harten Bandagen gerungen wird. Nicht einmal die interessante Frage, wann denn die zukünftige Kulturfabrik mit Albert-Weisgerber-Museum, Dellers eigener Galerie-Etage, Kinowerkstatt, Musik- und Tanzschule, VHS-Räumen, mit einem Stadt-Touristik-Büro, Loftbüros, Veranstaltungssaal, Gastronomie und mancher noch zu entwickelnder Fläche eigentlich öffnen soll, wollten die Besucher stellen. Das denkmalgeschützte Gemäuer an der Wollbachstraße und die sachlich-zurückhaltend vorgetragene Vision ihres Eigentümers erstickt offensichtlich jeden negativen Gedanken im Keim. Das erhoffte Kleinod, ein Projekt von gut 13 Millionen Euro mit hohem Förderanteil, lässt sich beim Rundgang durchaus erfühlen. Die St. Ingberter Sozialdemokraten hatten am Samstag interessierte Bürger der Stadt zum Rundgang geladen mit dem Hausherren. Nicht die erste Führung durch die Wollspinnerei, wie der betont. Aber doch nach all dem Hickhack, dem Für und Wider im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung ein interessanter Termin. Die Stadt St. Ingbert kauft sich bekanntlich zu fast Zweidrittel in die Wollspinnerei ein. Bringt neben dem Museum weitere kulturelle und bildungsrelevante Institutionen unter das Dach der alten Fabrik. Deller, der das Objekt mit einer Nutzfläche von satten 12 000 Quadratmetern vom Bundesvermögensamt erworben hat, eröffnet damit auch einem Ableger seiner Saarbrücker Galerie K4 und bleibt auch Besitzer von weiteren Teilflächen. Zum Auftakt der Führung hatte der Projektentwickler auf dem Parkplatz zur Alten Bahnhofstraße hin seinen Zuhörern eine historische Einführung geliefert. 1885 von einem Schweizer Fabrikanten mit Schweizer Architekten errichtet, erläuterte Deller, sei das Fabrikgebäude in den ersten Jahrzehnten in Ausbauschritten gewachsen. Vier Etagen mit je 2000 Quadratmetern hat es. Anbauten, Nebenflächen und Wolllager kommen hinzu. Bis 1964 wurde Wolle gesponnen. Danach war die Bundeswehr Herr im Haus. Deller: "Vier komplette Krankenhauszüge waren hier untergebracht." 1994 wird die Wollspinnerei denkmalgeschützt. 1996/97 zieht der Bund aus. Deller selbst habe schon damals Interesse gehabt, da seine Software-Firma Dacos expandieren wollte. 1999 entschied er sich dann - ohne Dacos - für das Wagnis, an das nach seinen Worten "keiner ran wollte". Durch den ehemaligen Maschinenraum führt Deller seine Gäste. Erläutert die Idee des Foyers mit gastronomischem Angebot. Zeigt die von unzähligen Metallstützen strukturierten Etagen. 80 Prozent der Gesamtfläche seien in ihrer Nutzung klar. Das Untergeschoss müsse noch zurückgestellt werden. Wer zieht wann ein, lautet eine der wenigen Zwischenfragen auf dem Weg nach oben. Alle Etagen sollen gleichzeitig schlüsselfertig sein, erläutert der Projektentwickler. Er selbst sei Bauherr, betont Deller. Die Stadt kaufe bezugsfertige Flächen. SPD-Stadtratsfraktionschef Thomas Berrang betont, kein Cent öffentlicher Zuschüsse lande bei dem Privatmann. Viele Details bietet der Rundgang. Die Böden etwa sollen ihren Industriecharakter behalten. Kein Parkett also. Die alten 3,50 Meter hohen Fenster werden runderneuert und bleiben erhalten. Innen hilft modernes Glas für die nötige Dämmung. Die gesamte Haustechnik wird erneuert. Von Etage zu Etage steigt die Besucherschar. Über ein düsteres Treppenhaus führt der Weg oben ins Freie. "Von hier siehst du alle Kirchen", sagt jemand begeistert. Fotoapparate werden gezückt, Erinnerungsfotos geschossen. Ein Zug rauscht über die nahen Bahngleise. Mancher würde am liebsten schon einmal einen Platz im gläsernen Bistro reservieren. Deller lächelt unergründlich. Den Tag, da er sich dort in einen Sessel fallen lässt, wird auch er herbeisehnen. "Von hier aus siehst du alle Kirchen." Besucherin auf dem Dach der Alten Baumwollspinnerei

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