"Als Kind konnte ich das alles gar nicht begreifen"

St. Ingbert. Menachem Kallus wohnt in Israel und hat während des Dritten Reiches viel erlebt. Auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung besuchte er gestern das Leibniz-Gymnasium in St. Ingbert, um über sein Leben, das auf indirekte Weise mit Deutschland verknüpft ist, zu erzählen

 Menachem Kallus erzählte über seine Erlebnisse als Jude im Dritten Reich. Alice Hoffmann (links), seine Schwägerin, und seine Schwester Emmie Arbel begleiteten ihn ins Leibniz-Gymnasium. Foto: Jung

Menachem Kallus erzählte über seine Erlebnisse als Jude im Dritten Reich. Alice Hoffmann (links), seine Schwägerin, und seine Schwester Emmie Arbel begleiteten ihn ins Leibniz-Gymnasium. Foto: Jung

St. Ingbert. Menachem Kallus wohnt in Israel und hat während des Dritten Reiches viel erlebt. Auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung besuchte er gestern das Leibniz-Gymnasium in St. Ingbert, um über sein Leben, das auf indirekte Weise mit Deutschland verknüpft ist, zu erzählen. Seine Schwester Emmie Arbel begleitete ihn und auch Schauspielerin Alice Hoffmann, die eine ganz besondere Beziehung zu den beiden hat, denn ihr verstorbener Mann war der Bruder von Menachem und Emmie.Er erzählte nie über sein Schicksal, doch nun tut es dessen Bruder. Menachem wurde 1932 in Holland geboren. Als Achtjähriger erlebte er den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und verstand als Kind gar nicht, was um ihn herum geschah. Auch warum Juden auf einmal nicht mehr im Bus fahren durften oder nur zu bestimmten Zeiten einkaufen gehen konnten, konnte er damals, wie auch viele Erwachsene, nicht begreifen. Holland wurde von den Deutschen besetzt und die Juden mussten fortan gelbe Sterne tragen. Davon war Kallus' Familie anfänglich verschont geblieben, denn die Ungarn, wie Menachems Vater einer war, waren Alliierte und damit zu Beginn des Krieges privilegiert. Ein großes Problem für den kleinen Menachem, denn damit war er in der neu gegründeten "Judenschule" Außenseiter und wurde auch so behandelt.

Abhilfe schaffte die Mutter, die ihrem Sohn einen Stern aufs Hemd nähte, so dass er wenigstens in der Schule einer von vielen war. Es sind auch diese kleinen Geschichten, die dazu beitragen, den Schülern eine für sie fremde Welt zu erklären. In einfach verständlichem Englisch erzählt Menachem Kallus, wie er sich vor der "Reise" von Nachbarn und seinem Vater verabschiedete, wie er sich das erste Mal im KZ Ravensbrück vor Fremden nackt ausziehen musste und dann Gefangenenkleidung erhielt, aber auch wie er und ein Freund Schuhe von Ermordeten recycelten und dabei Geld, Schmuck und Gold fanden, das sie dann bei einem Zahnarzt gegen Lebensmittel eintauschten.

Das KZ Sachsenhausen war die letzte Station dieser Odyssee und als bei der Befreiung Menachem vorgeschickt wurde, um bei den russischen und amerikanischen Soldaten um Hilfe zu bitten, flüchteten sie, denn es war nichts Menschliches mehr an ihm. "Ich habe lange gebraucht, um nochmal Mensch zu werden", sagt Kallus, "Mit dreizehn war ich schon ein Mann mit der Erfahrung eines Dreißigjährigen." Auf die Frage einer Schülerin antwortet er: "Ich habe keinen Hass auf die Deutschen, denn alle Menschen sind gleich, nur die Bedingungen ändern sich und machen uns zu dem, was wir sind." con

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort