Als Florenz in Ensdorf anklopfte

Ensdorf. Er hat kein Buch über seine Treffer geführt. "Es werden so 150 bis 200 gewesen sein", sagt Herbert Martin nach kurzem Nachdenken. Elf Jahre hat er zwischen 1950 und 1961 für den 1. FC Saarbrücken Fußball gespielt, "so zirka 540 Spiele" bestritten

 Herbert Martin trifft am 28. März 1954 zum 1:3-Anschlusstreffer für das Saarland gegen Deutschland. Foto: Hartung

Herbert Martin trifft am 28. März 1954 zum 1:3-Anschlusstreffer für das Saarland gegen Deutschland. Foto: Hartung

Ensdorf. Er hat kein Buch über seine Treffer geführt. "Es werden so 150 bis 200 gewesen sein", sagt Herbert Martin nach kurzem Nachdenken. Elf Jahre hat er zwischen 1950 und 1961 für den 1. FC Saarbrücken Fußball gespielt, "so zirka 540 Spiele" bestritten. Auf "etwa 30 Tore" beziffert er seine Trefferzahl aus der Saison 1953/54, als er sich mit dem Titel "Torschützenkönig aller deutschen Oberligen" schmücken durfte. Wir haben nachgeschlagen: Es waren 35 Tore.Das Wunder von San SiroSpiele, die man nicht vergisst? Herbert Martin nennt das deutsche Endspiel 1952 in Ludwigshafen gegen den VfB Stuttgart (2:3), nennt die Begegnungen in der WM-Qualifikation 1953/54 für das Saarland, in dessen Länderspielstatistik er mit 17 Einsätzen hinter Waldemar Philippi (18) an zweiter Stelle steht. In Martins persönlicher Tor-Chronik hat sein Auftritt mit dem 1. FC Saarbrücken 1955 im Europapokal der Landesmeister bei der Nobelmannschaft des AC Mailand einen besonderen Stellenwert: 4:3 gewann der vermeintliche Zwerg von der Saar in der Kicker-Hochburg San Siro. Die Italiener waren damals schon echte Profis. Und dann kamen die Namenlosen aus Saarbrücken. Mailand glaubte schon vor dem Anpfiff, gewonnen zu haben. Leichenblasse Mienen dagegen nur 90 Minuten später: 3:4-Endstand nach 3:1-Zwischenstand. Herbert Martin hatte den Schlusspunkt hinter das Märchen gesetzt. Ein Märchen mit großem Stress-Faktor: Drei Tage unterwegs, die An- und die Rückreise mit der Eisenbahn. Daheim sofort an den Arbeitsplatz. Martin war Finanzbeamter. Prämien gab es für das "FCS-Wunder in San Siro" nicht.Dann das Europacup-Rückspiel am 23. November auf dem Kieselhumes. Würde der 1. FCS die zweite Runde erreichen? Nein, der AC Milan nahm die Aufforderung zum Verlassen der europäischen Bühne nicht an. Saarbrücken wehrte sich bis in die Schlussphase gut. Beim Stand von 1:1 war das Weiterkommen in Sichtweite. Rapid Wien wäre der nächste Gegner gewesen. Dann spürten die Ball-Künstler aus der Lombardei ein spätes Taumeln beim Widersacher, schlugen unerbittlich zu und siegte mit 4:1. Herbert Martin erinnert sich an Italiens Profi-Frühzeit: "Schon in den 50er Jahren waren die Italiener hinter guten Spielern im Ausland her." Horst Buhtz, später Trainer bei den Sportfreunden Saarbrücken und bei Borussia Neunkirchen, hatte als einer der ersten Deutschen jenseits der Alpen angeheuert. Als 1951 Schalke 04 zu einem Freundschaftsspiel auf dem Kieselhumes gegen den FCS antrat und von den Blau-Schwarzen mit 5:0 deklassiert wurde, gab es eine interessante Personalie: Eine Delegation des AC Florenz hatte auf der Tribüne Platz genommen, um den Schalker B-Nationalspieler Paul Matzkowski unter die Lupe zu nehmen. Als dessen Mannschaft vom FCS in Grund und Boden gespielt worden war, drehte sich die Interessenlage der Italiener. Am nächsten Tag klopften die Florentiner in Ensdorf an die Tür des Hauses Martin. Sie unterbreiteten dem zweifachen Torschützen des Vortages "ein gutes Angebot" (Martin). Ehe die AC-Repräsentanten von Ensdorf weiter nach Metz reisten, um sich dort den Start der Tour de France anzuschauen, hatten sie den FCS-Stürmer in einen Zwiespalt der Gefühle gedrängt. Herbert Martin fühlte sich geehrt, bat aber um Bedenkzeit - und sagte Florenz nach zehn Tagen ab. Die familiäre, berufliche und auch sportliche Sicherheit daheim hatte bei ihm Vorrang.

Auf einen BlickDer Ensdorfer, von dem die Fachzeitschrift "kicker" einmal schrieb "Herbert Martin hält in der Spielübersicht einen Vergleich mit Fritz Walter stand", blieb dem Fußball auch nach dem Abgang von der aktiven Bühne treu: Sechs Jahre Trainer (A-Lizenz) beim SV Fraulautern, sieben Jahre beim Saarländischen Fußballverband. In der Interimszeit zwischen den Verbandstrainern Jupp Derwall und Philipp Becker betreute Martin die Saarauswahl. Von 1974 bis 1977 stand er in Diensten des FC Ensdorf (Verbandsliga). wb

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