Nach dem Desaster in Afghanistan „Schämen Sie sich“ – So hart geht die Presse mit AKK und Heiko Maas ins Gericht

Saarbrücken · Die Fehleinschätzung Deutschlands zur dramatischen Entwicklung in Afghanistan beschert zwei Saar-Ministern im Bundeskabinett harsche Kritik. Die Kommentatoren überschlagen sich darin, die Kompetenzen in Frage zu stellen. Hier eine aktuelle Presseschau.

 Harte Kritik müssen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Außenminister Heiko Maas im Zusammenhang mit der Fehleinschätzung zur Entwicklung in Afghanistan von Kommentatoren in den Medien einstecken.

Harte Kritik müssen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Außenminister Heiko Maas im Zusammenhang mit der Fehleinschätzung zur Entwicklung in Afghanistan von Kommentatoren in den Medien einstecken.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Offiziell will niemand in der Bundesregierung mit der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan in solch atemberaubenden Tempo gerechnet haben. Außenminister Heiko Maas gestand zwar eine Fehleinschätzung zur Lage in dem Land ein, wo 20 Jahre die internationale Staatengemeinschaft mit militärischer Präsenz der Nato-Truppen die Rückkehr der jetzigen radikal-islamistischen Machthaber verhindern wollte. Doch nur kurze Zeit nach dem Abzug des Militärs, darunter unter anderem aus den USA, Großbritannien und Deutschland, stürmten Vertreter der Taliban sogar den Präsidentenpalast in Kabul. Jetzt versuchen Staaten, Menschen aus dem Land auszufliegen, die  Rache der neuen Staatsführung befürchten, weil sie mit den ausländischen Vertretern zusammengearbeitet haben. Unterdessen spielten sich dramatische Szenen am internationalen Flughafen der afghanischen Hauptstadt ab, als verzweifelte Menschen bereits auf der Startbahn rollende Maschinen zu erreichen versuchten.

Viele Kommentatoren bei Zeitungen und im Fernsehen befassen sich damit, wie es dazu kommen konnte. Dabei fällen die meisten ein vernichtendes Urteil, was die Amtsführung von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sowie Außenminister Heiko Maas (SPD) betrifft. Hier ein Überblick, was die beiden Politiker von der Saar einstecken müssen:

● Welt: Die Tageszeitung kritisiert grundsätzlich die Auswahl von Politikern für Spitzenämter. „[...] Nach dem verpatzten Impfstart und dem unzureichend funktionierendem Katastrophenschutz bei der Flut ist das Desaster von Kabul das dritte Mal in wenigen Monaten, bei dem auch wohlwollende Bürger ein Staatsversagen zu erleben glauben. Wir brauchen eine Debatte darüber, wie Personal für politische Spitzenämter rekrutiert wird. [...] Heiko Maas. Nach einer langen Karriere in der saarländischen Landespolitik, die wider Erwarten nicht vom Posten des Ministerpräsidenten gekrönt wurde, absolvierte er eine umstrittene Amtszeit als Justizminister. Als Außenpolitiker sah ihn niemand, auch er selbst sich nicht. [...] (Andrea) Nahles und (Olaf) Scholz improvisierten und zogen einen Ersatzkandidaten aus dem Hut, der als ministrabel durchging, aber schwach genug war, ihre Kreise nicht zu stören: Heiko Maas. [...]

Auch die Besetzung des Verteidigungsministeriums folgte einer Binnenlogik, diesmal der CDU. Die strauchelnde Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hatte im Sommer 2019 nur Tage vor ihrer Ernennung ausgeschlossen, ins Kabinett zu wechseln. [...] Kramp-Karrenbauer zog spontan in den Bendlerblock, weil sonst ein Konkurrent sie zu überholen drohte. [...] Merkel mischte sich prinzipiell nicht in die Frage ein, wen Koalitionspartner ins Kabinett bringen. Auch dieses Prinzip muss überdacht werden. Denn wenn künftig drei (mit der CSU de facto vier) Partner die Regierung bilden, wird es noch schwieriger, die Binnenlogiken der Parteien mit Fachqualifikationen in Einklang zu bringen.“ 

Tagesschau: Das ARD-Nachrichten-Flaggschiff analysiert in einem Beitrag die aus ihrer Sicht verworrene Lage innerhalb der Bundesregierung. Noch während eines Interviews mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen (CDU) „läuft Maas hinter ihm vorbei in den Sitzungsraum. Dort muss er sich fragen lassen, warum die Bundesregierung die Kampfkraft der Taliban unterschätzte. Warum sind die Deutschen und der Ortskräfte nicht viel früher evakuiert worden? Antworten blieb Maas offenbar schuldig. 'Neue Erkenntnisse gab es nicht', sagt der FDP-Außenpolitiker Djir-Sarai. Maas selbst verlässt die Sondersitzung ohne ein Wort an die wartenden Journalisten. [...] Hat das Verteidigungsministerium alles getan, um die afghanischen Ortskräfte, die für die Bundeswehr gearbeitet haben, nach Deutschland ausreisen zu lassen? Viele Abgeordnete kennen die Antwort. Sie lautet: nein.

Über Monate haben Auswärtiges Amt, Verteidigungs- und Innenministerium bürokratische Hürden für die Ausreise der Ortskräfte aufgebaut oder geduldet. Ein Machtwort hätte von der Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kommen können. Aber es kam nicht. Und so musste sie sich auch heute wieder dieser unangenehmen Frage stellen. [...] wie beiläufig fügte sie (in einem Pressestatement, Anm. d. Red.) hinzu, dass es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ein solches Evakuierungsmandat für die Bundeswehr gegeben habe. Außerdem gab sie zu Protokoll: Brigadegeneral Jens Arlt, der die Evakuierung leitet, habe ihr 'vollstes Vertrauen, jegliche operationelle Freiheit und meine politische Rückendeckung'. Mit anderen Worten: Die Lage in Kabul ist derart unübersichtlich, dass die Militärs vor Ort entscheiden, was zu tun ist.“

● Berliner Zeitung: Sie titelt bereits in ihrem Kommentar „Afghanistan: Schämen Sie sich, Herr Außenminister!“ und fordert seinen Rücktritt. Im weiteren Text konfrontiert der Autor ihn dann mit einigen seiner Zitate aus der aktuellen Stunde des Bundestags zum Nato-Abzug von vor zwei Monaten, die Maas' Fehleinschätzung belegen sollen. Sein jetziges Eingeständnis, dass die Bundesregierung falsch gelegen habe, heißt es: „Es sind dünne Worte angesichts des kolossalen Versagens, für das auch der deutsche Außenminister verantwortlich ist. [...] Wenn Heiko Maas wirklich so blind war, dass er die von Menschenrechtlern wie Militärs prophezeite humanitäre Katastrophe nicht sah, nicht sehen wollte, dann hat er versagt. Als Politiker, als deutscher Außenminister, als Verantwortungsträger, als Mensch. Am Montag sagte er, aus der Fehleinschätzung der Lage in Afghanistan müssten „die notwendigen Konsequenzen gezogen werden“. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran Herr Außenminister, und ziehen Sie die notwendigen Konsequenzen. Zeigen Sie einen Funken Verantwortungsbewusstsein – und treten Sie zurück.“

Der Tagesspiegel: Die in Berlin erscheinende Zeitung sieht auch ein Versagen darin, rechtzeitig Menschen aus der Region herauszuholen. Ebenso habe es an diplomatischer Arbeit gemangelt. „[...] Die Luftbrücke hat viel zu spät begonnen. Aber der Bundesminister des Auswärtigen, wochenlang vorher intern gewarnt, sagt mit Verweis auf andere Länder: „Deshalb würde ich diese Entscheidung jederzeit auch nochmal genau so treffen.“ Wie viel Trotz ist in dieser Situation erträglich?

Heiko Maas steht die Lutherpose nicht. Die anderen Länder, von denen er spricht, waren beim Ausfliegen früher dran, die Amerikaner, die Tschechen, die Briten. Die haben schon am vergangenen Wochenende 370 Landsleute und afghanische Ortskräfte in Sicherheit gebracht - die Deutschen nicht. [...] Trotziges Beharren auf der Richtigkeit der eigenen Haltung? Das ist der Lage nicht angemessen. Eine Pendeldiplomatie wäre es (gewesen), sofortige Gespräche mit Pakistan, dem Iran, Russland und China über die Situation und Einflussmöglichkeiten auf die Taliban, und das zusammen mit Frankreich als gemeinsamer Motor Europas.

Es muss dringend geklärt werden, was wie war und warum nichts geschah. Warum vor Wochen im Parlament der Antrag der Grünen auf Hilfe für die Ortskräfte, die Bundeswehr-Helfer in der Not, abgelehnt wurde - nach nur halbstündiger Aussprache. [...]“

● Handelsblatt: Heftige Schelte auch vom Branchenblatt aus Düsseldorf. Dort heißt es in der Schlagzeile: Kramp-Karrenbauer und Maas fehlt es in der Afghanistan-Krise an Rückgrat“. Und im Kommentar geht der Autor näher auf die Gründe ein – mit Verweis auf Konsequenzen: der Übernahme politischer Verantwortung. „Rücktritte sind hierzulande aus der Mode gekommen. [...]  Willy Brandt zog aber aus der Guillaume-Affäre die politische Konsequenz, übernahm Verantwortung und trat zurück. Die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bat um ihre Demission, nachdem ihre Partei beim sogenannten großen Lauschangriff eine andere Auffassung vertreten hatte als sie selbst. [...]

So viel Rückgrat wünschte man sich heute auch von einigen Kabinettsmitgliedern. Heiko Maas, den viele als glücklosesten Außenminister der Bundesrepublik bezeichnen, hat die Lage in Afghanistan vollkommen falsch eingeschätzt, und auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer befindet sich in Erklärungsnöten, warum beim ersten Evakuierungsflug aus Kabul sage und schreibe nur sieben Menschen ausgeflogen wurden. [...] Die deutschen Soldatinnen und Soldaten müssen es nun wieder richten. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen. Das Auswärtige Amt bestimmt offenbar, wer in die Maschine kommt.“

Bild: „[...] Dass sich Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium hinter den Kulissen den schwarzen Peter zuzuschieben versuchen, bestätigt das Chaos nur noch. Konsequenzen? Fehlanzeige! Weil Wahlkampf ist, ducken sich die zuständigen Minister und die Kanzlerin einfach weg. Anstatt aufzuklären und bitter nötige Schlüsse zu ziehen, schließen die Parteien pflichtbewusst ihre Reihen. Wie schon beim Betrug mit Intensivbetten und nach der Todesflut, so auch nach dem Versagen von Kabul.

Doch darin liegt ein fataler Denkfehler: Wenn Politiker ihre Verantwortung nicht übernehmen, wird der Wähler sie ihnen trotzdem geben. An der Wahlurne.“

  

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