7,65 Euro für jede Leiche

Saarbrücken. Es gibt Situationen, die vergisst auch ein abgebrühter Kripo-Beamter nie mehr. Ein toter Säugling, eine völlig verweste oder verstümmelte Leiche, schreiende Hinterbliebene eines Gewaltopfers - alles das kennen Frank Baum, seine Mitarbeiter und die Kollegen des Kriminaldauerdienstes zur Genüge. Kriminalhauptkommissar Baum ist Leiter des Dezernats 213

Saarbrücken. Es gibt Situationen, die vergisst auch ein abgebrühter Kripo-Beamter nie mehr. Ein toter Säugling, eine völlig verweste oder verstümmelte Leiche, schreiende Hinterbliebene eines Gewaltopfers - alles das kennen Frank Baum, seine Mitarbeiter und die Kollegen des Kriminaldauerdienstes zur Genüge. Kriminalhauptkommissar Baum ist Leiter des Dezernats 213.2 beim Landespolizeipräsidium, das unter anderem Tötungs- und Sexualdelikte bearbeitet und Todesermittlungen führt. Baum berichtet von Leichen, die so lange in einer Wohnung liegen, dass Gliedmaßen beim Drehen einfach abbrechen, von einem unvorstellbaren Verwesungsgestank und von Dingen, die so eklig sind, dass sie einem Zeitungsleser zum Frühstück nicht zuzumuten sind. "Das können sich die Leute kaum vorstellen, was wir machen", sagt Baum.Der Dienstherr erkennt diese extreme Belastung durchaus an. Er zahlt den betroffenen Beamten eine Zulage von 7,65 Euro pro Leiche - steuerfrei. Wobei, wie das Innenministerium auf SZ-Anfrage mitteilt, "mehrere Leichen in der gleichen Todesermittlungssache wie eine Leiche zählen". Ordnet ein Gericht zusätzlich die Obduktion einer Leiche an, wird noch einmal der gleiche Betrag überwiesen. Die Pauschale darf pro Polizist monatlich den Höchstbetrag von 76,50 Euro nicht übersteigen.

Außerhalb der Polizei weiß kaum jemand etwas von der Pauschale, in der Polizei wird sie, zurückhaltend ausgedrückt, nicht gerade als angemessene Anerkennung des schwierigen Dienstes empfunden. Das hat auch damit zu tun, dass die Zulage nicht mehr erhöht wurde, seitdem der damalige Innenminister Friedel Läpple (SPD) sie 1997 per Erlass eingeführt hatte. Ein Unding, findet der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Landeschef Felix Recktenwald fordert "dringend eine Anpassung dieser Zulage in angemessener Höhe". Das Innenministerium sieht jedoch keinen Grund für Veränderungen.

Was genau ist der Sinn der Pauschale? "Die Pauschalvergütung umfasst die Abgeltung aller materiellen Nebenkosten, wie zum Beispiel Reinigung von Kleidern, Parkgebühren, Telefonate vom Tatort", erklärt das Innenministerium. Man könnte auch noch Seife und Shampoo nennen. "Der Leichen- und Verwesungsgeruch bleibt in den Kleidern und in den Haaren hängen", sagt Hauptkommissar Frank Baum. "Wenn man auf die Dienststelle zurückkommt, muss man sich erstmal duschen und neue Kleidung anziehen - selbst wenn man Schutzanzug trägt."

Unter Ermittlern ist die Rede von einer "Leidenspauschale", einer "Ekelzulage" oder einer "Zumutungspauschale". Wer Baum zuhört, weiß warum: Die Ermittler betrachten sich Leichen nicht aus sicherer Entfernung - sie entkleiden sie und tasten sie ab, um die Frage zu beantworten: Gab es Fremdverschulden? Das herauszufinden, ist die Aufgabe der Kripo in enger Zusammenarbeit mit der Gerichtsmedizin: Findet ein Arzt bei der Leichenschau Anhaltspunkte für einen nicht-natürlichen Tod, kommen die Todesermittler ins Spiel.

Einen Anspruch auf die Pauschale haben Beamte, wenn sie "an angeordneten Leichenschauen teilnehmen, zur Identifizierung von Toten oder zur Feststellung der Todesursache Tätigkeiten an Leichen oder Leichenteilen vornehmen oder beweiserhebliche Materialien von Leichen oder Leichenteilen nehmen". Im vergangenen Jahr wurden die 7,65 Euro laut Innenministerium 1321 Mal beantragt. Ein Anreiz, möglichst häufig an einem Leichenfundort eingesetzt zu werden, ist die Zulage aber nicht. "Wegen des Geldes", sagt Kriminalhauptkommissar Baum, "macht diesen Job mit Sicherheit niemand."

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