50 Jahre „Europawelle“

Saarbrücken · Am 2. Januar 1964 ging die „Europawelle Saar“ erstmals auf Sendung. Der Sender des Saarländischen Rundfunks wurde in vielerlei Hinsicht Vorreiter, riskierte aber zugleich den Bruch mit der ARD.

 Axel Buchholz (Mitte) mit Kollegen im Studio der „Europawelle“ in den 70er Jahren. Foto: Hartung

Axel Buchholz (Mitte) mit Kollegen im Studio der „Europawelle“ in den 70er Jahren. Foto: Hartung

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 Dieter Thomas Heck, Moderator der „Deutschen Schlagerparade“ 1974, umgeben von den Schlagerstars Peggy March, Gavin du Porter, Phil und John sowie Ramona Wulf. Foto: Reiner Oettinger/SR

Dieter Thomas Heck, Moderator der „Deutschen Schlagerparade“ 1974, umgeben von den Schlagerstars Peggy March, Gavin du Porter, Phil und John sowie Ramona Wulf. Foto: Reiner Oettinger/SR

Foto: Reiner Oettinger/SR

Heute vor 50 Jahren forderte ein kleiner Radiosender an der Saar die mächtige ARD heraus: Am 2. Januar 1964 ging die "Europawelle Saar" auf Sendung, mit einem völlig neuen Konzept, das einige althergebrachte Prinzipien des Hörfunkmachens in Frage stellte. Nicht nur dass der Sender - heute bekannt als "SR 1 Europawelle" - vor allem auf musikalische Unterhaltung setzte und lange Wortbeiträge auf die Kulturwelle verbannte. Der Sender erhob den Anspruch, auch außerhalb des Saarlands - und damit in den Sendegebieten der anderen ARD-Anstalten - gehört zu werden. Technisch möglich machte das die Mittelwelle, die sogar in weite Teile Europas reichte. Die Ankündigung, die Werbung auszuweiten, tat ihr Übriges: Die ARD drohte dem Saarländischen Rundfunk mit dem Rausschmiss. Doch so weit kam es nicht, und der neue Sender mauserte sich schnell zum Vorreiter in vielerlei Hinsicht.

Die Nachrichten wurden verkürzt, dafür aber zu jeder vollen Stunde gesendet. Der klassische "Ansager" wurde vom Discjockey abgelöst, der mit Persönlichkeit und guter Musik vor allem junge Hörer vor das Radio locken sollte. Zu den bekanntesten zählten Dieter Thomas Heck, der ab 1966 "Die Deutsche Schlagerwelle" zu einer der beliebtesten Sendungen des SR aufbaute, und Manfred Sexauer, der mit seiner Sendung "Hallo Twen" Kultstatus erlangte. "Das war damals die erste Beat-Sendung, die in der ARD überhaupt zu hören war", sagt der 83-Jährige heute. Sexauer spielte die neuesten Platten aus England und den USA und verhalf auch einigen deutschen Musikern zu Bekanntheit wie etwa The Rattles. Sexauer, der vom Theater in Karlsruhe kam und eigentlich nur ein Jahr an der Saar bleiben wollte, blieb dem SR fast vier Jahrzehnte treu: "Wir hatten viel Freiraum, um Neues auszuprobieren. Das ist so heute nicht mehr möglich."

Nicht nur musikalisch ging die "Europawelle" neue Wege: Mit "Zwischen heute und morgen" entwickelte sie das erste politische Radio-Magazin der ARD. Moderator Axel Buchholz, späterer Wellenchef des Senders und SR-Chefredakteur, versuchte, Politiker live ans Telefon zu bekommen und zu aktuellen Ereignissen zu befragen. "Bis dahin kannte man nur den würdevollen Tagesschau-Stil. Wir haben einfach munter drauf los gefragt", sagt Buchholz. Ein völlig neues Konzept, auch für die Befragten: So glaubte Peter Altmeier, rheinland-pfälzischer Ministerpräsident bis 1969, einen Print-Journalisten in der Leitung zu haben und diktierte seine Antworten - vorsichtshalber mit Punkt und Komma.

Das Konzept des neuen Senders ging auf: Die Zahl der Hörer stieg innerhalb eines Jahres von 360 000 auf das Doppelte, fünf Jahre später waren es gar 1,7 Millionen. Doch die goldenen Zeiten währten nicht ewig. Andere Sender, die anfangs heftig Kritik geübt hatten, übernahmen bald die Neuerungen, allerdings auf UKW statt Mittelwelle. "Sie boten ähnliche Programme, aber mit besserer Tonqualität", sagt Buchholz. Das Aufkommen des privaten Hörfunks in den 80er Jahren setzte der Europawelle weiter zu. Mit Radio Salü kam in den 90er Jahren schließlich der schärfste Konkurrent auf den Markt. "Da sind die Hörerzahlen dramatisch zurückgegangen", erinnert sich Buchholz.

Der SR musste handeln: Die "Europawelle" wurde modernisiert, "professionalisiert", wie Roland Helm, heutiger stellvertretender Programmchef, sagt: "Pi mal Daumen und mal gucken, wie es ankommt, das ging dann nicht mehr." Heute wird regelmäßig mit Marktforschungsmethoden getestet, wie das Programm ankommt. Dass damit ein Stück weit Innovationspotenzial verloren geht, will Helm gar nicht abstreiten. Doch sich von anderen Radiosendern abzuheben, das sei heute deutlich schwieriger als vor 50 Jahren: "Bei Musik und Nachrichten kann man nicht viel machen. Die Kunst liegt darin, über gute Moderatoren einen eigenen Zungenschlag reinzubringen." Und die seien in der Tat auch heute noch gut, bescheinigt Alt-Moderator Manfred Sexauer: "Deshalb wird es SR 1 Europawelle auch in 50 Jahren noch geben."

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