"Saarbrücken werde ich nie vergessen"Eingetrübte Leinwand: Kritik zu "Die Summe meiner einzelnen Teile"

Vor elf Jahren haben Sie mit ihrem Spielfilmdebüt "Das weiße Rauschen" in Saarbrücken den Max-Ophüls-Preis gewonnen.Weingartner: Ja, Saarbrücken, das werde ich nie vergessen, das war einer der schönsten und wichtigsten Momente meines Lebens. In dem Film steckte ja unser ganzes Herzblut drin. Da haben wir bei der Preisverleihung gebangt und gezittert

 Peter Schneider als Martin, der in der Natur des Waldes wieder zu sich findet. Foto: Central

Peter Schneider als Martin, der in der Natur des Waldes wieder zu sich findet. Foto: Central

Vor elf Jahren haben Sie mit ihrem Spielfilmdebüt "Das weiße Rauschen" in Saarbrücken den Max-Ophüls-Preis gewonnen.Weingartner: Ja, Saarbrücken, das werde ich nie vergessen, das war einer der schönsten und wichtigsten Momente meines Lebens. In dem Film steckte ja unser ganzes Herzblut drin. Da haben wir bei der Preisverleihung gebangt und gezittert. Und als wir dann den Hauptpreis gewannen, da hat der ganze Saal gejubelt und wir haben uns unglaublich gefreut. Ich bin viel zu früh auf die Bühne gestürmt, das war schon irre. Emotional hat sich das ganz tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Jetzt nach Saarbrücken zurückzukehren, das ist, wie wenn man nach Hause kommt.

Inwiefern hat Ihnen diese Auszeichnung geholfen, weitere Projekte zu verwirklichen?

Weingartner: Der Max Ophüls Preis war die Initialzündung für alles, was danach kam. Er hat mir alle Türen geöffnet, wir haben dann auch einen Verleih gefunden. Es hatte im Vorfeld ja außer uns keiner an den Film geglaubt, kein Produzent, kein Fernsehsender. Auch für Daniel Brühl hat die Karriere damit erst richtig begonnen. Der Ophüls-Preis hat eine positive Energie in den Film und in uns alle hineingeladen. Der rote Teppich in Cannes drei Jahre danach, das war nur halb so intensiv wie Saarbrücken 2001.

Ihr neuer Film handelt von Martin, einem Mathematiker, der ein Burn-Out erleidet und alles verliert, Job, Freundin, Wohnung. Steigen der gesellschaftliche Druck und die Anforderungen der Arbeitswelt immer stärker?

Weingartner: Das ist definitiv so. Die Zahl der Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, die Zahl der verschriebenen Anti-Depressiva ebenfalls. Das Streben nach immer mehr Wachstum und der daraus resultierende Druck machen uns krank, die Menschen halten diese Raserei nicht mehr aus. Depressionen und Burn-Out sind die Folgen.

Was müsste sich ändern, wie können wir gegensteuern?

Weingartner: Ganz einfach: die Sozialsysteme wieder stärken. Deutschland wurde von der Politik systematisch gedrillt auf Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum um jeden Preis. Inzwische haben wir US-Verhältnisse mit Billigjobs und Niedriglöhnen. Die Menschen sind immer gestresster und unglücklicher. Wir müssen uns fragen, was wir wollen: Müssen wir um jeden Preis die Wirtschaftsnation Nummer eins sein oder sind uns sozialer Friede und Glück wichtiger? Und wir müssen uns fragen, wer von den tollen Wirtschaftszahlen profitiert. Das ist nicht die Mehrzahl der Menschen, sondern sind nur die Aktionäre und die internationalen Anleger.

Sie haben Neurowissenschaften studiert, im "Weißen Rauschen" ging es um Schizophrenie, in Ihrem neuen Film um Depressionen. Woher kommt ihr Interesse für die menschliche Psyche?

Weingartner: Das hat mich immer schon fasziniert. Bereits mit 13 Jahren habe ich in der Schule Vorträge zu solchen Themen gehalten. Das interessiert mich, weil es so mysteriös ist, was im Kopf vorgeht, wie unser Denken funktioniert. Oder auch was Wahnvorstellungen und das so genannte Verrücktsein angeht. Man merkt ja immer als Letzter, dass man verrückt wird, man verdrängt das ja vorher alles.

Könnte jeden ein solches Schicksal wie das von Martin ereilen?

Weingartner: Ja, natürlich. Da gehört nicht viel dazu. Eine Krankheit, dann verlierst du deinen Job, deine Frau, Du stehst auf der Straße. Und es ist ja heute kaum noch so, dass den Menschen dann geholfen wird, dass die Firma sagt, dem stehen wir jetzt mal bei, bis es ihm wieder besser geht. Ich kenne einen Anstreicher, der hat 30 Jahre für die selbe Firma gerackert und sich dabei den Rücken ruiniert. Als er dann mal krank war: Zack, flog er sofort raus.

Wie ist die aktuelle Situation im deutschsprachigen Raum für einen Autorenfilmer wie Sie, der seine Stoffe selbst entwickelt? Wie schwierig ist es, solche nicht einfachen Stoffe zu finanzieren?

Weingartner: Die Finanzierung ist weniger das Problem. Das Problem ist vor allem, überhaupt an Drehbücher zu kommen. Ich will nämlich kein Autorenfilmer mehr sein, ich möchte als nächstes unbedingt ein fremdes Drehbuch verfilmen. Das Selbstschreiben dauert so lange, da braucht man locker zwei Jahre, und dann muss das unbedingt klappen, damit man seine Familie ernähren kann. Ein enormer Druck. Bisher bekomme ich wenige Drehbücher angeboten, weil ich als Autorenfilmer gelte. Ich hoffe, das ändert sich. Am liebsten würde ich eine schwarze Komödie machen.

Der Film startet am 2. Februar bundesweit in den Kinos.

Saarbrücken. Ein Mann wird aus der Psychiatrie entlassen. Ein halbes Jahr lang war Martin (Peter Schneider) weg - und jetzt ist nichts mehr wie es war. Die Firma, für die sich der Mathematiker krank schuftete, will ihn nicht mehr haben. Seine Freundin hat einen neuen Partner - und schließlich kann Martin auch seine Wohnung nicht mehr bezahlen. Er landet auf der Straße, freundet sich mit dem zehnjährigen Viktor (Timur Massold) an, der nur russisch spricht und ebenfalls nicht weiß, wo er hin soll. Im Wald bauen sie sich eine Hütte, schlagen sich mit dem Sammeln von Pfandflaschen in der nahen Stadt durch. Doch wie lange kann das gut gehen?

Hans Weingartner ist mal wieder ganz nah am Puls der Zeit. 2004 brachte der studierte Neurowissenschaftler mit "Die fetten Jahre sind vorbei" einen Beitrag ins Kino, der ziemlich genau die Stimmung seiner Zeit traf: das Unbehagen über die zunehmende Globalisierung, Verlustängste und verschiedene Formen des Protestes, vor allem Jugendlicher. Einer von ihnen sagte im Film: "Dieses System wird zusammenbrechen, weil es die Menschen nicht mehr aushalten." Genau daran knüpft Weingartners neuer Film an. In "Die Summer meiner einzelnen Teile" hält Martin die berufliche Belastung nicht mehr aus, bricht zusammen. Weingartner zeigt dieses Schicksal in ungeschönten, realistisch wirkenden Bildern. Lange herrschen graue, braune, düstere Töne vor. Erst gegen Ende, wenn Martin im Wald und durch die Freundschaft mit Viktir wieder zu sich findet, wird es heller auf der Leinwand. Der Film beschäftigt sich mit dem Thema Wahrnehmung, mit Freundschaft und der Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben. Ein emotionaler, packender Film, ausdrucksstark gespielt. tr

 Peter Schneider als Martin, der in der Natur des Waldes wieder zu sich findet. Foto: Central

Peter Schneider als Martin, der in der Natur des Waldes wieder zu sich findet. Foto: Central

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