Rot-Grün im Vatikan

Wieder einmal beweist Jorge Mario Bergoglio sein Gespür für den Puls der Zeit: Mit der neuen Enzyklika "Laudato si'" über die menschliche Verantwortung für Umweltzerstörung und Umweltschutz verschafft der 78-jährige Papst sich und seiner Kirche weltweit Gehör.

Gewöhnlich werden päpstliche Rundschreiben nur von einem kleinen Publikum wahrgenommen. Wer erinnert sich etwa noch an Details aus den Abhandlungen Joseph Ratzingers? Zuletzt erregte mit "Humanae vitae" eine Enzyklika globale Aufmerksamkeit, weil Paul VI. darin künstliche Verhütungsmittel wie die Pille verbot. Das war 1968.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung und die Bedeutung für die Lebenswirklichkeit der Menschen entscheiden darüber, wie viele Zuhörer ein Papst mit seinen Verlautbarungen über den Katholizismus hinaus gewinnt. Mit "Laudato si'" trifft Franziskus ins Schwarze: Wenn es ein Thema gibt, das alle Menschen gleichermaßen betrifft, dann ist es der Klimawandel mit seinen dramatischen Folgen. Auch seine Vorgänger warnten bereits vor Umweltzerstörung. Franziskus allerdings widmet diesem Thema erstmals eine ganze Abhandlung und stellt es ins Zentrum seines Denkens. Er zeigt, dass die katholische Kirche in den entscheidenden Menschheitsfragen ein gewichtiges Wort mitreden will und kann.

Es wäre allerdings stark verkürzt, Franziskus schlicht als grünen Papst abzustempeln, der halt auch die Gefahren des Treibhauseffekts erkannt hat. Seine detaillierten Analysen samt Lösungsvorschlägen bilden nur den Ausgangspunkt für eine verheerende Kapitalismus-Kritik. Blinder Fortschrittsglaube, Konsumismus und die ungezügelte Macht der Hochfinanz sind die eigentlichen Sorgenkinder dieses Papstes, der - will man in der politischen Farbenlehre bleiben - mindestens so rot schreibt wie grün. Und so begeht Bergoglio auch ein Sakrileg im westlichen Mainstream-Denken, wenn er fordert, in Teilen der reichen Welt eine Rezession zu akzeptieren, um anderswo Aufschwung zu ermöglichen.

Franziskus wäre aber nicht Franziskus, wenn er letztlich nicht auch seine rot-grünen Bewunderer vor den Kopf stieße mit der Forderung nach einer umfassenden Ökologie, die auch den Menschen selbst einschließt. Die Verteidigung der Natur hält der Pontifex für unvereinbar mit der Tötung von Embryonen, also mit Abtreibung. Franziskus geißelt zudem die Gender-Theorie mit ihrem Versuch, den "Unterschied zwischen den Geschlechtern auszulöschen", als Anmaßung gegenüber der Schöpfung. Der streng konservative Aspekt im Denken des Papstes aus Argentinien wird aus ideologischen Gründen gern ignoriert. Er ist aber ebenso Teil dieser facettenreichen Persönlichkeit, die sich nach herkömmlichen Kriterien nur schwer entschlüsseln lässt.

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