Robinsonade und Todesbuch: Ernst Augustin brilliert

Saarbrücken · Schon auf der ersten Seite begegnet dieser moderne und immer wieder die Erscheinungsform ändernde Robinson seinem Schicksal. Es packt zu als unscheinbarer Mann: "Der Tod kommt in Gestalt eines freundlichen kleinen Herrn, der mir im Zug nach Grevesmühlen gegenüber sitzt, und er kommt auch nicht sofort, vielmehr lässt er mir Zeit, meine Angelegenheiten zu regeln

Schon auf der ersten Seite begegnet dieser moderne und immer wieder die Erscheinungsform ändernde Robinson seinem Schicksal. Es packt zu als unscheinbarer Mann: "Der Tod kommt in Gestalt eines freundlichen kleinen Herrn, der mir im Zug nach Grevesmühlen gegenüber sitzt, und er kommt auch nicht sofort, vielmehr lässt er mir Zeit, meine Angelegenheiten zu regeln." Wie er die regelt, wie er abtaucht und verschwindet, sich einbruchsichere Wohnungen an seltsamsten Orten einrichtet, wie er seine immer wieder neuen Verfolger abschüttelt, ist so unwahrscheinlich wie von großer Suggestionskraft.Diese Robinsonade - nicht umsonst geht es auch um Unsummen von Geld, denn Robinson war ja ein gewiefter Homo oeconomicus - führt von Grevesmühlen bis in die Südsee, und man versteht bald, dass sie sich vornehmlich im Kopf des Erzählers abspielt. Der ganze Wechsel der Szenerien, der ganze Erfindungsreichtum, die ganzen Wendungen und das Hakenschlagen: All das hat nur einen Zweck - den potentiellen Peinigern zu entgehen und damit letzten Endes dem Tod. Schon als Kind musste er sich seiner Spielkameraden erwehren, die ihm nachstellen: Er erfindet aus der Not heraus eine Taucherglocke, bringt Stunden im heimischen Fluss zu, liest dort knapp unter der Wasseroberfläche nautische Literatur.

Es ist ein Spiel mit Möglichkeiten und Formen, auch mit Genres wie etwa dem Detektivroman. Dem huldigte Ernst Augustin (84) bereits in "Der amerikanische Traum". Seine Romane sind immer auch Spiele mit der eigenen Identität, autobiografische Erweiterungen. "Meine Fantasie ist zu allem fähig", schrieb er. Literatur ist für ihn eine "Art Wirklichkeit". Er durchleuchtet die dunklen inneren Kammern seiner Helden wie auch die architektonischen Strukturen seiner Erzählräume und weiß genau, wie leicht, lautlos und schwebend man hinübergleiten kann in eine andere Welt und Zeit, hinab- und hinaufstolpern auf andere Wahrnehmungsstufen, die in der Realität ihren Ausgangspunkt, aber noch lange nicht ihren Grund haben.

Die Welt ist alles, was die Fantasie ist - für Augustin bildet die Sprache ein belastbares Vehikel, die Grenzen des Darstellbaren zu überschreiten. In "Robinsons blaues Haus" wird man ebenfalls von Raum zu Raum gelotst, überlässt sich blindlings dieser abenteuerlichen Reise. Und selbst das Ende hat hier etwas Spielerisches: "Ich habe es immer gewusst. Seit er mir gegenüber saß, seit er mir Zeit ließ, meine Angelegenheiten zu ordnen. Mein ganz persönlicher, höchst privater Tod. (...) Und daran ist ja eigentlich gar nichts auszusetzen. Ein freundlicher, kleiner Herr, der sich doch immer als recht zuvorkommend erwiesen hatte. Und auch jetzt keinen schlechten Eindruck macht."

Ernst Augustin: Robinsons blaues Haus. C.H. Beck. 319 Seiten. 19,95 €

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