Revolte gegen Jobcenter-Pläne

Berlin. Gerade mal zwei Monate im Amt, steht Ursula von der Leyen (CDU, Foto: dpa) vor einem Scherbenhaufen. Attackiert von Roland Koch (CDU, Foto: dpa) musste die Bundesarbeitsministerin klein beigeben. Mit einem Brief an die Ministerin torpedierte der hessische Ministerpräsident von der Leyens derzeit wichtigstes Projekt: die Neuordnung der Jobcenter

Berlin. Gerade mal zwei Monate im Amt, steht Ursula von der Leyen (CDU, Foto: dpa) vor einem Scherbenhaufen. Attackiert von Roland Koch (CDU, Foto: dpa) musste die Bundesarbeitsministerin klein beigeben. Mit einem Brief an die Ministerin torpedierte der hessische Ministerpräsident von der Leyens derzeit wichtigstes Projekt: die Neuordnung der Jobcenter. Koch forderte gestern ultimativ eine Grundgesetzänderung und machte klar, dass sich an dieser Position "nichts ändern wird". Die Angegriffene zog sogleich die Notbremse und schwenkte um: "Ich bin auch für eine Grundgesetzänderung offen", ließ sie verlauten. Denn ohne hessische Zustimmung kann die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf zu den Jobcentern nicht durch den Bundesrat bringen. Der Konflikt dreht sich um die vom Bundesverfassungsgericht Ende 2007 beanstandete Mischverwaltung von Kommunen und Arbeitsagenturen bei der Betreuung der mehr als 6,5 Millionen Langzeitarbeitslosen und ihrer Familien. Die Zeit drängt, denn die von Karlsruhe gesetzte Frist für eine auch rechtlich einwandfreie Regelung für die Jobcenter läuft Ende des Jahres ab. In den Kommunen wächst daher, in Erinnerung an den verpatzten Start der Hartz-IV-Reform Anfang 2005, die Sorge vor neuen "Chaoswochen". Die derzeit praktizierte Betreuung der Hartz-IV-Empfänger "aus einer Hand" könnte nur durch die von Koch geforderte Grundgesetzänderung gerettet werden. Eine Grundgesetzänderung wollte von der Leyen bisher vermeiden. Ein verfassungsrechtlich gangbarer Weg, den Ex-Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) mit den Ländern, darunter auch den unionsregierten, gefunden hatte, war im vergangenen Jahr gescheitert: am Widerstand der Unionsfraktion im Bundestag. Deshalb versuchte von der Leyen ihr Glück mit einem Konzept, das die Aufgaben von Kommunen und Arbeitsagenturen organisatorisch trennt und auf eine freiwillige Zusammenarbeit und auf eine Betreuung nur noch "unter einem Dach" setzt. SPD und Grüne, Experten und Praktiker, aber auch ihre eigenen Leute in den Ländern liefen Sturm gegen diese "Zerschlagung der Jobcenter". Der Bielefelder Sozialdezernent Tim Kähler befürchtet einen Rückfall "in die sozialpolitische Steinzeit". Nicht nur er erwartet Doppelarbeit, mehr Bürokratie und höhere Kosten für die klammen Kommunen. Das Wort von der drohenden "Katastrophe" machte die Runde. Dass Koch noch umschwenken könnte, ist wohl ausgeschlossen. "Das ist ein Stoppschild, und das ist auch so gemeint", bekräftigte der hessische Regierungschef seinen Standpunkt. Obendrein stoßen nun auch andere Länder mit CDU/FDP-Koalitionen wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen ins gleiche Horn. Koch nötigt damit die Ministerin sogar zur Zusammenarbeit mit der SPD. Die wiederholte prompt ihr Angebot, einer Grundgesetzänderung die Hand zu reichen. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil forderte die Ministerin auf, "unverzüglich mit uns Verhandlungen aufzunehmen".Meinung

Endlich Widerspruch

Von SZ-RedakteurVolker Meyer zu Tittingdorf Roland Koch rebelliert zur rechten Zeit. Denn der Fall Jobcenter droht zur Last für die CDU zu werden. Weder die Fachleute noch die Langzeitarbeitslosen begreifen den Murks des Entwurfs der Ministerin. Getrennte Zuständigkeiten bei freiwilliger Zusammenarbeit - das kann nur in Chaos münden und wäre ein Beispiel für Politik auf dem Rücken der Betroffenen. Noch kann es gelingen, gemeinsam mit der SPD das Grundgesetz zu ändern und so das Jobcenter-Problem fristgerecht und sinnvoll zu lösen. Von der Leyen ist zwar blamiert, doch trägt sie selbst die Schuld dafür. Warum hat sie nicht die fällige Kehrtwende in der CDU angeregt und auf eine Grundgesetzänderung gedrängt? Das wäre ihre Rolle als Bundesministerin gewesen.

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