Renzi droht ein folgenschweres Eigentor

Rom · Es wird ein heißer Herbst werden in Italien. Und diese Prognose dürfte auch für die unter politischen Gesichtspunkten nachrangigen Schauplätze wie Klingeln oder Haustüren gelten. Denn Ministerpräsident Matteo Renzi wird mit allen Mitteln kämpfen. Vielleicht wird man den 41-jährigen Premier nicht persönlich erleben, wie er Hausfrauen, Pensionäre und Studenten an der Wohnungstür von seinen Plänen überzeugt. Aber 3000 Komitees, zusammengesetzt aus je mindestens fünf Aktivisten, stehen schon bereit, um die Italiener nach den Ferien von Renzis guten Absichten zu überzeugen.

"Basta un sì", es genügt ein Ja, lautet der Leitspruch der Kampagne, die Italien in eine neue Ära der politischen Effizienz führen und Renzis Job retten soll. Gerade genehmigte der Oberste Gerichtshof das Referendum über die von der Mitte-Links-Regierung konzipierte Verfassungsreform, die die politischen Spielregeln im Land erheblich verändern würde. Die Regierung muss in den kommenden zwei Monaten das Datum für die Volksbefragung festlegen, wahrscheinlich werden 50 Millionen Italiener Ende November an die Urnen gerufen.

Der Regierungschef und seine Reformministerin Maria Elena Boschi versprechen sich Effizienz und Einsparungen von ihrem Projekt, an das Renzi seine Zukunft geknüpft hat. Kernstück ist die Umwandlung des italienischen Senats, einer der beiden Parlamentskammern, in ein zweitrangiges Organ mit künftig 100 statt bisher 315 Mitgliedern. Wird die Reform vom Volk genehmigt, müssten Gesetze nicht mehr wie bisher lange zwischen beiden Kammern hin- und herpendeln, der heute komplizierte Gesetzgebungsprozess würde wesentlich beschleunigt. Kritiker, darunter auch angesehene Verfassungsrechtler, warnen hingegen vor dem Ende der Gewaltenteilung und vor zu viel Macht auf Seiten der Exekutive.

Die Stimmung im Regierungslager ist angespannt. Dazu tragen die Scharmützel in Renzis Partito Democratico bei. Interne Kritiker halten sowohl Renzi selbst als auch die Reform für autoritär und deshalb gefährlich und kündigten zusammen mit der Opposition ihr Nein beim Referendum an. Renzi droht ein Eigentor. Denn die Idee, die Italiener über die Verfassungsreform abstimmen zu lassen, kam von ihm selbst, obwohl dies gar nicht nötig war. Weil der Ministerpräsident aber, seit er im Februar 2014 vom Staatspräsidenten eingesetzt und vom Parlament bestätigt wurde, mit dem Vorwurf der mangelnden Legitimation zu kämpfen hat, hielt er es für eine gute Idee, die Bürger zu seinem folgenreichsten und inzwischen umstrittensten politischen Handgriff zu befragen.

Renzi hat sich verschätzt. Seine Umfragewerte bei der Präsentation der Reform waren formidabel, heute ist er relativ unbeliebt. Nach zwei Jahren an der Macht hat der einstige "Verschrotter" der alten Politikerkaste selbst Kratzer im Lack. Weil der Premier seine Zukunft aber ausdrücklich mit dem Referendum verquickte, haben seine Gegner nun die Chance, den Ministerpräsidenten aus dem Amt zu jagen. Zwar rudert Renzi seit Wochen zurück, die Reform habe nichts mit ihm persönlich zu tun. Doch bei einer Niederlage könnte der Druck so groß werden, dass er zurücktreten muss. Die Folgen wären kaum absehbar, die unberechenbare 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo lauert auf den Machtwechsel. Wenn die drittgrößte Volkswirtschaft der EU erneut ins Straucheln gerät, könnte das verheerende Folgen für den ganzen Kontinent haben.

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